Informelle Tagung des Europäischen Rats in Hermannstadt
Ausgabe Nr. 2624
27 Staats- und Regierungschefs haben sich am 9. Mai bei einem informellen EU-Gipfel in Hermannstadt getroffen, um über die Zukunft der EU zu sprechen. Für Hermannstadt und die Hermannstädter war das Treffen ein politisches Jahrhundertereignis.
Roter Teppich, jubelnde Leute mit Fahnen, Presse, Hubschrauber, Sicherheitsleute, strahlende Sonne und natürlich die Staats- und Regierungschefs fanden sich am 9. Mai in Hermannstadt ein. Geplant war das Treffen vor Monaten als erstes offizielles Treffen nach dem Brexit, das beweisen sollte, dass die EU weiterhin stark bleibt.
Auch wenn der Brexit auf Ende Oktober verschoben wurde, unterzeichneten die hohen Gäste eine „Erklärung von Sibiu”, mit zehn „Verpflichtungen”.
Beraten wurde über eine strategische Agenda für die nächsten Jahre der EU, einig wurden sich dann die Teilnehmer nicht ganz in allen Bereichen – u. a. in Bezug auf der Umweltschutz.
So kurz vor den EU-Parlamentswahlen sei es auch schwierig, über die Zukunft zu sprechen und richtige Pläne zu schmieden, erklärten viele Analysten, denn die Karten werden bald neu gemischt.
Für die Hermannstädter war das Treffen ein Erfolg, reibungslos lief der ganze Tag ab und Präsidenten, Kanzler und Premierminister nahmen nach dem „Familienfoto” – so wird das gemeinsame offizielle Foto genannt – sogar ein Bad in der Menge.
Rumänien hat zur Zeit die EU-Präsidentschaft inne und hat deswegen den Gipfel hier organisiert. Zur Freude der Hermannstädter hat das Treffen in der Heimatstadt des Präsidenten Klaus Johannis stattgefunden, der entsprechend freudig auf dem Großen Ring empfangen wurde. Staatspräsident Klaus Johannis hatte bereits am 7. Mai in Hermannstadt überprüft, dass alles bestens vorbereitet ist und erklärte, er sei sehr zufrieden.
Die Vorbereitungen auf den Summit hatten auch gute sechs Monate – wenn nicht länger – zuvor begonnen. Die Einwohner im Stadtzentrum wurden bereits vor einem halben Jahr von den Sicherheitsleuten (SPP) besucht, mussten ihre Daten angeben, um am 9. Mai Zugang zu ihrer Wohnung zu haben. Da besonders in der Heltauergasse viele Wohnungen vermietet werden, mussten auch die Touristen ihre Daten dem SPP weiter leiten.
Die Lokalbehörden bereiteten sich schon seit dem Vorjahr auf dieses Ereignis vor, die Straßen vom Flughafen ins Zentrum wurden in den letzten Monaten neu asphaltiert.
Auch das Hermannstädter Kreiskrankenhaus wurde auf den Gipfel vorbereitet, zum Beispiel waren am 9. Mai alle Chefärzte im Dienst und mindestens ein Drittel der Betten wurden frei gehalten.
Für die Hausbesitzer im Zentrum gab es im Vorjahr auch Strafen von 500 Lei pro Familie für ungepflegte Fassaden. Dementsprechend bemühten sich viele Besitzer, so schnell wie möglich diese zu renovieren. Leider konnte man in vielen Fällen beobachten, dass die Renovierungsarbeiten eher oberflächlich waren. Ob wertvolle Stuckarbeiten verloren gegangen sind und das alte Stadtbild dadurch zu leiden hat, können die Historiker und Architekten merken. Am Summit-Tag strahlten aber viele Häuser in frischen Farben, die Besitzer haben die nächsten Geldstrafen vermieden.
Die Sicherheitsmaßnahmen waren überraschend für die Hermannstädter, aber auch für die Touristen, die in dieser Zeitspanne in Hermannstadt verweilten. Der Kleine Ring wurde bereits drei Wochen vor dem Event für den Verkehr gesperrt, denn da wurden die Zelte für die Konferenzen und für die Presse aufgestellt. Am 8. Mai durften im Zentrum nur noch die Einwohner mit dem Auto fahren, am 9. Mai war der Verkehr dann für alle gesperrt. Am 8. und 9. Mai wurden weitere neun Parkplätze in der zentralen Gegend für den Verkehr gesperrt. Überaus kritisch wurde diese Maßnahme von den Hermannstädtern gesehen, die im Zentrum arbeiten. Die von der Hermannstädter Presse Befragten kamen eher selten auf die Idee, ausnahmsweise zwei Tage zu Fuß oder mit dem Bus in die Arbeit zu kommen.
In der Heltauergasse und am Großen Ring wurden alle Mülltonnen versiegelt.
Tage vor dem Summit kreisten Hubschrauber über den Großen Ring.
Die Angestellten in den Bars und Restaurants mussten ihre vorschriftlichen Analysen erneuern. Für die meisten Lokale war der Summit-Tag eigentlich gar kein großes Geschäft, die meisten hatten auch geschlossen. Ein umso besseres Geschäft machten diejenigen, die Übernachtungen anboten. Diejenigen, die in dieser Zeit nicht geschlossen hatten – denn viele der Betreiber hatten für diese Tage ihre Wohnungen vom Markt zurückgezogen, um jegliche Kontrollen zu vermeiden. Diejenigen, die alle Papiere in Ordnung hatten, freuten sich größtenteils über ganz gute Einnahmen, denn zum Teil verlangten sie auch das Vielfache des Normalpreises – und erhielten es auch. Eine Journalistin aus Bukarest zahlte zum Beispiel 290 Euro pro Nacht in Hermannstadt in einem Hotel, in dem ein Zimmer im Normalfall 50 Euro pro Nacht kostet. Viele Presseleute wohnten gar nicht in Hermannstadt, sondern in umliegenden Ortschaften, bis zu 30 Kilometer entfernt.
Die ersten Gäste kamen bereits am 8. Mai nach Hermannstadt, denn da gab es bereits erste Treffen. Im Kulturhaus trafen mehrere Hunderte Jugendliche den rumänischen Präsidenten Klaus Johannis und den Präsidenten der Europäischen Komission, Jean-Claude Juncker. Die Jugendlichen durften den beiden Fragen stellen und es entstand eine angeregte Diskussion über die EU, die Stunden hätte dauern können, denn es gab keine langweilige Minute. Dabei waren manche Fragen zum Teil durchaus kritisch – die Jugendlichen zeigten viel Interesse, wie sie die EU übernehmen werden, vom Arbeitsmarkt bis zur Umwelt. Die Antworten waren sehr interessant und man konnte die sehr gute Beziehung zwischen den beiden Gästen bemerken. In einer der Antwort war Johannis kritisch gegenüber der EU, das ließ Juncker nicht auf sich sitzen lasen und erklärte, er sei auch nicht zufrieden mit allem, was in Rumänien passiere. „Dann sind wir zwei Unzufriedene”, antwortete Johannis und erhielt prompt minutenlangen Jubel und Applaus. Englisch, französisch und deutsch antwortete Juncker auf die Fragen des Publikums und beeindruckte so das Publikum.
Am 9. Mai begann der Tag für viele Gäste im Freilichtmuseum, bei einem Treffen der Europäischen Volkspartei.
Inzwischen bereiteten sich auch die Hermannstädter und Touristen auf das Eintreffen der hohen Gäste, denn man wurde gründlich kontrolliert, wenn man auf den Großen Ring gelangen wollte. Viele scheuten diese Mühe nicht, um ein Auge auf die EU-Promis werfen zu können.
Am 9. Mai waren alle Dachluken auf dem Platz abgedeckt, bis auf diejenigen, in denen die Sicherheitsleute mit Ferngläsern das Geschehen beobachteten. Die Waffen waren eher wenig zu sehen, man konnte sie aber vermuten.
Beobachten konnte man auch sehr viele Arbeiter in recht reinen Overalls – nicht nur in der Heltauergasse, sondern auch auf Nebenstraßen -, die eigentlich keiner Beschäftigung nachgingen und sich eher mit ihren Handys beschäftigten.
Der EU-Gipfel begann am späten Vormittag am Großen Ring, als der Reihe nach die Staats- und Regierungschefs auf den roten Teppich Richtung Bürgermeisteramt traten. Empfangen wurden die meisten von ihnen mit Jubel, es gab allerdings auch kritische Rufe, zum Beispiel beim österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz, der allerdings danach auf die meisten Fragen der Presse antwortete. Die meisten Gäste kamen durch die Heltauergasse auf den Großen Ring, stiegen dann vor dem roten Teppich aus und gingen Richtung Rathaus. Eine Ausnahme machte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der zuvor ein Treffen mit der ungarischen Minderheit hatte und zu Fuß den Großen Ring überquerte. Auf dem roten Teppich blieben die meisten Gäste stehen und erklärten, was sie von diesem Summit erwarten würden, beantworteten aber auch mehrere Fragen der Presse. Eine klare Antwort, wann Rumänien dem Schengen-Raum beitreten dürfe, gab es allerdings von keinem der Befragten. In Rumänien hatte man seit der Festlegung des EU-Gipfels auf eine Überraschung gehofft.
Im Bürgermeisteramt wurden die Gäste vom Staatspräsidenten Klaus Johannis begrüßt, zusammen kamen sie dann für ein Familienfoto auf den Großen Ring – das gemeinsame Foto des Gipfels. Nach dem Foto überraschten die Staats- und Regierungschefs das Publikum, denn sie gingen zu den Zaungästen und schüttelten Hände und ließen sich fotografieren. Eine Frau aus Hermannstadt zog Bundeskanzlerin Merkel zu sich hinunter, um sie auf die Wangen zu küssen, da ihre Tochter in Deutschland lebe.
Die Gäste zogen sich dann zurück zu einem Arbeitsessen, in der Heltauergasse entstand eine kurze Demo, die schnell von den Sicherheitskräften beruhigt wurde. Die Demo war eigentlich gegen die Gendarmen gerichtet und hatte nichts mit dem EU-Gipfel gemeinsam. Drei Demos waren vom Bürgermeisteramt genehmigt worden, unter anderem eine Greenpeace-Aktion, die eher unbemerkt abliefen.
Nach dem Arbeitstreffen gab es mehrere Pressekonferenzen, bei denen die Gäste die Ergebnisse der Gespräche vorstellten. Unter anderem sprach man über die „Erklärung von Sibiu”, die allerdings in den Medien keinen großen Beifall erhielt und sogar als „Das Blabla von Sibiu“ abgestempelt wurde. Allgemein fand die ausländische Presse, dass dieser EU-Gipfel eher „überflüssig” war – hauptsächlich weil der Brexit nicht wie geplant stattgefunden hat und auch weil er so kurz vor den EU-Parlamentswahlen stattfindet. Da sprach man eher von einem Treffen, bei dem so manche EU-Posten verhandelt und verteilt wurden. Unzufrieden waren auch die Umweltschützer, man hatte auf härtere Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und des Klimas gehofft.
Die Staats- und Regierungschefs erklärten sich aber zufrieden, eine Zukunftsagenda entworfen zu haben und gezeigt zu haben, dass innovatives, starkes und geeintes Handeln trotz politischer Unterschiede gut ist.
Die „Erklärung von Sibiu” stellten der Präsident der Europäischen Rates Donald Tusk, der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und als Gastgeber der Staatspräsident Rumäniens, Klaus Johannis vor. In der gemeinsamen Pressekonferenz zeigte Tusk stolz sein neuestes Geschenk, grüne Handschuhe, die er vom rumänischen Torwart Helmuth Duckadam erhalten hatte, um die EU besser schützen zu können. Dabei sprach er auch einige Worte auf rumänisch und erklärte, er habe sich in Hermannstadt verliebt und bewies das wenige Tage darauf, als er auf seiner Facebook-Seite ein Foto vom Großen Ring postete.
Tusk war auch der einzige Gast, der am Abend zur Show der „Junii Sibiului” am Großen Ring kam, zusammen mit Klaus Johannis, der einige Worte für die anwesenden Hermannstädter sagte.
Nach der gemeinsamen Pressekonferenz eilte Johannis zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel ins Hermannstädter Forum, wo sie von Vertretern der deutschen Minderheit aus ganz Rumänien erwartet wurden und wo die Kanzlerin nochmals unterstrich, dass Deutschland auch weiterhin die deutschen Minderheit in Rumänien unterstützen werde (siehe auch Ansprache der Bundeskanzlerin auf Seite 4).
Pünktlich zum Abgang der Gäste kam auch der Regen zurück, der in den letzten Tagen geherrscht hatte, allerdings schreckten die Hermannstädter nicht zurück und kamen auf den Großen Ring, wo sich die meisten erst auf dem berühmten roten Teppich fotografieren ließen, um danach „Junii Sibiului“ und die Pop-Sängerin Delia zu sehen und zu hören.
Nur die kleinen weißen Kontrollzelte waren am 10. Mai noch im Zentrum zu sehen, die Hermannstädter waren sich einig, dass der EU-Gipfel ein politisches Jahrhundertereignis war.
Ruxandra STĂNESCU
Teilnehmer am EU-Gipfel
EUROPÄISCHER RAT: Donald TUSK, Präsident; RUMÄNIEN: Klaus Werner JOHANNIS, Staatspräsident; ÖSTERREICH: Sebastian KURZ, Bundeskanzler; BELGIEN: Charles MICHEL, Premierminister; BULGARIEN: Boyko BORISSOV, Premierminister; KROATIEN: Andrej PLENKOVIĆ, Premierminister; ZYPERN: Nicos ANASTASIADES, Präsident der Republik; TSCHECHIEN: Andrej BABIŠ, Premierminister; DÄNEMARK: Lars Løkke RASMUSSEN, Premierminister; ÈIRE / IRLAND: Leo VARADKAR, Premierminister (The Taoiseach); ESTLAND: Jüri RATAS, Premierminister; FINNLAND: Juha SIPILÄ, Premierminister; FRANKREICH: Emmanuel MACRON, Präsident der Republik; DEUTSCHLAND, Angela MERKEL, Bundeskanzlerin; GRIECHENLAND: Alexis TSIPRAS, Premierminister; UNGARN: Viktor ORBÁN, Premierminister; ITALIEN: Giuseppe CONTE, Premierminister; LETTLAND: Krišjānis KARIŅŠ, Premierminister; LITAUEN: Dalia GRYBAUSKAITĖ, Präsidentin der Republik; LUXEMBURG: Xavier BETTEL, Premierminister; MALTA: Joseph MUSCAT, Premierminister; NIEDERLANDE: Mark RUTTE, Premierminister; POLEN: Mateusz MORAWIECKI, Premierminister; PORTUGAL: António COSTA, Premierminister; SLOWAKEI: Premierminister Peter PELLEGRINI; SLOWENIEN: Marjan ŠAREC, Premierminister; SPANIEN: Pedro SÁNCHEZ PÉREZ-CASTEJÓN, Premierminister; SCHWEDEN: Stefan LÖFVEN, Premierminister; EUROPÄISCHE KOMMISSION: Jean-Claude JUNCKER, Präsident; EUROPÄISCHER EXTERNER AKTIONSDIENST: Federica MOGHERINI, Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik; GENERALSEKRETARIAT DES RATES: Jeppe TRANHOLM-MIKKELSEN, Generalsekretär; EUROPÄISCHES PARLAMENT: Antonio TAJANI, Präsident.