In einem neuen Dokumentarfilm kommen Zeitzeugen zu Wort
Ausgabe Nr. 2618
In den Jahren 2014-2016 führte der frühere Pressereferent der Evangelischen Akademie Siebenbürgen, Manuel Stübecke, 15 Interviews mit Vertretern der deutschen Minderheit in Rumänien im Rahmen seines Zeitgeschichte-Projekts „Erinnerungen und Entwicklungen in Siebenbürgen“. Es sammelte sich ein so reichhaltiges Material an, dass es für einen einzigen Film zu viel war. Der erste Teil trägt den Titel „Der Vogel träumt vom Maismehl/Vrabia mălai visează“ und beinhaltet Interviews mit Angehörigen der älteren Generation, Stübecke arbeitet an einem zweiten Teil, in dem die jüngeren Protagonisten zu Wort kommen sollen.
In dem ersten Teil des Filmprojekts kommen sechs Zeitzeugen – Herr Altbischof Dr. D. Christoph Klein, Prof. Dr. Paul Philippi, Pfarrer und Schriftsteller Gottfried Seidner, Poet und Filmemacher Frieder Schuller, Pfarrer Heinz Galter und seine sehr beeindruckende Ehefrau Inge – zu Wort und geben ihr Erleben der Zeit zwischen dem 23. August 1944 und Dezember 1990 wieder.
Der mit den obengenannten Beteiligten entstandene Interviewfilm ist im eigentlichen Sinn eine sehr beeindruckende Wiedergabe unterschiedlicher Erlebenswelten. Die klar strukturierte und mit dem geschichtsschweren Schicksalsdatum der Siebenbürger Sachsen, dem 23. August 1944, beginnende Sichtweise von dem inzwischen verstorbenen Theologen und Historiker Prof. Dr. Paul Philippi, bildet das Herzstück des Interviewfilmes.
Pfarrer Gottfried Seidner beschreibt in einer unnachahmlichen Art und Weise sein Erleben der Zeit am Beispiel des im Hause Seidner anno 1944 einquartierten russischen Soldaten Aljoscha. Eine zu Tränen rührende Geschichte von Behütet-Sein, Unsicherheit und folgender Enttäuschung! Man kann sehr schnell erkennen, dass die kurze Episode mit dem russischen Soldaten Aljoscha das Schicksal der Siebenbürger Sachsen meint!
Altbischof Dr. D. Christoph Klein gibt zu Beginn seines Interviews die Geschichte seines Vaters Dr. Gustav Adolf Klein wieder. Gefängnisaufenthalt (1948-1949) und politische Haft (1958-1964) des Vaters und die damit verbundenen Entbehrungen in der Familie nehmen einen zentralen Platz in dem Interview ein, in dem Dr. D. Christoph Klein dem Zuschauer seine sehr menschliche Sicht auf die Zeit von 1944-90 vermittelt.
Anders, aber in keinster Weise uninteressant, sieht der Poet und Filmemacher Frieder Schuller die tragische Epoche. Er ist etwas jünger und der Zeitraum von etwa 1960 bis 1990 – und natürlich auch nach 1990 mit der sich beschleunigenden Auswanderung der Siebenbürger Sachsen aus Rumänien und ihrem manches Mal ambivalenten Verhältnis zu ihrer neuen und auch alten Heimat, sind Mittelpunkt seiner Erinnerungen und auch Grundlage seiner Einschätzung der zukünftigen Entwicklung der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft.
Eine große Bedeutung für den Interviewfilm von Manuel Stübecke hat die zutiefst menschliche und natürliche Erzählweise der Pfarrersfamilie Heinz und Inge Galter. Beim Anschauen von beiden Erzählenden, besonders wenn Heinz Galter aus seiner Zeit in der Deportation in Sowjetrussland berichtet, stellt sich für den Zuschauer die Frage, was ein Mensch ertragen kann und wie groß die Liebe zu Menschen sein muss, um dermaßen ausdrucksstark und eindringlich berichten zu können. Das Zimmer, in dem das Interview mit der Familie Heinz und Inge Galter stattgefunden hat, ist, wie übrigens alle anderen Intervieworte auch, hervorragend ausgesucht!
Der Film und die vorgestellten Interviewpartner sind unbedingt sehenswert und stellen ein nicht unbeträchtliches Stück Zeitgeschichte dar. Dem Regisseur Manuel Stübecke ist dank seiner Interviewpartner Großes geglückt.
Die Premiere des Films „Erinnerungen und Entwicklungen in Siebenbürgen – Der Vogel träumt vom Maismehl“ findet im Beisein des Regisseuren am 25. Mai d. J. 15.30 Uhr im Bundesplatz-Kino in Berlin statt im Rahmen der Reihe „7bürgen & 7bürger in 7 Filmen“, die von dem Deutschen Kulturforum östliches Europa, der Kulturreferentin für Siebenbürgen am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim, Dr. Heinke Fabritius, und dem Bundesplatz-Kino organisiert wird.
Lothar SCHELENZ