Maria Mădălina Turza will im EU-Parlament für Menschen mit Behinderung kämpfen
Ausgabe Nr. 2610
„Am besten lassen Sie Ihr Kind hier im Krankenhaus, gehen nach Hause und zeugen ein anderes.” Das sagte der Arzt zu Maria Mădălina Turza vor 14 Jahren, kurz nach der Geburt ihrer Tochter mit Behinderung, Clara. Nach vielen Jahren, in denen die Mutter für die Rechte ihrer Tochter und Tausenden Kindern mit Behinderung gegen die Gesellschaft und den Staat kämpfte und auch oft gewann, fasste sie den Entschluss, von oben nach unten die öffentliche Politik zu ändern, als parteilose Europaabgeordnete. „Ich bin ein starker Partner, Allierter und Fürsprecher für Gleichberechtigung“, lautet ihre Devise.
„Für dich wird es schwer sein, zu verstehen, warum deine Mama gerade an deinem Geburtstag fehlt, ich kämpfe aber für dich und für alle, die ein Problem haben!”, erklärte Maria Mădălina Turza in Bukarest am 21. Januar, als sie offiziell verkündete, dass sie kandidieren will. Ihre Tochter verfolgte die Präsentation im Internet, die Mutter und die Anwesenden konnten kaum ihre Tränen zurückhalten. Denn zur Unterstützung waren Menschen aus dem ganzen Land gekommen, auch viele Eltern von Kindern mit Behinderungen, denen Turza im Laufe der Jahre geholfen hat.
Zunächst wurde ein kurzer Film gezeigt, die Kandidatin wurde dann vom Hermannstädter Psychologen Mugur Frăţilă vorgestellt, der seit Jahren im Bereich der Rechte der Menschen mit Behinderung aktiv ist: „Vor mehr als 23 Jahren habe ich meine Karriere im Bereich der mentalen Gesundheit begonnen, und sehr schnell habe ich verstanden, dass eines der größten Probleme Rumäniens der Mangel an Vertretung und Selbstvertretung aller Personen mit Behinderung ist. Das hat sich leider in den letzten Jahren wenig geändert. Wir sind jetzt und hier gerade Zeugen eines außergewöhnlichen Ereignisses: Mădălina, Mutter einer Tochter mit Behinderung, die das auch öffentlich sagt und schon seit Jahren einen kolossalen Kampf führt, für ihr Kind und auch für andere Kinder und Erwachsene mit Behinderung, wagt jetzt einen großen Schritt und kandidiert für das Europäische Parlament. Sie hat eine Mission, für die sie sich auch auf höchstem politischen Niveau einsetzen will.”
Parteilos zu kandidieren, ohne starke Fernsehsender und Pressemogulen, die einem den Rücken stärken, wird nicht einfach sein, das weiß die zukünftige Kandidatin. Zukünftig, denn erst muss sie 100.000 Unterschriften sammeln, um mitmachen zu können. Die Regierung stellt den Kandidaten – insbesondere den parteilosen – zusätzlich Steine in den Weg, denn diese Unterschriften müssen auf spezielle Listen gesammelt werden. Die entsprechenden Formulare muss die Regierung im Amtsblatt veröffentlichen. Dies wird so lange wie möglich hinausgezögert, um die Zeitspanne für die Unterschriftensammlung möglichst kurz zu halten. „100.000 Unterschriften klingt recht viel, ich bin aber zuversichtlich, dass das machbar ist”, erklärte Turza, die Politikwissenschaften an der Uni Bukarest studiert hat. Weitergebildet hat sie sich in den USA, wo sie einen Master in inklusiver Bildung und Psychopädagogik absolviert hat. Weitere Fortbildungen hat sie im Bereich Personenrechte, aber auch europäische Gesetzgebung zur Bekämpfung von Diskriminierung und Rechte für Personen mit Behinderung gemacht. Durch die NGO „Centrul European pentru Drepturile Copiilor cu Dizabilităţi” (CEDCD, Europäisches Zentrum für die Rechte der Kinder mit Behinderungen), das sie leitet, hat sie im Laufe der Jahre tausenden Familien in diesem Bereich helfen können. Auf der Internetseite des Vereins (www.cedcd.ro) findet man Informationen zum Verein, zu den Rechten der Kinder und der Eltern, aber auch Infos, wie und wo man Hilfe finden bzw. leisten kann.
Die Wände des Raumes, in dem die Präsentation stattfand – in einem Therapiezentrum für Kinder mit Behinderung -, waren mit den Briefen und Anträgen der Eltern von Kindern mit Behinderung für Schutz und Repräsentierung regelrecht verkleidet. Dabei ging es von Geldrechte, die den Familien von Lokalbehörden verweigert wurden bis zu Situationen, in denen die Kinder missbraucht wurden und die Eltern legale Unterstützung suchten. „Nach zehn Jahren Kampf im Bereich des Kinderschutzes, nachdem ich verstanden habe, dass die Mauern der Gleichgültigkeit das Leben unserer Kinder nimmt, dass die Zeit ihre Geduld verloren hat und die Generation unserer Kinder eigentlich eine verlorene Generation ist, habe ich mich entschlossen, zu kandidieren. Meine drei wichtigsten Programmpunkte sind Behinderung, Menschenrechte und soziale Justiz und Interessen der rumänischen Bürger.”
Mit dem Schutz der Rechte der Personen mit Behinderung hapert es eigentlich nicht nur in Rumänien, auch die Europäische Union müsste mehr für diese Menschen tun, findet Turza. Je mehr Personen mit Behinderung und ihre Angehörigen sich dafür einsetzen, desto effektiver ist auch die Unterstützung und der Schutz, findet die Aktivistin. „Es ist unzulässig, dass im Jahr 2019 die Europäische Union überhaupt keine Gesetzgebung hat, die das Leben der Personen mit Behinderung in der EU regelt. Dabei sprechen wir von über 70 Millionen EU-Bürgern. Die Folgen kann man in den europäischen Statistiken beobachten, die spürt man aber auch im rumänischen Alltagsleben.”
In Rumänien leben 812.594 Personen mit Behinderung, 748.210 sind Erwachsene, der Rest sind Kinder. Nicht nur, dass die Stimme von fast einer Million Menschen nicht gehört wird, auch auf politischer Ebene gibt es große Probleme: Nur vier Prozent der Erwachsenen mit Behinderung gehen wählen, als Folge der jahrzehntelangen Stigmatisierung und Marginalisierung. Mit diesen vier Prozent belegt Rumänien auch in diesem Bereich den schändlichen ersten Platz in der EU.
Fast die Hälfte der Kinder mit Behinderung sind in Spezialschulen isoliert, auch wenn viele mit speziell geschulten Lehrkräften und einem angepassten Curriculum in den öffentlichen Schulen sich gut integrieren würden. Auch ihre Tochter Clara leidet Jahr für Jahr beim Schulbeginn, denn auch ihr wird der Besuch einer „normalen” Schulen verweigert. Besonders schmerzhaft für sie ist die Erinnerung an das in den Vereinigten Staaten verbrachten Jahr, wo sie eine solche Schule besuchen durfte – natürlich mit angepasstem Curriculum und Unterstützung – und wo sie regelrecht aufgeblüht ist.
Kämpfen will Mădălina Turza allerdings nicht nur für diese Zielgruppe. „Ich bin nicht nur Mutter, sondern auch Rumänin und ich will für die Interessen der rumänischen Bürger kämpfen, für ihre Prioritäten und Notwendigkeiten. Wichtig ist hier die Kohäsion und die Politik der Gegenseitigkeit, denn wir brauchen Gleichberechtigung – egal ob wir reich oder arm sind.”
Am Ende der Vorstellung kamen auch die Anwesenden zu Wort, die der zukünftigen Kandidatin ihre Unterstützung zusicherten.
Informationen zu Maria Mădălina Turza und zu ihren Zielen – inklusive die Vorstellungsrunde, aber auch zum Thema Personen mit Behinderung in Rumänien – sind unter madalinaturza.info und www.facebook.com/MariaMadalinaTurzaIndependent/ zu finden.
Ruxandra STĂNESCU