Monumentales Programm

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Streiflichter der Saison France-Roumanie

Ausgabe Nr. 2607

Das Plakat von dem französischen Illustrator Tofdru

Mit sehr viel Schwung wurde die Saison France-Roumanie 2019 schon im Dezember 2018 eingeleitet. Nach Südkorea, Singapur und Kolumbien steht zum ersten Mal ein europäisches Land auf dem Programm, das sich da in vielfältigster Weise mehrere Monate lang in Frankreich selbst darstellt, sei es kulturell, politisch, kulinarisch, oder einfach spielerisch. All das soll der französischen Öffentlichkeit ein möglichst komplettes Bild von Rumänien liefern.

 

Ab Mitte April 2019 gibt es dann die Saison Rumänien-Frankreich, wo sich Frankreich in ähnlicher Weise in Rumänien präsentiert. Das Ganze fällt zusammen mit dem hundertjährigen Geburtstag des modernen Rumänien und vor allem mit Rumäniens europäischer Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2019. Jean-Jacques Garnier und Andrei Tarnea zeichnen als Kommissare verantwortlich.

Schon das Plakat von dem französischen Illustrator Tofdru lässt ahnen, dass der Humor  nicht zu kurz kommt: Dracula nähert sich da bedenklich dem Hals von Edith Piaf, auf dem Plakat für Rumänien wird man Maria Tănase mit Napoleon sehen. Etwa 200 Ereignisse, ein  monumentales Programm, praktisch jeden Tag ist etwas von Rumänien in Frankreich in irgendeiner Form zu sehen. Es gab schon ein ökonomisches franko-rumänisches Forum im Finanzministerium, das Requiem von Fauré (Christian Ciuca), die Rumänische Rhapsodie Nr. 1 von George Enescu mit dem Jugendorchester, die Formation Iza von Ioan Pop mit Musik aus der Maramuresch und Oedipe Redux, création mondiale“ in Lyon von Lucian Ban und Mat Maneri, die die (einzige) Oper von George Enescu „modernisieren“.

Zu den bekanntesten zugereisten Rumänen in Frankreich gehörte neben Eugène Ionesco, Emil Cioran, dem Dadaisten Tristan Tzara, Victor Brauner und dem Musiker Vladimir Cosma vor allem der Bildhauer Constantin Brâncuși, der wie die Legende sagt, die Reise nach Paris 1904 zu Fuss machte. In seinem auf der Piazza Beaubourg ausgestellten Atelier kann man zudem Bekanntschaft machen mit einer Installation des visionären Künstlers Mihai Olos. Danach geht es weiter im Centre Pompidou mit anderen Kunstschaffenden. Gherasim Luca mit Fotos zwischen Avantgarde und Surrealismus. Er arbeitete und machte Bücher mit vielen Künstlern (u. a. Max Ernst), war Poet (Deleuze nannte ihn den größten Dichter der französischen Sprache). Etwa 50 Werke von André Cadere (sein Markenzeichen ein langer Stab mit verschiedenen Farben) sind über die ganze Etage verteilt. Und Theodor Pallady und Henri Matisse diskutieren ein Leben lang, teils über ihre Werke, teils via ihre Werke u. a. La Blouse Roumaine“.

Ein Dialog findet auch statt bei den Jüngeren, Ciprian Mureșan und Șerban Savu, die in Klausenburg dasselbe Atelier teilen. Mureșan, der manchmal versucht, das gesamte Werk eines Künstlers aus der Vergangenheit in einer einzigen (schönen!) total überfüllten Zeichnung festzuhalten (alle Bilder aus einem Buch über Cranach“), fand über seinen Preis 2017 bei der Fondation Guerlain Einstieg in die französische Kunstszene.

Savus Allegorien scheinen viel entspannter und seine offenen“ großen Bilder mehr der Arbeitswelt zugewandt (Der Wartesaal“, Engel der Arbeit“, oder auch Die Allegorie vom Malen“).

Viel Holz, gedämpftes Licht, ein Raum mit Atmosphäre zu dem man durch einen dunklen Gang gelangt, ist Adrian Ghenies Installation The Darwin Room, Antwort auf das Rembrandt zugeschriebene Bild Der Philosoph beim Meditieren.

Szenenfoto aus Oameni obișnuiți.                        
Foto: Adi BULBOACĂ

Auch das Radu Stanca-Nationaltheater aus Hermannstadt war schon da. Gianina Cărbunarius StückOameni obișnuiți“ (Normale Leute) über Absentismus, Korruption, Whistleblowing und Depression hatte nicht die geringste Schwierigkeit, das manchmal nicht einfache Pariser Publikum zu überzeugen und das obwohl Normale Leute“ in rumänischer Sprache aufgeführt wurde und man die französische Übertitelung lesen musste. Langer brausender Applaus und die Schauspieler mussten sehr viel öfter als die üblichen zweimal auf die Bühne zurückkommen. Sie waren erfreut, denn in Rumänien ist diese Art des Neuen Theaters inzwischen hinreichend bekannt, während es in Wien oder Paris noch als sensationell und absolut neu angesehen wird.

Ein bisschen schwerer hatte es Antisocial“, zwar auch eine ansehnliche Rezeption, langer Beifall und ein wie Bogdan Georgescu feststellte, wohl ernsthafteres Publikum als in Rumänien. Antisocial“ über die Meinungsfreiheit im Internetzeitalter, wo Studenten Professoren lächerlich machen, ist vor allem auch eine Kritik am rumänischen Erziehungssystem. Wenn Leute lachten, waren das eher Rumänen im Saal, die wohl einen direkteren Zugang zu der Show hatten. Aber genau da wird es interessant: La Saison France-Roumaniedient auch dazu, sich mit der Realität der Anderen auseinanderzusetzen, und hier zeigten sich nun mal kulturelle Unterschiede, stellten sich Fragen.

Szenenfoto aus „Antisocial“.                              
Foto:  Adi BULBOACĂ

Am Rande des Theaters könnte man die Performance der Choreografin Alexandra Pirici und ihrer Gruppe situieren. Der Zuschauer ist in die Performance einbezogen, kann sich frei bewegen, wird befragt, was er sehen will. Vom Tanz, Gesang, über seltsames tierisches Verhalten geht es bis zur Befragung des kollektiven Gedächtnisses, z. B. eine Rezitation über den Tod des Diktatorenpaares Ceaușescu oder Episoden aus dem Leben von Clinton. Delicate Instruments of Engagementlassen einen im freien Raum wandern, und irgendwann ist man dann in einer anderen Welt oder Zeitepoche.

In einem Panorama des rumänischen Films sah man sowohl schon in internationalen Festivals preisgekrönte Werke wie die beiden die Geschichte aufarbeitenden Filme von Radu Jude Tote Nation(über Antisemitismus) und Unwichtig wenn die Geschichte uns als Barbaren sieht“ (über das Massaker von Odessa 1941), wie auchFotbal infinitvon Corneliu Porumboiu der, wenn er den Fußball verlässt und mosaikhaft letztlich zur Reflexion über die Gesellschaft wird, dadurch politisch wird. Einige andere Filme, Unterhaltungsfilme für ein größeres Publikum, die aber doch Stellung nehmen, wie Kurzschlussvon Cătălin Saizescu gegen das defiziente Gesundheitssystem und das mangelnde individuelle Verantwortungsbewusstsein. In Ein Schritt hinter den Seraphinen“ studiert ein Junge im orthodoxen Priesterseminar, wo ein Professor (Vlad Ivanov) der Securitate würdige Methoden herrschen lässt. Regisseur Daniel Sandu hat das damals fünf Jahre durchlaufen, bevor er sich dann doch lieber für das Kino entschied. Einige Szenen wurden in der Umgebung von Hermannstadt gedreht.

Den wirklichen Überwachungsstaat sah man dann in Hawai“, wo ein Taxifahrer das Land verlassen will und nicht weiß, dass seine Freundin für die Securitate arbeitet. Zuerst total realistisch (und da liegt seine Stärke), schlittert der Film von Jesus del Cerro dann in ein langes unbegreifliches Happyend hinein. Lemonadehandelt von einer Rumänin, die in den USA auf ihre green cardwartet und von einem Beamten der Einwanderungsbehörde sexuell belästigt wird. Ioana Uricarus starker Film mit Mălina Manovici stellt die Fragilität der Emigranten in den Mittelpunkt. Die Themen erlaubten dann auch rege Diskussionen, eines der positiven Ergebnisse.

Ein Ereignis war die Vorführung von Stere Guleas Moromeții „’, gleich am ersten Tag ausverkauft. 32 Jahre nach Moromeții 1″, eine sehr schöne Schwarz-Weiss-Rekonstruktion der unmittelbaren Nachkriegszeit, als der Kommunismus das Ende der bäuerlichen Welt (die Familie Moromete, mit Horațiu Mălăele in der Hauptrolle) und gleichzeitig das Ende einer Epoche ankündigte. Ein Zugtitel also, aber man konnte auch eine leichte Komödie über einen 40jährigen Mathematikprofessor mögen, der einfach nicht erwachsen werden will (Geschichte eines Unentschlossenenvon Paul Negoescu).

Claus REHNIG

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kultur.