Kurt H. Binder erzählt aus dem „ganz normalen“ Alltag in Siebenbürgen
Ausgabe Nr. 2609

Kurt H. Binder: Mixed Pickles. Humoresken und Satiren aus dem „ganz normalen“ Alltag in Siebenbürgen und anderswo. Schiller-Verlag, Hermannstadt-Bonn, 2018, 221 S., ISBN 978-3-946954-43-9
Humorvoll, skurril und hyperbelhaft liest sich das neueste Buch von Kurt H. Binder, das Ende vergangenen Jahres im Schiller Verlag Hermannstadt Bonn erschienen ist. „Mixed Pickles“, was zu Deutsch soviel hieße wie „Gemischtes Eingelegtes“, führt den Rumänien kennenden Leser sofort gedanklich zu dem rumänischen Begriff „murături asortate“, einer beliebten Beilage aus eingelegtem Gemüse und manchmal Obst. Erst der Untertitel klärt ein wenig über den Inhalt des Buches auf: „Humoresken und Satiren aus dem ‚ganz normalen’ Alltag in Siebenbürgen und anderswo“. „Mixed Pickles“ ist das zweite 2008 erschienene Buch von Kurt H. Binder nach „Sir Lim Erick gibt sich die Ehre“.
Die meisten Geschichten beschreiben auf sehr heitere, oft skurrile Art und Weise Begebenheiten aus Siebenbürgen, die der Autor laut Buchbeschreibung selber erlebt hat. Im ersten Kapitel geht es ums Essen, oder wie es der Autor betitelt: „Die Sache mit den Mititei und andere merkwürdige Probleme um Mausefallen, Krenwürschtel, Plumpsklos und die liebe Familie“. Der in der rumänischen Diktaturzeit herrschende Fleischmangel wird u.a. in einer bühnenreifen Skizze mit dem Titel „Die Sache mit den ‚Mititei’ dargestellt. Es geschah im Mangalia der 1980-er Jahre, als der Ich-Erzähler mit seiner Gattin versuchen in einem Gasthaus Mititei zu bestellen. Der „Genosse Ospătar“ bedauert sehr, dass er erst ab 13 Uhr Mititei servieren kann. Das Ehepaar harrt aus, nagt im wahrsten Sinne des Wortes am Hungertuch und dann, als endlich die Zeit um ist, verkündet der Kellner, dass „die Mititei leider ausgegangen sind“.
Dass in Rumänien die Gastfreundschaft groß geschrieben wird, ist bekannt. Wie groß die Gastfreundschaft der Popescus ist, wird im Kapitel „Bedienen Sie sich!“ beschrieben. Denn „ein Besuch aus dem Abendland hat hier auch heute noch eine besondere Bedeutung. Der Hauch aus den freien, westlichen Wohlstandsländern wird mit Behagen eingeatmet, und für den Gast wird, auch wenn es Opfer kosten sollte, nur das Beste und Erlesenste auf den Tisch gebracht.“ Nach dem obligatorischen Schnaps kommt als erstes die „Ciorbă de Perișoare“ auf den Tisch, von der, sobald der Teller leer ist, sofort nachgeschöpft wird. Als beim zweiten Nachschöpfen „höflich verneint“ wird, stellt die Gastgeberin enttäuscht fest: „Sie hat Ihnen nicht geschmeckt!“. Die Gastgeberin hört auch nach dem fünften Gang nicht auf mit der Aufforderung, sich zu bedienen und zu essen, bis der Bogen überspannt wird und dem Erzähler nur noch eine Möglichkeit übrig bleibt: sich ins Absurde zu flüchten.
Was jedem Siebenbürger Sachsen einmal passiert sein muss, beschreibt der Autor im Kapitel „Adam ist überall“. Beim Besuch eines Stammtisch-Treffens von Landsleuten in Heilbronn stellt der Ich-Erzähler verblüfft fest, dass er mit jeder zufälligen Bekanntschaft eine Verwandtschaft herstellen kann. Er lernt die Tochter seines Cousins 5. Grades und später seine 25 Jahre jüngere Großtante kennen. Als es jedoch so weit geht, dass laut Stammbaum, Binder feststellen muss, er sei sein eigener Sohn und gleichzeitig sein Urgroßvater, stellt er seine Besuche beim Stammtisch ein.
Im Nachwort fasst Runa Verlandi ein paar Gedanken zu dem Buch zusammen. Sie nennt darin Kurt H. Binders „unverwechselbares Markenzeichen: Uriger Humor, präsentiert in einer erstaunlich fein differenzierten thematischen Vielfalt, von der das gesamte Buch durchgehend geprägt ist.“ In seinem dialogisierten Vorwort „Interview mit meinem Alter Ego“ erklärt Kurt H. Binder, dass er den Menschen mittels seiner Geschichten den Spiegel vorhalten will, „obwohl die meisten ihre Macken auch dann nicht erkennen, oder – nicht erkennen wollen!“.
Kurt H. Binders „Mixed Pickles“ liest sich schnell und ist leicht verdaulich. Gewürzt mit viel Humor, einer Prise Absurdität und einer Messerspitze Skurrilität ist es das perfekte Buch für lange Winterabende.
Cynthia PINTER