„Geflichsel”, Hanklich, kalter Braten

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Vierter Wettbewerb der siebenbürgisch-sächsischen Mundart in Michelsberg

Ausgabe Nr. 2590

Wie entsteht ein „Geflichsel“? Bei der vierten Auflage des siebenbürgisch-sächsischen Mundartwettbewerbs zeigte Juliane Henning (auf der Bank sitzend, mit Hut) auf dem Pfarrhof in Michelsberg, wie Stroh geflochten wurde. Im Zuge von Sanierungsarbeiten an einem Haus neben dem Silberbach fanden die Eigentümer auf dem Dachboden einen alten Holzkoffer voller eingeschwefelter Bündel Stroh (im Bild rechts unten).                      
Foto: Beatrice UNGAR

„Es gibt ein nützliches Ding, das wir zum Lesen brauchen, es ist die Brille. Wie heißt die Brille echt mundartlich?“ So lautete die erste Frage für die Teilnehmer der Kategorie bis 14 Jahre beim vierten internationalen Wettbewerb der siebenbürgisch-sächsischen Mundart, der am 11. August in Michelsberg stattgefunden hat. Die richtige Antwort lautete ūjeschpäjel“ (Augenspiegel). Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Sigrid Haldenwang, die wie auch bei den ersten drei Auflagen die Fragen vorbereitet hatte, akzeptierte allerdings auch die als städtisch“ eingeschätzte Variante ūjeglǟss“ (Augenglas). Obwohl nur zwei Teilnehmer – Thomas Kattesch und Simon Tartler – in dieser Kategorie mitmachten und beide den zweiten Preis erhielten, war es spannend.

 

Die drei Besten in der Kategorie über 36 Jahre (v. l. n. r.): Rosemarie Chrestels (1. Platz), Franz Kattesch (3. Platz) und Irmentraud Philippi (2. Platz) freuten sich genauso über die Preise wie die Jüngsten.
Foto: Beatrice UNGAR

Weitere Fragen in dieser Kategorie waren: Übersetze den Satz in deine Mundart: Großmutter, soll ich dir die Brille bringen?“ Die richtige Antwort: grīssmoter soal ich der den ūjeschpäjel brängen?“; Welche Bezeichnung kennst du in der Mundart für den Hahn?“ Antwort: der kokesch“.

Wer die HermannstädterZeitungaufmerksam liest, könnte auch an dem Sächsisch-Turnier“ teilnehmen, wie der verstorbene Paul Philippi den Wettstreit genannt hatte. Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Sigrid Haldenwang erklärt dort monatlich in der RubrikIm Jahreslauf“ siebenbürgisch-sächsische Wörter und Redensarten.

Die jüngsten Wettbewerbsteilnehmer waren Thomas Kattesch (links) und Simon Tartler.
Foto: Beatrice UNGAR

Für die Kategorie 15-35 Jahre – hier konkurrierten die drei Schwestern Petra, Juliane und Anna Katharina Henning – hatte Dr. Haldenwang u. a. folgende Fragen vorbereitet: Übersetze folgende Redensart und deute sie: ’schmeiss gield än de boach te seisd ed af de gorefoastdoach!‘ (wirf Geld in den Bach, du siehst es am Pferdepfingsttag); Für eine bestimmte Vogelart gibt es mundartlich verschiedene Synonyme: Schargatz, Tschagerak, Tschargatz, Schalaster, Zārke. Wie heißt diese Vogelart hochdeutsch?“ Die Antwort lautete: die Elster. In dieser Kategorie siegte Petra Henning, gefolgt von ihren Schwestern Juliane und Anna Katharina.

Die meisten Teilnehmer meldeten sich in der Kategorie ab 36 Jahre an. Dementsprechend schwieriger lauteten die Fragen. Eine bezog sich auf siebenbürgisch-sächsische Redensarten, die die Bedeutung niemals“ zum Ausdruck bringen. Als mögliche Antworten galten: wun de bäffel fläjen(wenn die Büffel fliegen); wun de meis af stelzen gōn(wenn die Mäuse auf Stelzen gehen); wun de gore fläjen (wenn die Pferde fliegen); um gorefoastdoach(am Pferdepfingsttag); um nemerīszdoach(am Nimmermehrstag). Als Siegerin ging die aus Neustadt bei Kronstadt stammende Rosemarie Chrestels hervor, den zweiten Platz belegte Irmentraud Philippi und den dritten der einzige männliche Teilnehmer, der gebürtige Michelsberger Schauspieler Franz Kattesch vom Deutschen Staatstheater Temeswar.

Honorarkonsul und Schirmherr Daniel Plier mit den drei Preisgekrönten der mittleren Kategorie, die drei Schwestern Petra, Anna Katharina und Juliane Henning; im Vordergrund rechts die Sprachwissenschaftlerin Sigrid Haldenwang.                                                       
Foto: Beatrice UNGAR

Die Preise überreichte als Schirmherr der Veranstaltung der Honorarkonsul des Großherzogtums Luxemburg in Hermannstadt, Daniel Plier, nach dem leckeren Mittagessen auf dem Pfarrhof. Das Essen hatten die Michelsbergerinnen zubereitet, es gab kalten Braten mit Kartoffel- und Krautsalat.

Während die Gäste bei Hanklich und Kaffee gemütlich im Schatten des Nussbaumes saßen, las Daniel Plier Gedichte in Letzebuergisch vor, u. a. von Edmond de la Fontaine (Dicks) und Roger Manderscheid.

Wer lernen wollte, wie man Stroh flechtet, hatte nach dem spannenden Vortrag von Ortspfarrer Stefan Cosoroabă zum Thema Die fernen Sachsen. Siebenbürgisch-sächsische Diaspora außerhalb Siebenbürgens in den letzten 500 Jahren“ die Gelegenheit dazu. Juliane Henning und auch ihr Vater, Kurator Michael Henning, gaben gerne Auskunft und zeigten vor, wie ein Geflichsel“, wie die Michelsberger das Strohgeflecht nennen, das als Rohstoff“ u. a. für Strohhüte dient, nennen, entsteht.

Und nicht zuletzt konnte man erfahren, dass es den so genannten Pferdepfingsttag tatsächlich gegeben hat. Das ist der Tag, an dem die Ost- und Westkirche gemeinsam Pfingsten feiern, dann haben die Pferde frei. Fielen Ostern und Pfingsten nicht zusammen, borgten sich die jeweiligen Bauern, die keinen Feiertag hatten, die Pferde von den Nachbarn aus, die gerade den Feiertag ehrten aus, um mit mehr Pferdestärke“ auf dem Feld arbeiten zu können.

Die Veranstaltung hatte Ende Juni 2014 erstmals unter dem Motto „Backen, Bockeln und Begeisterung“ stattgefunden und hat sich inzwischen zu einem regelrechten Fest der Gemeinschaft entwickelt, das natürlich allen offen steht.

Beatrice UNGAR

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Tradition.