„Flammen, Rauch und Blut auf den Straßen”

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440 Verletzte bei dem „Protest der Diaspora” in Bukarest am 10. August

Ausgabe Nr. 2590

Zwei Wochen nach dem gewalttätigen  „Protest der Diaspora” in Bukarest vom 10. August bleiben noch viele Fragen offen, eine zwischen PSD-Anhänger und den „Rezist”-Mitgliedern gespaltene Gesellschaft und jede Menge  Verschwörungstheorien.  440 Personen wurden bei dem Protest verletzt, gegen die Gendarmen wurden bis jetzt um die 400 Klagen eingereicht.

 

Verbal angegriffen, insbesondere in den sozialen Netzwerken, wurde in den letzten Tagen auch Staatspräsident Klaus Johannis, sowohl von PSD-Anhängern, als auch von „Rezist”-Mitgliedern und u. a. von dem Pressesprecher des Ex-Premierministers Dacian Cioloş, der als zukünftiger Präsidentschaftskandidat seiner frischgebackenen Partei gehandelt wird. Die PSD-Mitglieder warfen Johannis vor, er habe in den letzten zwei Jahren mehrmals probiert, die Gesellschaft zu spalten und die Regierung zu stürzen und die „Rezist”-Mitglieder sind unzufrieden, da Johannis angeblich zu wenig impliziert sei und nicht seiner Rolle gemäß handeln würde.

Angekündigt wurde der „Protest der Diaspora” schon Anfang des Sommers und Emanuel Cioacă, ein in England lebender Rumäne, stellte den Antrag für diesen Protest, der von dem Bukarester Bürgermeisteramt für den 10. August autorisiert wurde.

Gesprochen wurde in den sozialen Netzwerken – wo der Protest auch angemeldet wurde und sehr schnell erfolgreich und massiv geteilt wurde – von einer Million Teilnehmer. Mehrere Personen kündigten da an, mitmachen und mit Gewalt wieder Ordnung im Land schaffen zu wollen. Ovidiu Grosu, der sich als inoffizieller Organisator des Protestes der Presse vorstellte, meldete auch, dass er „Flammen, Rauch und Blut auf den Straßen” sehen wolle, dieser wurde allerdings vom DIICOT (Rumänische Ermittlungsbehörde gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus) verhört und ihm wurde die Teilnahme am Protest verboten. Im Netz teilten mehrere Personen weiterhin mit, aggressiv vorgehen zu wollen, sowohl Unterstützer als auch Gegner des Protestes erklärten, dass die jeweilige Gegenseite diese Aktionen bezahlen würde, um die Proteste zu stören.

In der Woche vor dem Protest zog sich Emanuel Cioacă als Hauptorganisator des Protestes zurück, unter dem Vorwand, das Bukarester Bürgermeisteramt habe ihm nicht rechtzeitig ein Protokoll über den Verlauf des Protestes geschickt.

Am 10. August versammelten sich bereits um die Mittagszeit die ersten Demonstranten auf dem Victoriei-Platz, die Gendarmen trugen Kampfbekleidung. Gegen 16.30 Uhr versuchte eine Gruppe Demonstranten in den Victoriei-Palais, den Regierungssitz, einzudringen, die Gendarmen setzten  Tränengas ein, um sie zu verstreuen.

Auf dem Victoriei-Platz versammelten sich inzwischen mehrere Zehntausende Menschen – die Presse berichtete von 60.000 bis 100.000 Personen –  einige von ihnen in Begleitung von Kleinkindern, wie oft bei den Protesten in den letzten Jahren. Skandiert wurde gegen die Regierung und den PSD-Chef Liviu Dragnea, es kam mehrfach zu Handgreiflichkeiten zwischen den Demonstranten und den Gendarmen. Die Situation spitzte sich im Laufe des Abends zu, mehrere Demonstranten warfen mit Steinen und Tüten mit Fekalien – diese wurden in einem eigens dafür auf den Platz  gebrachten Kleinbus „gesammelt“ – auf die Gendarmen. Die Gendarmerie gab in den sozialen Netzwerken bekannt, unter den Demonstranten befänden sich aggressive Personen und forderten Frauen mit Kindern  auf, den Platz zu verlassen.

Gegen 20 Uhr erhielten die Gendarmen den Befehl, den Protest zu beenden, massiv gingen diese vor, setzten Tränengas und Wasserwerfer ein, gegen Mitternacht waren die meisten Demonstranten nicht mehr am Platz.

Mehr als 440 Personen wurden dabei verletzt, gab das Inspektorat für Notsituationen bekannt, davon 24 Gendarmen, rund 65 Personen wurden ins Krankenhaus eingeliefert.

Regelrechte Kriegsszenen konnte man auf den verschiedenen TV-Sendern sehen, gezeigt wurde u. a. eine Gendarmin, die brutal von mehreren Männern zusammengeschlagen wird, bis andere Demonstranten sie aus der Menge ziehen. Die Frau wurde ins Krankenhaus eingewiesen, inzwischen auch entlassen. Ihr wurde allerdings auch die Waffe gestohlen, zehn Tage später meldete die Gendarmerie, diese wieder gefunden zu haben.

Gefilmt wurden auch viele Gendarmen, die auf Demonstranten losgehen, die mit erhobenen Händen da stehen, und diese niederschlagen. Mehrere Journalisten und Touristen wurden ebenfalls von den Gendarmen verletzt. Mehrere Teilnehmer – unter ihnen Mütter mit Kleinkindern – berichteten, dass sie ohne jeglichen Grund mit Tränengas angesprüht wurden. Viele melden auch, dass Tränengas und Wasserwerfer ohne Vorwarnung benutzt wurden. Zehn Tage nach den Protesten verstarb ein  68jähriger Teilnehmer, der vier Tage nach den Protesten ins Krankenhaus eingewiesen worden war. Staatsminister Raed Arafat erklärte, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass das Tränengas als Todesursache in Frage kommt, da einerseits der Mann herzkrank war und an einem Magengeschwür litt und andererseits es ihm erst vier Tage nach den Protesten übel geworden sei, allerdings müsse man auf die Ergebnisse der Autopsie warten müssen.

Staatspräsident Klaus Johannis forderte am Tag nach den Protesten die Regierung auf, die Vorgehensweise der Gendarmerie zu untersuchen und lückenlos aufzuklären, da eine Attacke auf das eigene Volk in der EU inakzeptabel sei.

Innenministerin Carmen Dan erklärte wenige Tage nach dem Protest, dass man versucht, sowohl die aggressiven Demonstranten, als auch die brutalen Gendarmen zu bestrafen, dabei sei es allerdings noch sehr kompliziert, die vielen Informationen zu verwalten und zu bearbeiten. Es gäbe bereits erste Ergebnisse, die seien allerdings noch geheim. Gegen 21 Demonstranten und fünf Gendarmen werde zur Zeit ermittelt.

Auch das Militärgericht ermittelt in der Sache, zur Zeit haben mehr als 400 Personen Klagen gegen die Gendarmerie eingereicht, mehrere Hundert wurden bereits angehört. Die Oppositionsparteien bieten  denjenigen, die Klage einreichen wollen, Unterstützung an.

Premierministerin Viorica Dăncilă erklärte in einem Brief an die EU-Spitze, dass  die Gendarmen gerechtfertigtermaßen eingegriffen hätten, damit die Situation nicht außer Kontrolle gerät, der Brief wurde von den Oppositionsparteien als glatte Lüge bewertet.

Inzwischen blühen die Verschwörungstheorien, in der Presse werden beide Seiten beschuldigt, aggressive Personen unter die Demonstranten eingeschleust und bezahlt zu haben, um diesen zu diskreditieren. Unklar sei auch die Situation der geschlagenen Gendarmin und der ihr gestohlenen Waffe, die man angeblich seit 2017 nicht mehr benutzt. Gemunkelt wird auch von einem Kampf zwischen den verschiedenen Geheimdiensten – auf der einen Seite Frankreich, Deutschland und Holland, auf der anderen Seite USA und Russland – die um die Ressourcen Rumäniens kämpfen, und nicht nur die Dăncilă-Regierung, sondern auch Staatspräsident Klaus Johannis zugunsten von Dacian Cioloş stürzen wollen. Dabei seien die unzufriedenen Rumänen aus dem In- und Ausland einfach als Manövermasse ausgenutzt worden.

In den sozialen Netzwerken spricht man bereits von weiteren massiven Protest in Bukarest und im Land, ein Organisator hat sich allerdings nicht gemeldet, auch das genaue Datum scheint ebenfalls nicht festgelegt zu sein.

Ruxandra STĂNESCU

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Gesellschaft, Politik.