Begegnung mit der Burghüterin Dana Crişan aus Kirtsch/Curciu
Ausgabe Nr. 2587
Seit drei Jahren hat die Lehrerin Dana Crişan keinen Urlaub mehr gemacht, die rastlose Burghüterin schätzt die Ruhe in ihrer Kirchenburg sehr. Auch ihre Familie ist involviert – vom Glocke Läuten bis zum Rasen Mähen. Nebenher hat sie ein wachsames Auge auf die Maulwurfhügel innerhalb der Ringmauer und auf alles was in und um Kirtsch herum passiert. Die Mitarbeiterinnen der Stiftung Kirchenburgen haben sie besucht. Mit der Kirtscher Burghüterin Diana Crişan sprach die ifa-Kulturassistentin Aurelia B r e c h t.
Was verbinden Sie mit diesem Ort und wie kamen Sie zu Ihrer Aufgabe?
Ich bin hier geboren – am 27. Februar 1976 – und ich glaube, die Verbindung zu der Kirchenburg ist schlicht und einfach die, dass ich unter Sachsen aufgewachsen bin. Ich habe viel von ihnen gelernt und nicht nur über sie – denn ich spreche auch sächsisch. Zu meiner Aufgabe: Ich beschäftige mich mit den Touristen. Im Sommer, wenn sie die Kirchenburgen besuchen möchten, bin ich immer hier. Und ich freue mich auf diese Besuche, denn es macht mir viel Freude, die Leute zu empfangen. Meine Tätigkeit gefällt mir auch deswegen sehr, weil ich den ganzen Tag meine Fremdsprachen, Englisch und Deutsch, einsetzen kann.
Wie ist Ihre Verbindung zur Kirche?
Ich bin orthodox. Aber meine starke Verbindung kommt durch den Glauben. Als ich zehn Jahre alt war, starb mein Vater und ich musste schon früh selbstständig sein. Es ist nicht leicht in diesem Alter plötzlich ohne Vater auszukommen. Hier ist ein Platz, an dem ich Ruhe finde und ich habe das Privileg, dass ich jeden Tag hier sein kann. Nicht nur zum sonntäglichen Kirchgang. Ich bin orthodox, aber was mir am lutherischen Glauben gefällt, ist, dass man durch seinen Glauben frei wird. Diese Vorstellung gefällt mir sehr. Und alles ist hier einfacher, zugänglicher. Diese Kirchenburg ist einfach ein besonderer Platz – denn jeder trägt etwas in seinem Herzen, das er nur in der Ruhe mit Gott besprechen kann und das geht an einem solchen Ort gut.
Wie stellt sich der Bezug der Kirtscher, bzw. der Nicht-Sachsen heute zur Kirchenburg da?
Viele Leute fragen, was in der Kirchenburg passiert und sind stolz, dass viele Touristen und Fremde unser Dorf besichtigen. Und nicht nur das – die Dorfbewohner sind auch froh, dass Herr Alischer, wenn ein Gewitter kommt, die Glocken läutet. Die alten Leute, die Gärten haben, sagen dann immer: „Was für ein Glück! Der Hagel kommt nicht, weil die sächsischen Glocken läuten.“ Wir hören also die Stimme der Glocken jeden Tag – am Morgen, am Abend, und wenn Regen kommt. Und auch zu Beerdigungen läuten wir die Glocken noch. Als eine Frau aus den USA, die aus Kirtsch stammt, kürzlich starb, bat mich ihre Tochter darum, die Glocken zu läuten. Die Aufnahme davon habe ich ihr dann geschickt. Es gibt einen starken Wunsch der Leute, dass so etwas in der Heimat gemacht wird. In Amerika ist es ja acht Stunden später – und da haben wir uns hier um neun Uhr abends zusammengefunden und geläutet. Ich glaube, die Verbindung zwischen der Kirche und den Bewohnern von Kirtsch besteht nicht nur, weil viele Touristen und Fremde ins Dorf kommen, sondern auch weil sie wissen, dass es wichtig ist, dass die Glocken läuten. Es gibt schon sehr viel Respekt gegenüber den Sachsen. Die Rumänen und die Sachsen haben sich hier immer gut verstanden – es gab keine Konflikte zwischen ihnen. Und die jetzigen Dorfbewohner sagen immer, es war schöner, als die Sachsen noch da waren.
Haben Sie durch Ihre Tätigkeit als Lehrerin Gelegenheit, Kinder und Jugendliche an das Kulturerbe der Kirchenburgen heranzuführen?
Ja, in der Projektwoche „Şcoala altfel“, auf Deutsch „Schule anders“, war ich zweimal mit den Kindern von der Schule hier und habe ihnen die Geschichte der Kirche präsentiert. Viele der Kinder haben gesagt, dass sie nicht wussten, dass die Kirche aus ihrem Dorf so wichtig ist und waren begeistert. Ich glaube aber, dass man so etwas mehrmals machen muss, nicht nur einmal im Jahr. Vielleicht könnte man Zeichnungen machen oder andere Projekte. Wir haben vor ungefähr drei Jahren Zeichnungen von Kirchenburgen zu einem Wettbewerb nach Hermannstadt geschickt. Und als Lehrerin glaube ich, dass wir den Kindern mehr über das erzählen müssen, was wir hier in diesem Ort erlebt haben. Über die Geschichte, die ja auch die Geschichte dieser Kinder ist. Jemand der das erlebt hat, muss es an sie weitergeben.
Meine Mutter hat z. B. auf der Post gearbeitet – den ganzen Tag habe ich den Sommer über geholfen, die Zeitungen zu verteilen. Wenn ich bei den Sachsen damit vorbeikam, haben alle immer Sächsisch mit mir gesprochen. Ich erinnere mich noch gut: Nach dem Fall der kommunistischen Regierung begannen die Sachsen aus Kirtsch auszuwandern. Aber ich war klein und verstand nicht, warum sie sich freuten. Wenn ich mit der Post kam, fragten sie immer: „Hast Du uns etwas mitgebracht? Die RU-Nummer! Die RU-Nummer!“ Warum freuten sich die Leute so? Auf was für einen Brief warteten sie? Da hat mir meine Mutter erklärt, dass sie mit diesem Brief nach Deutschland auswandern durften. Das sind Dinge, die erzählt werden müssen.
Würden Sie sagen, dass Ihr Engagement auch so etwas wie eine Hommage an das Zusammenleben von Sachsen und Rumänen im Dorf ist?
Auf jeden Fall. Das Erlebte schreibt sich einem ein, es bleibt. Wenn man hier geboren ist und das alles hier erlebt hat, dann kann man das nicht vergessen. Die Sprache und die Nachbarn – einfach alles. Und ich hatte eigentlich auch viele Möglichkeiten, aus dem Dorf wegzugehen, aber ich wollte nicht. Mir gefällt es hier. Ich will bleiben.
Sind denn hier viele Leute zugezogen?
Die meisten hier sind Rumänen, die die Häuser von den Sachsen gekauft haben. Denn nach der Revolution durften die Häuser verkauft werden. Aber diejenigen, die vor der Revolution gegangen sind, mussten die Häuser dem Staat überlassen. Und es gibt auch drei Familien – Sachsen – die die Häuser nicht verkauft haben. Das sind unsere Sommersachsen. Sie kommen her und bleiben den ganzen Sommer.
Wer kommt eigentlich nach Kirtsch zu Besuch?
Die meisten Touristen kommen aus Deutschland, aber auch aus Rumänien. Und viele Studierende kommen, um die Architektur bewundern. Aber wenn ich mir die Statistik ansehe – ich habe ein Heft in das ich alle Touristen eintrage – da habe ich auch Überraschungen erlebt. Ich habe Besucher aus Australien gehabt, aus Südafrika, aus Schweden, aus Frankreich. Wenn ich mir überlege was Kirtsch für ein kleines Dorf ist – dass es oft nicht auf der Landkarte verzeichnet ist! Und trotzdem kommen Touristen aus aller Welt her, um es zu besichtigen – das zeigt wie wichtig und wertvoll die Kirche ist. Und die meisten signalisieren mir, wie überrascht sie sind. Es gefällt ihnen was sie hier vorfinden und das macht mich zufrieden.
Welche Fragen stellen Ihnen die Besucher von Kirtsch besonders oft?
Viele fragen nach dem Baujahr der Kirchenburg, ein anderer Teil der Besucher interessieren sich dafür, wie die Rumänen und Sachsen sich verstanden haben und warum die Sachsen nach Deutschland ausgewandert sind. Ich antworte dann immer: Vielleicht für Freiheit, für ein besseres Leben, weil es im Kommunismus nicht leicht war und sie ein besseres Leben wollten. Und viele, die im Westen Verwandte hatten, haben von den bereits Ausgewanderten gehört, dass es im Ausland leichter ist, dass dort die Freiheit ist, und dann sind sie weg. Es wird dann immer gesagt, dass sie hätten bleiben sollen. Ich kann nicht voll beantworten warum sie weg sind – jeder hatte seinen Grund. Aber es ist schade. Sie haben hier sehr schöne Häuser gebaut und waren bekannt, hatten die schönsten Tiere im Stall und waren sehr fleißig. Und die sächsische Gemeinschaft war eine starke Gemeinschaft: Jeder wusste von jedem. Wann jemand geboren ist, über die Verwandten, usw. Beeindruckend ist für viele Besucher auch, dass die Kirche nicht nur ein Platz zum Beten war, sondern auch ein Platz, an dem die Sachsen sich und ihre Gemeinschaft geschützt haben, vor den Überfällen der Türken und Tataren.
Wie war Ihre Erfahrung mit Ihrer ersten Besuchergruppe?
Es war nicht so leicht, weil ich nicht wusste, was sie von mir erwarten. Ich wollte meine Aufgabe gut machen und habe mir Sorgen gemacht, dass Fragen gestellt werden, auf die ich keine Antwort weiß. Ich muss immer auf dem Laufenden bleiben, lesen, um mein Bild und mein Wissen zu komplettieren. Da habe ich am Anfang etwas Angst gehabt, aber nach drei Runden war schließlich alles in Ordnung. Es gibt einfach Touristen, die sehr interessiert an Architektur sind, aber ein Fremdenführer muss auch erfühlen wie die Touristen sind. Was sie gerne haben möchten muss der Fremdenführer ihnen geben.
In Ihrer Zeit als Burghüterin treffen Sie mit unterschiedlichen Menschen zusammen. Gab es ein Ereignis, das Sie besonders beeindruckt hat?
Vieles war besonders. Und vor ein paar Wochen ist etwas Schönes passiert. Martin Rill war hier nämlich ein einziges Mal mit seiner Frau zu Besuch – ganz zu Anfang meiner Tätigkeit. Das war irgendwann im Frühjahr und ich habe hier einfach saubergemacht – das heißt, wir haben uns nur einmal gesehen. Und vor einem Monat ungefähr erreichte mich dann eine Einladung zu einer Buchvorstellung nach Bogeschdorf. Ich habe mich darüber sehr gefreut, zumal ich auch ein Buch geschenkt bekommen habe, das Informationen über 36 Dörfer in Siebenbürgen enthält. Demnächst kann ich den Besuchern also auch Hinweise zum Altar in Bogeschdorf geben, der sehr wertvoll ist.
Wo sehen Sie die Kirchenburg in zehn Jahren? Welche Entwicklungen wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir, dass in zehn Jahren noch mehr Touristen kommen. Dass Kirtsch zu einem Ort wird, einem ruhigen Platz, an dem sie sich wohl fühlen und viele Informationen über ganz Siebenbürgen bekommen. Vielleicht könnte die Orgel repariert werden und man lässt hier Konzerte stattfinden. Auch mit der leerstehenden Organistenwohnung könnte man etwas machen. Vielleicht einen Ort schaffen, an dem die Besucher ein wenig verweilen können, wo man zur Ruhe kommt und die Stille der Kirchenburg erfühlt. Dass sich die Touristen gut aufgehoben fühlen, ist meiner Meinung nach das Wichtigste. So versuche ich es auch insgesamt zu halten – dass ich einen Platz schaffe, an dem man sich wohlfühlen kann. Dass alles gepflegt und in Ordnung gehalten ist – das müssen wir nach außen zeigen. Natürlich muss man die Dinge weiterentwickeln und immer in Bewegung bleiben, für Neues offen sein. Es muss nichts von Grund auf verändert werden – das Alte muss bewahrt werden, aber man sollte sich bemühen, die bestehenden Angebote zu erweitern. Und so wird es dann weitergehen – damit auch die Kinder der Sachsen, die weggegangen sind, sehen können, was hier ist. Diese Schatzkammer muss erhalten werden.
Gab es in letzter Zeit ein Ereignis in Kirtsch, das Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben ist?
Am 10. September 2017 fand hier ein Gottesdienst statt und mein Mann sagte zu mir: „Hör mal, die Geräuschkulisse ähnelt den Geräuschen, als die Sachsen noch da waren.“ Zu diesem Gottesdienst waren ungefähr 70 Personen hier – und ich konnte alles aus meinem Hof, der an die Kirche grenzt, wahrnehmen. Das hat die Atmosphäre sehr verändert, seit drei Jahren gab es so eine Atmosphäre nicht mehr. Und ich wollte unbedingt beim Gottesdienst dabei sein – diese Gelegenheit wollte ich nicht verpassen.
Meine Tätigkeit hier gefällt mir sehr: Im Sommer ist es hier ganz anders – natürlich ist auch der Winter schön hier, und erst das Frühjahr! Dafür habe ich keine Worte, so schön ist es. Ich wünsche jedem der herkommt, dass er nachempfinden kann, was ich fühle. Vielleicht empfinden nicht alle Menschen so. Aber ich bin ein sehr glücklicher Mensch, weil ich das alles hier jeden Tag sehen kann. Und wenn ich in die Kirche gehe, habe ich immer mein eigenes Gebet. Ich bin orthodox – aber ich glaube, dass es egal ist, welche Religion man hat. Und wenn ich in die Kirche gehe, dann mit einem übervollen Herzen. In dieser Kirche habe ich meine Kraft gefunden.
Danke für das Gespräch!