Dankbar in allen Dingen

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Gespräch mit Dorothea Binder, langjährige Mitarbeiterin der evangelischen Kirche

Ausgabe Nr. 2585

 

Dorothea Binder in ihrem Garten.                          
Foto: Cynthia PINTER

Alle in Hermannstadt kennen sie als Dorle oder Dorli. Doch nicht viele wissen, wie Dorothea Binder nach Hermannstadt kam und wie vielfältig ihre Tätigkeiten im Dienst der evangelischen Kirche sind. Sie gibt zwar die letzten  Religionsstunden, die sie im Stadtpfarrhaus hielt, ab, ist jedoch so lange sie gebraucht wird, für die Kirchengemeinde da. Ein spannendes Gespräch mit Dorothea Binder führte HZ-Redakteurin Cynthia P i n t e r.

 

Stellen Sie sich bitte für unsere Leser vor.

Ich bin am 11. Januar 1949 in Wiedemar bei Leipzig geboren, als fünftes von acht Kindern einer wunderbaren Pfarrerfamilie. Vor dem Abitur hegte ich noch den Wunsch Medizin zu studieren,  entschied mich dann aber für Theologie. In Halle studierte ich fünf Jahre und beendete mein Studium zur Diplomtheologin mit dem 1. theologischen Examen. Den katechetischen Teil meines Vikariats konnte ich in der Nähe von Halle abschließen. Da lief  schon der Antrag für die Heirat mit einem rumänischen Staatsbürger. So bin ich nach der Hochzeit 1973 zu meinem Mann Hermann Binder nach Rumänien ausgewandert.

Wie kam es zu der Entscheidung, in Rumänien zu leben?

Mein Mann hatte die Möglichkeit, nach seinem Physikstudium in Klausenburg und seiner Tätigkeit als Lehrer in Stolzenburg, durch unsere Landeskirche eine Ausbildung zum Orgelbauer in der damaligen DDR in Anspruch zu nehmen. Während seiner Ausbildungszeit in Potsdam lernten wir uns bei einer Singwoche kennen. Für ihn war es selbstverständlich, dass er nach Rumänien zurückkehren würde. „Kommst du mit?“, fragte er, als es ernst wurde. „Ja, ich komme mit!“. So reiste ich 1971 allein nach Rumänien, um das Land und seine Familie kennenzulernen. Es war wie eine Reise in die Vergangenheit.

Was waren Ihre ersten Eindrücke von Rumänien?

Ich stieg in Kleinkopisch aus einem verspäteten Zug, stand allein auf einem schwarzen Bahnsteig, gegenüber rauchende Schlote und schwarze Dächer (die kannte ich schon aus meiner Heimat Halle/Leuna). Dann kam meine zukünftige Familie und das Leben wurde wieder bunt. In den nächsten zwei Wochen  staunte ich oft und wunderte mich nicht wenig über alte Kirchenburgen,  sandige Dorfstraßen mit Büffelkarren, Zigeuner (damals durfte man noch so sagen) in selbstgebauten Wohnwagen, einzigartig schön, freundliche Menschen, einen seltsamen Dialekt, fetten Büffelrahm auf dem Tisch, frisches selbstgebackenes Brot und immer Wein von der eigenen Weinlese. Ich konnte mir vorstellen, hier eine Zeit lang zu leben.

Waren Sie durch die Heirat direkt rumänische Staatsbürgerin?

Nein, keinesfalls. Ich musste als Ausländerin meine Aufenthaltsgenehmigung jährlich verlängern. Das war oft ein Märtyrergang. Man stand stundenlang im Warteraum und war froh, wenn der ersehnte Stempel noch am selben Tag in den Papieren landete. Die Dame am Schalter war gewöhnlich sehr reserviert. Bis zur Wende. Als ich 1990 die Verlängerung beantragen wollte, strahlte sie mich an und sagte, sie hätte mich im Fernsehen gesehen, als ich Heiligabend „Stille Nacht“ gesungen habe. Von da an waren wir ganz freundliche Menschen.

Wohnten Sie von Anfang an in Hermannstadt?

Nein. Zuerst wohnten wir drei Jahre in Arbegen, wo der Bruder meines Mannes Pfarrer war. 1976 zogen wir nach Hermannstadt. Mein Mann war 22 Jahre als Orgelbauer unserer Landeskirche angestellt. 1995 gründete er seine eigene Firma.

Welche Berufe haben Sie ausgeübt?

Als Theologin und noch nicht fertig ausgebildete Pfarrerin durfte ich, laut Staatsgesetz, in Rumänien nicht tätig sein. Neben dem Abitur mussten die damaligen Lyzeumsjahrgänge in der DDR eine Berufsausbildung machen. Ich wurde zum Betriebsschlosser ausgebildet  und lernte u. a. Schlösser zu bauen. Die Landeskirche stellte mich also als Schlosser in der Orgelwerkstatt meines Mannes an. Wir sind Ende der 1970-er Jahre zu den sächsischen Dörfern gereist bis in die Bistritzer Gegend, um den Zustand der Orgeln festzustellen und kleinere oder auch größere Reparaturen an den Orgeln vorzunehmen. In der Zeit habe ich die Orgeln kennengelernt, die Kirchen, die Seele der Sachsen und ihre Mundart. Wenn ich Sächsisch sprach, wurde ich immer wieder gefragt, „aus weller Gemin ku se?“. Das Erstaunen war jedesmal groß, wenn ich meine Herkunft bekannte.

Eines Tages  sprach mich der Pfarrer aus Heltau an, ob ich katechetischen Unterricht halten würde. Damals gab es Kindergruppen mit bis zu 50 Kindern. Noch nie hatte ich mit so vielen Kindern gearbeitet. Später rief mich Pfarrer Heinz Galter nach Neppendorf, wo die Jahrgänge auch sehr groß waren.  Ihm nahm ich ebenfalls ein paar Stunden ab. Pfarrer Galter war für mich ein sehr guter Mentor. Seine vorzüglichen Stundenvorbereitungen halfen mir, mich selbst gründlich vorzubereiten. Schließlich übernahm ich auch Stunden in Hermannstadt, zuerst im Stadtpfarrgebäude und später im Gemeindehaus am Hippodrom. In der Gemeinde Kastenholz erteilte ich in Vertretung kurze Zeit Konfirmandenunterricht. Nach der Wende war es möglich, als Religionslehrerin in den Schulen angestellt zu werden. Mit viel Freude habe ich an verschiedensten Schulen Hermannstadts mit deutscher Unterrichtssprache evangelischen Religionsunterricht gehalten. Für einige Jahre bereitete ich mit den Theologiestudenten unserer Theologischen Fakultät in Hermannstadt im Rahmen der Katechetischen Übungen Schulstunden und Angebote für  Kinder in unseren Gemeinden vor. Seit 2002 arbeitete ich als Erzieherin und später als Leiterin im Landeskirchlichen Schülerheim in der Fleischergasse in Hermannstadt. Seit 2011 bin ich pensioniert. Nach meiner Ankunft in Hermannstadt haben die  damaligen Pfarrfrauen mich zu den Kinderstunden, also den Kindergottesdienst für die Kleinsten der Gemeinde, eingeladen. Bis heute werden diese Gottesdienste von freiwilligen Helfern und Helferinnen gehalten. Ich bin auch noch gern dabei.  Der Religionsunterricht für Kinder, die keinen evangelischen Unterricht in der Schule haben, wird seit einigen Jahren in unserer Gemeinde erteilt. Dort habe ich bis zum Ende dieses Schuljahres ausgeholfen. Nun hoffen wir auf neue junge Kräfte, die diese Arbeit weiterführen.

Wie hat sich der Religionsunterricht in den letzten Jahren verändert?

Da ich nicht mehr in der Schule unterrichte, kann ich das nicht gut genug einschätzen. Ich nehme an, dass ein Religionslehrer es gegenwärtig wesentlich schwerer hat. Mit den heute angebotenen Medien kann Vieles besser und anschaulicher vermittelt werden als früher. Die Medien werden, meines Wissens, auch von unseren Religionslehrern genützt. Es gibt Lehrmaterial im Internet zu allen Themen unseres Unterrichtsplanes. Das bedeutet ansprechende Stunden müssen immer noch gründlich und fundiert vorbereitet werden. Das schaffen nicht alle. Außerdem ist die Übersättigung unserer Kinder mit negativen und nicht förderlichen Medieneinflüssen nicht aufzuhalten, was manchen Unterrichtenden Kraft, Geduld und Mut nimmt. Doch was geblieben ist oder was nie fehlen sollte in unserem Lehrauftrag, ist unsere persönliche klare Glaubenseinstellung – zumindest ist das in Rumänien noch erwünscht – und unsere  ganze Zuwendung oder mit einem alten Wort, unsere Hingabe an die, denen wir eine glückliche Zukunft als Christ und Mensch wünschen.

Hatten Sie jemals Zweifel und wollten zurück nach Deutschland?

Am Anfang hatte ich meinem Mann gesagt, wir könnten für zehn Jahre bleiben. Die Frist wurde verlängert bis zu den ersten grauen Haaren. Das war dann auch eingetreten, aber inzwischen fühlten sich unsere Kinder hier sehr wohl. Am schwersten war es nach der Wende. Ich kann mich erinnern, wie wir an manchen Abenden am Gartentürchen standen und nach und nach unsere Freunde verabschiedeten. Da war eine große Lücke entstanden. Dieser Schmerz bleibt.

Für meinen Mann stand das Auswandern gar nicht auf dem Programm. Er lebt für und mit den Orgeln in diesem Land. Das ist gut so.

Zwei unserer Töchter leben mit ihren Familien in Deutschland. Die Dritte ist nach dem Studium in Deutschland zurückgekommen nach Rumänien.

Die Zeit, die uns noch bleibt, könnten wir im Vertrauen leben, gefüllt mit Dankbarkeit und Zuversicht!

Für welche drei Dinge in Ihrem Leben sind Sie am dankbarsten?

Für meine Familie, meinen Mann, unsere drei Töchter, Schwiegersöhne und Enkel. Für die Kinder, mit denen und für die ich arbeiten konnte. Für die Musik, die mein Leben erfüllt hat und noch erfüllt. Als Konfirmandin suchte ich meinen Konfirmationsspruch selbst aus. Es ist ein Vers aus Psalm 103: „Ich will dem Herrn singen mein Leben lang und meinen Gott loben, so lange ich bin.“ Das passt immer noch!

Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Persönlichkeiten.