Zum Jubiläum keine Qual der Wahl

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Wenig Theater und viel Zirkus beim Hermannstädter Theaterfestival 2018

Ausgabe Nr. 2581

Feuerspeiende Skulpturen, brennende Girlanden und unzählige lodernde Tontöpfe. Feuer und Flamme waren die Zuschauer für die verschiedenartigen Installationen der Franzosen von „Cie Carabosse“, die zu Beginn der 25. Auflage des Internationalen Theaterfestivals am Großen Ring, im Astra- und Harteneckpark am Freitag- und Samstagabend zu bewundern waren. Geleitet von den Rhythmen einer Musik konnten sich die Besucher frei und ohne vorgegebene Richtung bewegen. Die Feuerkünstler traten schon im Kulturhauptstadtjahr 2007 beim Theaterfestival auf.         
Foto: Fred NUSS

Wer kann sich noch an den ersten Besuch des Theaterfestivals in Hermannstadt erinnern? Für mich war das 2005. Damals noch als Mitarbeiterin der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänienwar die Begeisterung groß und noch größer die Auswahl. Ich ging immer um 16 Uhr zur ersten Vorstellung des Tages und blieb bis gegen Mitternacht in der Stadt. Das waren in etwa vier bis fünf Stücke pro Tag. Man rannte quasi von einer Theatervorstellung zur anderen, denn nur selten fanden die Inszenierungen im gleichen Haus statt. Die Veranstalter warteten mit dem Beginn oftmals auf die verspäteten Gäste.

Die Insignien eines Ehrenbürgers des Kreises Hermannstadt überreichte die Kreisratsvorsitzende Daniela Cîmpean (links) im Rahmen einer Feierstunde zum Auftakt des Theaterfestivals an dessen Initiator und Leiter, Constantin Chiriac.                                                       
Foto: Rareș HELICI

Die Auswahl war 2005 riesig und oft hatte man zwei gute Theaterstücke zur selben Uhrzeit und musste sich entscheiden. Heute, 13 Jahre später, ist das leider nicht mehr der Fall. Ich musste die Theaterstücke mit der Lupe im vollgeschriebenen Programm suchen. Mehr als zwei sehenswerte – ich unterstreiche – „Theaterstücke“, also Inszenierungen, am Tag konnte ich nicht finden.

Zehn Tage, 3.300 Künstler aus 73 Ländern und 525 Events. Damit loben sich die Veranstalter vom Radu Stanca-Nationaltheater dieses Jahr. Zählt man jedoch alles zusammen, kommt man zu folgendem verblüffenden Ergebnis: Von diesen 525 Events handelt es sich bei lediglich 80 (!) um klassische Indoor-Theatervorstellungen. Davon sind etwa die Hälfte Produktionen des Radu Stanca-Nationaltheaters, die man schon während der vergangenen Spielzeit gesehen hat.

Einen der schrillsten Auftritte bei Straßenspektakeln boten die aus Teneriffa angereisten „Los Joroperos“.                                  
Foto: Fred NUSS

Der Rest sind u. a. Tanzvorstellungen (40 an der Zahl), Konzerte (91) oder Zirkusvorstellungen (47). Der Rest sind Ausstellungen, Buchvorstellungen, Installationen und Workshops.

Gute Laune verbreiteten die Schauspieler vom Tokyo Metropolitan Theatre & NODA MAP in der Inszenierung „Eine grüne Flasche“. Der Regisseur Hideki Noda (rechts) spielte in Travestie die Hausfrau. 
Foto: Paul BĂILĂ

Von den wenigen Theatervorstellungen, die man dieses Jahr beim Internationalen Theaterfestival, das unter dem Motto „Leidenschaft“ läuft, im Programm hatte, waren ein paar auch sehenswert. Begonnen hat das Festival am Freitag, dem 8. Juni und dauert bis inklusive Sonntag, dem 17. Juni. Am ersten Festivaltag konnte man im Theatersaal des Radu Stanca Theaters das Stück „One Green Bottle“ (Eine grüne Flasche) des Tokyo Metropolitan Theatre & NODA-MAP aus Japan besuchen. Es ist ein satirisches Theaterstück von Hideki Noda über die Selfie-Generation. Die Olivier-Preisträgerin Kathryn Hunter glänzt in der Rolle des japanischen Patriarchen Bo, des „Meisters der klassischen Bühne“, Hideki Noda spielt als Frau verkleidet seine Ehefrau Boo, die leidenschaftlich für die Boyband „Boyz of Noise“ schwärmt und Glyn Pritchard schlüpft in die Rolle der Teenager-Tochter mit Handy-Sucht Pickle. In dem Stück geht es darum, dass alle drei Familienmitglieder gleichzeitig ausgehen wollen, aber jemand zu Hause mit der hochschwangeren Hündin Princess bleiben muss. Es beginnt ein Kampf um die besseren Argumente bis sie sich schließlich gegenseitig Fußschellen anlegen, um das Ausgehen zu verhindern. Sie werden zu Gefangenen im eigenen Heim. Für die musikalische Umrahmung sorgte der legendäre japanische Kabuki-Musiker Denzaemon Tanaka XIII.

Alexandra Badeas Stück „Zersplittert“, wurde vom Ensemble „Apollo 111″ aus Bukarest im Gong-Theater aufgeführt.
Foto: Maria ȘTEFĂNESCU

„Pulverizare“ (Zersplittert) hieß ein zweites empfehlenswertes Stück des Theaters „Apollo 111“, von Alexandra Badea, unter der Regie von Andrei Măjeri, das am Samstag, dem 9. Juni, im Obergeschoss des Kinder- und Jugendtheaters „Gong“ inszeniert wurde. Darin werden vier Personentypen vorgestellt, auf die man heutzutage nicht selten trifft. Der Head of quality im Zulieferungsbereich, dessen ständiger Begleiter der Jetlag ist und der so oft unterwegs ist, dass er meist nicht weiß, wo auf der Welt er gerade ist, sondern nur, dass alles hier nicht zu ihm gehört, er selbst letztendlich auch nicht. Mit seiner Familie führt er per Skype nichtssagende Gespräche. Der Teamleiter im Call-Center in Dakar muss bei der Rekrutierung neuer Arbeitskräfte französische Namen verteilen, denn der Kunde aus Frankreich diktiert das Geschäft. Wer sich widersetzt, fliegt raus. In der Fabrik in Shanghai werden Arbeit und Körper der Arbeiter reglementiert, es gilt Sprechverbot, Toilettengänge sind limitiert. Für die Versuchs- und Entwicklungsingenieurin in Bukarest beginnt der Arbeitstag auf einem ergonomischen Stuhl umgeben von Waldesduft aus dem Aromaeasy-Spray. Ihr Streben nach Exzellenz hat sich längst in ihr Privatleben eingeschlichen, sie überwacht nicht nur Excel-Tabellen, sondern per Video das Kind zu Hause, den Babysitter, sogar die Raumtemperatur. Alexandra Badea stellt Menschen vor, deren Leben nur aus Arbeit besteht, deren Erfolge den Alltag diktieren und denen jede Beziehung abhanden kommt. Es spielten Smaranda Caragea, Ada Galeș, Alex Bogdan und Nicholas Cațhianis.

Wer Victor Rebengiuc und Mariana Mihuț live auf der Bühne erleben wollte, konnte sich „Regele moare“ (Der König stirbt) von Eugène Ionesco ansehen, die Vorstellung wurde an zwei Tagen gezeigt. Vorgeführt wurde das Theaterstück von Schauspielern des „Ion Luca Caragiale“ Nationaltheaters Bukarest, unter der Regie von Andrei und Andreea Grosu. Lange vor Beginn des Theaterfestivals waren beide Vorstellungen ausverkauft.

Mit einem eindrucksvollen Maskenschauspiel bot die Berliner Familie Flöz unter dem Titel „Teatro Delusio“ im Redal Expo-Saal einen Blick hinter die Kulissen eines Theaterbetriebs.                  Foto: Sebastian MARCOVICI

Viel weniger ins Augenmerk des Publikums gelangte das Theaterstück „Teatro Delusio“ aus Deutschland unter der Regie von Michael Vogel und der Familie Flöz. Die drei Schauspieler Sebastian Kautz, Dana Schmidt und Daniel Matheus verzauberten die Zuschauer allein durch Gestik und Körpersprache, denn alle trugen Masken und sprachen kein einziges Wort. Das Stück ist eine Hommage an das Theater selbst und erzählt vom Leben der Menschen hinter der Bühne. Es geht um die Bühnenarbeiter Bob, Bernd und Ivan, die auf der Hinterbühne ihr Dasein fristen. Die drei, die dabei im Mittelpunkt stehen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Der lange Bernd, der aber ein Sensibelchen ist, am liebsten liest und träumt und Panikattacken bekommt, wenn er eine Leiter hochklettern soll. Der Angeber Bob, der mit seinen Werkzeugen hantiert, als wären es Waffen, und Bernd, wo immer sich dazu die Gelegenheit bietet, schikaniert. Und Ivan, einer, der gern isst und trinkt, der Fußballspiele und die Operndiva liebt, eigentlich ein ganz Gemütlicher. Trotzdem muss er den Chef rauskehren. Zwischen Bühne und Hinterbühne, zwischen Illusion und Desillusion entsteht ein magischer Raum voller anrührender Menschlichkeit. Bis dann plötzlich Bob, Bernd und Ivan selber auf den berühmten Brettern stehen, die ihre Welt bedeuten. Und auf der Bühne laufen alle theatralen Genres, von der opulenten Oper und dem wilden Degengefecht über die kaltblütige Kabale bis zur heißblütigen Liebesszene.

Zum Auftakt des Festivals marschierte die Shree Pipe Band aus London mit schottischen Dudelsäcken und Trommeln durch die Heltauergasse, ein Zeichen dafür, dass in diesem Jahr auch Prinz Charles Schirmherr des Festivals war.                                          
Foto: Fred NUSS

Fazit: Wie vor 13 Jahren ist das Internationale Theaterfestival nicht mehr. Dafür ist das Publikum umso zahlreicher. Bei der Eröffnungsshow am Freitagabend, bei der die Feuerspezialisten von „Cie Carabosse“ aus Frankreich auf dem Großen Ring, im Astra- und Harteneckpark Feuerinstallationen aufstellten, sollen über 100.000 Zuschauer gewesen sein. Das Programm des Festivals soll für jede und jeden etwas zu bieten haben. Dabei geht das Wesentliche langsam aber sicher verloren. Schade!

Cynthia PINTER

 

Ruhepole waren und sind im Rahmen des Theaterfestivals die Aufführungen in den verschiedenen Kirchen der Stadt. Jeweils im Vorfeld dieser Konzerte tragen Schauspieler Gedichte vor. Am Sonntag und am Montag trat Yohanna Grace mit ihrer Performance „Human Condition“ in der Johanniskirche auf, in der reformierten Kirche und in der Ursulinenkirche gab es Fado- bzw. Gospel-Konzerte. Das Fado-Konzert mit dem Solisten Cristiano de Sousa (Portugal) wird am Sonntag, dem 17. Juni, 14 Uhr, in der evangelischen Kirche in Deutschkreuz/Criț zu hören sein. In der Johanniskirche bieten am Samstag, dem 16. Juni, 23 Uhr, Brita Falch-Leutert (Orgel), Gabriel Silișteanu (Bratsche) und der Schauspieler Daniel Plier ihre Version von Ibsens „Terje Vigen“. Einer der Ruhepole: In der Franziskanerkirche sang am Montag die Mezzosopranistin Elisa Gunesch (im Bild) „Zehn biblische Lieder“ op. 99 von Antonin Dvorak, zur Orgelbegleitung von Brita Falch-Leutert, die gemeinsam mit Jürg Leutert mehrere vierhändige Orgelwerke zu Gehör brachte.                   
Foto: Cristi COJOCARIU

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.