Ausgabe Nr. 2579
HZ-Sonderpreis für Kreativität (VI)
Bei der Landesphase des Schülerwettbewerbs im Fach Deutsch als Muttersprache hat die Hermannstädter Zeitung für jede Klasse einen Sonderpreis für Kreativität vergeben. Außer einem Jahresabonnement, einer Jubiläumsmedaille, einem T-Shirt und einem Buch gehört zum Preis, dass die prämierten Aufsätze in der HZ veröffentlicht werden.
In der aktuellen Ausgabe lesen Sie den Aufsatz der Schülerin Sofia Teodora Șerb (12. Klasse, Brukenthalschule Hermannstadt) zu folgendem Zitat von Bertolt Brecht. „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“
Frage einer Generation
Da stand ich plötzlich. Ein Jugendlicher, der eine wichtige Wahl treffen musste. Ich weiß, das haben mir meine Eltern auch tausend Mal in die Ohren geflüstert. Alle Leute müssen da durch. Alle haben es geschafft. Doch es ist anders, wenn es um dich geht. Ich konnte schon den Knoten im Magen fühlen. Ich war kein Kind mehr, sondern fast ein Erwachsener, der vor der Wahl seines Lebens stand. Es war doch eine kritische Wahl. Was sollte ich machen? Weg von zu Hause gehen, oder nicht? Auf den ersten Blick scheint alles bunt zu sein. Man ist frei, wird nicht mehr von den Eltern überwacht und kann alles tun was man will. Danach kommen aber die Folgen. Man muss es gut abwägen. Was fängt man eigentlich an mit so viel Freiheit? In welche Lebensrichtung wird man gehen? Was macht man ohne die Verteidigung der Eltern? Für jemanden wie mich würde es das erste Mal weg von zuhause sein. Weg in die große, fremde Welt. Weg, dahin, wo alles neu, unbekannt und unsicher ist. Natürlich habe ich Angst. Ich habe Angst vor dem Neuen, dem Unerwarteten, aber vor allem habe ich Angst zu verlieren. Was wird geschehen, falls ich es nicht schaffe? Mir wird schlecht, wenn ich nur daran denke. Wie wäre es, wenn es da draußen nur Frustration für einen wie mich gibt? Ich kann es fast schon voraussehen. Ich gehe von zu Hause weg, kann nichts mit meinem Leben und so viel Freiheit anfangen und muss wieder zurückkehren. Es erscheint in meinen Gedanken der enttäuschte Ausdruck meines Vaters. Fast höre ich ihn schon sagen: „Du hast nichts geschafft außer Mist. Alle haben an dich geglaubt und was hast du uns zurückgebracht? Nichts! Du bist einfach eine Schande für den Familiennamen, den du trägst und für dich selbst.“ Manchmal muss ich selbst zugeben. Ich hab meiner Familie niemals Ehre gebracht. Ich war niemals der Tapferste, der Klügste oder der Erfolgreichste. Ich weiß, dass Selbstbetrug einem nichts bringen kann und mich selbst anlügen wollte ich auch nicht. Ich gehörte eigentlich immer zu einer Mittelschicht, nicht zu klug, nicht zu tapfer, nicht zu gut. Aber an diesem Tag sehr ehrgeizig. Das war das, was mich an dem Tag motivierte. Ich dachte es mir so. Die meisten Leute haben nicht einmal die Chance, da zu stehen, wo ich stand und etwas mit ihrem Leben anzufangen. Ich hatte zumindest eine Wahl, eine Chance, etwas Außergewöhnliches zu schaffen. Vielleicht war ich die Ausnahme, die meine Mutter als unwahrscheinlich charakterisierte.
Typisch für die schwachen Leute, die sich an Hoffnung, wie in den amerikanischen Filmen, klammerten. Ich aber, ich hatte jetzt wirklich die große Chance meines Lebens, etwas Außerordentliches zu beginnen. Dafür aber musste ich eine hohe Brücke überwinden. Eine Brücke, die zwischen mir und dem Erfolg stand, die Angst. In der Geschichte hatten paar Leute, die vor wichtigen Wahlen standen, diejenigen getroffen, die sie zu Helden oder zu Vorbildern unserer Zeit gemacht haben. Einige haben die falschen Entscheidungen getroffen, sind aber trotzdem berühmt geworden. Trotzdem hat keiner von Menschen gehört, die aus Angst nichts begonnen haben. In der Welt der Wissenschaft sind viele erfolgreich geworden. Denken wir an Einstein und Tesla. Einige, zum Beispiel Galilei, haben versucht, ihre Theorien durchzusetzen, waren aber nicht erfolgreich. Galilei, der hat verloren, dachte ich mir. Der musste seine Thesen falsch erklären wegen dem Druck. Trotzdem, obwohl niemand seine Thesen als anerkannt sah, haben diese unsere heutige Weltsicht verändert. Der Wissenschaftler hat versucht. Er hat, obwohl er Recht hatte, verloren. Wie hätte aber die Welt für uns ausgesehen, wenn er es nicht mal versucht hätte? Ich, ich bin wie Galilei, dachte ich mir. Ich habe die Chance. Ich habe die Chance, etwas Außerordentliches zu beginnen oder ich kann einfach aufgeben. Welche Wahl treffe ich jetzt? „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, hörte ich die Worte von Bertolt Brecht, die nicht nur im Fall von Galilei sondern auch in meinem eigenen perfekt passten. Ich traf die Entscheidung: Egal, welche Folgen es haben wird, muss ich meinem eigenen Weg ins Leben folgen. Mit dieser Idee tief in Gedanken eingeprägt verließ ich das Nest meiner Eltern, breitete meine Flügel aus, so wie ich es etliche Male bei meinem Vater gesehen hatte, und mit einem Knoten im Magen, stürzte ich hinaus in die Luft.
Nichts geschah, doch als ich kurz davor war, auf die Erde zu prallen, flog ich. Ich habe das geschafft, was mir meine Eltern immer versprochen haben! Ich bin geflogen! Denn mit vier Monaten ist man schon alt genug, um aus dem Nest der Eltern auszuziehen. Ich habe das außerordentliche Ding geschafft, wovon die Menschen nur träumen können! Ich flog! Ich wusste nicht einmal in welche Richtung. Ich wusste auch nicht, was ich mit so viel Freiheit anfangen sollte. Eines war mir aber klar. Nichts wird wie zuvor sein. Zu meinem alten Leben konnte ich nicht mehr zurück, denn zum ersten Mal in meinem Leben war ich frei!
Sofia Teodora ȘERB