Eine Hermannstädterin zu Besuch auf dem Heiratsmarkt in China
Ausgabe Nr. 2571

Maya Kielhorn (unser Bild) schreibt: „Ein Jahr im Land der Kontraste – als Ausländer ist das Leben in China nicht immer ein Zuckerschlecken, und doch ist dies die beste Erfahrung, die ich bisher gemacht habe.“
Foto: privat
Man stelle sich also die 3 D und etwas veraltete Version von Tinder oder anderen Dating-Apps vor, nur dass hier nicht die Hauptpersonen, sondern ihre Mütter und Väter die Matchmaker sind. Und, dass nicht einer Person ein Benutzerkonto oder eine Webseite entspricht, sondern, wie schon oben angedeutet, ein Regenschirm.
Man spaziert also durch auf beiden Seiten von Regenschirmen gesäumten Parkwege, jeder Person entspricht ein Regenschirm, auf jedem Schirm klebt das Blatt Papier mit der Information, die den Traumprinzen oder eben die Märchenprinzessin beschreibt. Auf meine Frage, wie man denn auf die Idee mit den Regenschirmen gekommen sei, antwortet eine der ayis, auf einem wackelnden Holzhocker hinter dem Schirm ihres Sohnes kauernd, der, so wie es dem Zettel zu entnehmen ist, ein vorzüglicher „IT-Mann“ und im Bereich der Informationstechnologie tätig ist: „Das ist doch logisch, wegen dem Regen. Wer möchte schon die Blätter auf die nasse Erde legen, wenn´s regnet?“ „Außerdem“, fügt sie hinzu, „ ist es so bequemer für die Vorbeigehenden, die verschiedenen Personeninformationen schneller abzuchecken.“ Die Antwort ist fast zu einfach, so wie es mir in China oft passiert. Da sieht man etwas, von dem man überzeugt ist, es hat eine gewisse symbolische und wahrscheinlich in den meisten Fällen auch geschichtliche Bedeutung, und dann kommt eine Erklärung wie diese hier. Man denkt hier praktisch. Und einfach.
Auch wenn es ums Verheiraten geht, zeigen die chinesischen Mütter, dass sie vor allem praktisch veranlagt sind. Das Kind ist schon 30 und noch immer single? Na sowas. Wenn mein Kind das nicht selbst hinbekommt, dann muss ich nachhelfen, denkt die mit ihren Ansichten noch etwas im Traditionellen verankerte Mutter pflichtbewusst, und ab geht’s auf den Markt! Das mag nun für viele Ausländer lustig und absurd klingen, und das trifft auch auf viele junge Chinesen mittlerweile zu, vor allem, wenn sie in internationalen Großstädten wie Shanghai aufgewachsen sind, aber Tatsache ist, dass es so etwas doch noch gibt, und dass die gesellschaftliche Szene noch immer teilweise von solchen traditionellen (in Europa würden wir wahrscheinlich sagen „mittelalterlichen“) Gedankengängen geprägt ist. Die Existenz eines solchen Ortes zeigt, wie groß der Druck auf die jungen Leute noch immer ist, wie wichtig es für ihre Eltern ist, zu wissen, dass das Kind eine sichere und stabile Zukunft hat, wobei „sichere Zukunft“ Synonym für „Ehepartner“ ist.
Auch erinnert mich dieser Ort an die lustigen Anekdoten, die meine Chinesischlehrerin, knapp 30 Jahre alt, uns während des Kurses immer wieder erzählt. Sie ist – dreimal dürft ihr raten – Single, und ihre Mutter ruft sie täglich an um zu fragen, ob sich denn nun endlich etwas an der unglücklichen Situation ihrer Tochter geändert hat. Meine Lehrerin ist eine gesunde, gut ernährte junge Frau, und ich persönlich finde, die etwas volleren Bäckchen lassen sie sehr süß und sympathisch aussehen, ihre Mutter findet das jedoch anscheinend nicht. Die Ursache des „Problems“, noch keinen Mann gefunden zu haben, schiebt sie demnach darauf, dass ihre Tochter zu dick ist. Wenn sie anruft, stellt sie, so meine Lehrerin, zwei Fragen: „Hast du mittlerweile jemanden gefunden?“ und „Klappt es dieses Mal mit der Diät?“. Sie sucht der armen Tochter sogar selbst verschiedene Diätrezepte raus und hat schon vorgeschlagen, sie solle doch ins Krankenhaus gehen und sich erkundigen, ob man nicht auf chirurgische Weise etwas gegen deren „Fettleibigkeit“ unternehmen kann. Dabei muss ich sagen, dass hier von dem Wort „fett“ eigentlich nicht die Rede sein kann und ich den Körperdurchmesser meiner Lehrerin eher als „durchschnittlich“ beschreiben würde. Auch, dass die Mutter bei Familienfesten während des Essens dauernd ein scharfes Auge auf die Tochter wirft und sie, wenn die Tochter sich ein zweites Mal etwas auf den Teller tut, ermahnt, vielleicht nicht so zuzulangen, finde ich etwas übertrieben.
Frauen, die das gewöhnliche Alter zum Heiraten (25-30) schon überschritten haben und es noch immer nicht „geschafft“ haben, zu heiraten, werden 剩下女孩 genannt, was soviel bedeutet wie „die übriggebliebenen Mädels“, wobei man noch sagen muss, dass 剩下, also der erste Teil des oben genannten Begriffes, wortwörtlich übersetzt „leftovers“ heißt. Die alternden Singles, die Überbleibsel der Gesellschaft. So viel zur Ironie der chinesischen Sprache.
Ja, der Druck ist noch immer groß. Das zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass manche junge Männer ihr Geld verdienen, indem sie sich von den verzweifelten alternden Weibchen für ein Wochenende „anmieten“ lassen. Denkt nun nur nicht an etwas, das mit Prostitution (wobei es davon auch genug hier zu sehen gibt und es ein interessantes Kapitel für sich wäre) oder jeglichem Kontakt physischer Art zu tun hat. Es geht nur darum, dass die alleinlebenden jungen Frauen, wenn sie während eines nationalen Festivals (wie es das Frühlingsfestival ist, das chinesische Neujahrsfest) oder einer anderen wichtigen Gelegenheit nach Hause fahren, eine Person männlichen Geschlechts mitbringen, den sie dann den besorgten Eltern als ihren Boyfriend vorstellen können, um diese zu beruhigen. Dieser „Fake-Freund“ wird nach der gemeinsamen Reise gleich wieder entlassen und bezahlt, wenn er die Rolle des Liebhabers gut gespielt hat.
Neben mir schütteln sich eine ayi und ein älterer Mann die Hände, anscheinend wurde eine Vereinbarung getroffen. Jetzt, wenn die Eltern sich einmal verständigt haben, wird ein erstes Date für die beiden Glückspilze organisiert. Wenn Mann und Frau sich in Folge dieses „Blind-Dates“ mögen und glauben, sich mehr zu sagen zu haben, wird der Rest des Geschehens in ihre Hände gelegt. Wenn aber aus dem Match nichts wird, heißt es für die Eltern nächstes Wochenende wieder: „Markttag!“.
Maya KIELHORN
z. Z. in Shanghai/China