Streiflichter aus dem Sammelband „Hermannstadt. Fakten – Bilder – Worte”
Ausgabe Nr. 2566
Unter dem Titel „Hermannstadt“ hatte die Heimatgemeinschaft der Deutschen aus Hermannstadt und deren Vorsitzende Dagmar Zink Dusil aus Anlass des Sachsentreffens 2017 beeindruckenden Sammelband über ihren Heimatort im hora-Verlag herausgegeben, auf Hochglanzpapier in der Honterus-Druckerei gedruckt. In dem Vorwort dazu schreibt Dagmar Zink Dusil u. a.: „Protagonistin des Buches ist Hermannstadt, die Brücke, die alle in der ganzen Welt verstreuten Hermannstädter verbindet, die Stadt, die uns geprägt hat.“ Nun haben die Hermannstädter und nicht nur sie die Möglichkeit über mehr als 450 Seiten „sich durch Hermannstadt zu lesen“, in Anspielung auf die Zeile „Ich denke mich durch Hermannstadt“ aus Dusils Gedicht „Hermannstadt im Alphabet der Götter“, das sie bei der Buchvorstellung am 5. August 2017 im Spiegelsaal des Hermannstädter Deutschen Forums vorgelesen hatte.
Der Band wird seinem Untertitel gerecht. Er vermittelt „Fakten, Bilder, Worte“ über Hermannstadt, eine Stadt in Rumänien, die die Rumänen Sibiu und die Ungarn Nagyszeben nennen.
Fakten liefern die minutiös erstellten Beiträge in dem „Dokumentarischen Teil“. Hier bietet Konrad Gündisch unter dem Titel „Die ‚Haupt- und Hermannstadt‘ der Siebenbürger Sachsen im Wandel der Zeiten“ einen ausführlichen historischen Überblick, wobei er eingangs feststellt: „Die herausragende Position von Hermannstadt geht auf die Zeit der Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen zurück. Hier, in der Nähe strategisch und handelspolitisch wichtiger Karpatenübergänge in Südsiebenbürgen und an der Kreuzung zweier Fernstraßen, die Verbindungen in alle vier Himmelsrichtungen anboten, wurde der Hauptort der Kolonisten bewusst angelegt.“ Wie Christoph Klein in seinem Beitrag „Kirchen und kirchliches Leben“ feststellt, war Hermannstadt „von Anbeginn das Zentrum des kirchlichen Lebens für die ganze Ecclesia Dei Nationis Saxonicae, die ‚Kirche Gottes der sächsischen Nation“.
Einen ausgezeichneten Einblick in das Schulwesen der Siebenbürger Sachsen liefert Walter König, der u. a. als bezeichnend dafür erwähnt: „Die siebenbürgisch-sächsischen Gymnasien und Berufsschulen waren gesamtsiebenbürgische Bildungsstätten. Sie wurden auch von nichtdeutschen Schülern gern besucht, und der Anteil rumänischer Schüler war vor 1918 besonders hoch.“ Denkenswürdig. Wie auch die Feststellung: „Das eigentliche Geheimnis der Wirkung“ dieser Schulen „scheint in der Bedeutung der Schule im Bewusstsein der Gruppe zu liegen: Die besondere Form der Schule entstand in dem deutlichen Bewusstsein, dass Schulfragen nicht nur Probleme der individuellen Bildung, sondern Existenzfragen für die Gruppe, Existenzfragen für die ’sächsische Nation‘ sind. Die Schule in Eigenverantwortung, der Stolz auf ihre Tradition und ihre Leistungen und das Bewusstsein ihrer Bedeutung für Kontinuität, Identität und Qualifikation führten zu der charakteristischen Identifikation der Siebenbürger Sachsen mit ‚ihrer‘ Schule.“ Diese Schulen sind auch heute attraktiv für rumänische Schüler, stellt König abschließend fest, ohne zu vergessen, auf den Lehrermangel hinzuweisen, mit dem sich diese Schulen konfrontieren.
Wie die deutsche Minderheit in Hermannstadt heute rezipiert wird, schildert Hans Klein als Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt (DFDH), das seit 1994 gemeinsam mit der Heimatgemeinschaft der Deutschen aus Hermannstadt jedes zweite Jahr das „Begegnung auf dem Huetplatz“ genannte Treffen der Hermannstädter von nah und fern in ihrem Herkunftsort veranstaltet. Klein schlussfolgert: „Das Forum hat viel Vertrauen von der Mehrheitsbevölkerung erfahren und konnte sich dieses Vertrauen erhalten, weil keiner der Stadträte (Anm. der Red.: Das DFDH stellt seit 2004 die Mehrheit im Stadtrat) jemals hinter einem Projekt profitiert hat. Es ging dem Bürgermeister und geht der Bürgermeisterin immer um das Wohl der gesamten Stadt und nicht um eigenen Gewinn.“ Im Anschluss an Kleins Beitrag analysiert Anneli Ute Gabanyi das Thema „Klaus Johannis – vom Hermannstädter Bürgermeister zum rumänischen Staatspräsidenten“ und setzt sich mit der Frage auseinander, welche Chancen das politische Projekt von Johannis hat.
Mit kurzweiligen und gut dokumentierten Beiträgen kommen auch die Vertreter der beiden deutschen Partnerstädte zu Wort, Christopher Moss aus Marburg und Dorith Wegmann aus Landshut. Detailfreudig und ebenso kurzweilig berichtet Manfred Wittstock in seinem Beitrag „Vom Straßendorf zur Haupt- und Hermannstadt“ über bildende Kunst und Kunsthandwerk. Zur Kleiderordnung liefert Irmgard Sedler einen kenntnisreichen wissenschaftlichen Abriss und stellt fest, dass die Hermannstädter Patriziertracht „Vorbild für die ländlichen Kirchentrachten“ gewesen sei.
Heinz Acker führt in die Musikgeschichte ein mit den Worten: „Die Geschichte der Musik Hermannstadts ist mindestens so alt wie die der Stadt selbst, denn als die deutschen Siedler um 1150 ihre beiden Schwerter zur Besitznahme in den Boden des späteren Hermannstadt stießen, da hatten sie aus der Urheimat nicht nur Frau und Kind, Pflug und Saatgut, sondern sicher auch manch Liedlein auf den Lippen mitgebracht, denn mit Musik wandert es sich besser.“ In die Literaturszene bieten Olivia Spiridon Einblick, wobei sie auch Buchhandel, Buchdruck und Verlagswesen erwähnt.
„Deutsches Theater in Hermannstadt“ präsentiert Frieder Schuller, „Gärten, Parkanlagen, Wälder, Wiesen und Wasser“ Erika Schneider, „Hermannstadt und die Südkarpaten“ Herbert Horedt, „Sport in Hermannstadt“ Rudi Klubitschko.
Seinen Abriss der Hermannstädter Film- und Kinogeschichte titelt Konrad Klein, der übrigens einen Großteil des Bildmaterials für den Sammelband zur Verfügung gestellt hat, augenzwinkernd „Zwischen Hollywood und Hermannstadt. Vom Zeltkino auf dem Hermannsplatz zur Festivalstadt des Dokumentarfilms“. Die anschließende Zeittafel führt von der ersten Kinovorführung am 28. März 1898 bis zum „Großen Doppeljubiläum“ am 23. Januar 2010 im Thaliasaal: 40 Jahre Deutsche Sendung im Rumänischen Fernsehen/20 Jahre DFDR.
Knapp fünfzig Seiten umfasst der literarische Teil des Buches. Hier sind Erzählungen, Essays, Gedichte, Erinnerungen von Emil Hurezeanu, Joachim Wittstock, Christian Maurer, Dietfried Zink, Frieder Schuller, Iris Wolff, Liliana Ursu, Monika Kafka, Gerhard Ongyerth, Christel Ungar, Walther Gottfried Seidner, Nora Iuga, Franz Hodjak, Oskar Pastior und Dagmar Dusil zu lesen.
In seinem Nachwort erzählt der HDH-Ehrenvorsitzende Jürgen Schuster aus der Geschichte der 1988 in Heilbronn gegründeten Heimatgemeinschaft der Deutschen aus Hermannstadt (HDH) und wünscht sich für die Zukunft, „dass die Kontinuität der HDH bewahrt wird in einem neuen Gleichgewicht zwischen Alt und Jung, zwischen Hier und Dort im Kontext eines neuen Europas.“
Biographische Daten der Autorinnen und Autoren sowie ein Personen- und ein Ortsregister ergänzen den Band, der mit der finanziellen Unterstützung des Departements für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens durch das DFDR und das DFDH erschienen ist.
Zugegeben: Eine Rezension kann dem Buch beim besten Willen nicht gerecht werden. Es sei allen Hermannstädtern und an Hermannstadt Interessierten wärmstens empfohlen.
Beatrice UNGAR