„Es wird einem in die Wiege gelegt“

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Zweites Urzelnlaufen in Großschenk nach der Wiederaufnahme

Ausgabe Nr. 2567

Das Narrengericht.
Foto: Werner FINK

„Lieber einmal mit eigenen Augen sehen, als hundertmal davon gehört zu haben“, meinte der Deutsche Botschafter Cord Meier-Klodt, der gemeinsam mit seiner Gattin Gladys die Einladung angenommen hatte und bei dem Urzelnlauf in Großschenk dabei war. So war es, den Urzelnlauf muss man selber miterlebt haben. Am Samstagmorgen, den 10. Februar, knallten in Großschenk wieder die Peitschen und bimmelten wieder die großen Kuhglocken. Von dem Haus der Familie Gottschling ging der Urzelnumzug los. Vor dem Rathaus machte der Zug halt und im Rahmen des Narrengerichtes wurden die Leute, die im Laufe des vergangenen Jahres eine „Dummheit” begangen hatten, „ausgesungen”.

 

„Dä nea schun vuir longer Zet,/Mät oallen ausgewemdert set./Doch vuir det Urzelnleofen nin ech un,/ set ihr extra än de Hoimet kun./Ech begressen ech harzlich oalle dä,/ sich de Zet genun hun, und sen hä,/ Am as old Tradition det Urzelnleofen äiwen, Aä asem Schoink wedder ze beläiwen”, begrüßte einer der drei Narrenrichter die Anwesenden. Es war Mundartdichter Helmuth Zink, der bereits im vergangenen Jahr einen Teil des Programms geschrieben hatte und der in diesem Jahr nun auch persönlich dabei war und zusammen mit den Narrenrichtern und Hauptveranstaltern Mihai Gottschling und Martin Mertensacker auf der „Remorka”, (dem Anhänger) das Narrengericht stellte. „Ausgesungen” wurde u. a. der Traktorfahrer des Urzelnlaufes aus dem vergangenen Jahr, dessen Traktor im Schnee stecken geblieben war, oder Martin Mertensacker, der seine Rede zum Urzelntag verlegt hatte. Auf die Schippe genommen wurde auch der Gemeinderat, u. a. wegen dem schlechten Zustand der Straßen.

Fabian Monge (Costa Rica, links) und Wieland Wolff;
Foto: Werner FINK

„Ich finde es ganz wunderbar. Gemeinsam gestalten wir dieses außergewöhnliche Erbe, dass die deutsche Minderheit, die siebenbürgisch-sächsische Minderheit über die Jahrhunderte hier geschaffen hat, das sich im Laufe des 20. Jahrhunderts aus den bekannten Gründen schwer verändert hat, aber das begonnen hat wieder aufzuleben, nicht nur mit dem Blick zurück, nicht nur mit der Pflege eines vergangenen Erbes sondern um es hier gemeinsam mit allen Teilen der Bevölkerung wieder aufleben zu lassen und zu zeigen, wie lebendig und interessant dieses Land für uns alle in Europa ist“, sagte der Botschafter Meier-Klodt in seinem Grußwort. Er selber habe jeden Tag zu tun mit Politik, aber mit so einem Ereignis diene man genau denselben Zielen. Im Rahmen des Urzelnlaufes fühlten sich der Botschafter und seine Gattin scheinbar recht wohl. Schließlich begann Meier-Klodt seine Laufbahn in Bonn, eine der rheinischen Karnevalshochburgen. Hier gilt der Karneval als die „fünfte Jahreszeit“.

Großschenks Bürgermeister Sorin Aurel Suciu versprach, den Brauch auch weiterhin zu unterstützen und der stellvertretende Vorsitzende des Kronstädter Kreisrates Adrian Gabor machte aufmerksam, dass Geld für solche Projekte zur Verfügung stünde. Ein weiterer Gast war der Fogarascher Stadtrat Mircea Bobeș.

Doch nicht nur das Narrengericht bekam in diesem Jahr Verstärkung sondern auch die Urzelnschar. Die meisten Urzeln aus dem vergangenen Jahr waren vermutlich auch dieses Mal dabei, aber es waren auch neue Gesichter zu sehen. 21 Leute waren aus Deutschland zum Urzelnlauf mitgekommen sowie ein Dutzend aus Agnetheln. Insgesamt 89 verkleidete Teilnehmer nahmen am Umzug teil. „Es war schön, wieder da zu sein. Ich war seit zehn Jahren nicht mehr hier” sagte Detlef Konnerth. Früher hatte er jahrelang auf dem Wagen gestanden und die Gedichte auch selber aufgesagt. Er erinnerte sich, dass der Umzug 1992 ganz traditionell mit dem Büffelwagen gemacht wurde. Die Rolle im Narrengericht hatte er von seinem Vater Dieter Konnerth übernommen. Wie sich Detlef ausdrückte, „wird es einem in die Wiege gelegt“. Auf die Frage, ob er auch im nächsten Jahr kommen werde, antwortete er selbstbewusst: „Sicher, aber ganz sicher“.

„Ich finde es schön, dass der Brauch wieder aufgenommen wurde“, meinte Elke Recker, die Schwester von Norbert Recker, der bereits auch im vergangenen Jahr dabei war. Man müsse es sich angucken und unterstützen. An das Jahr 1992 schien sich Elke Recker auch recht gut zu erinnern. Damals, als hier nur noch eine Handvoll Sachsen waren, war sie auch als Urzel eingesprungen. Dass ihre Mutter vorher schon Urzel gewesen ist, daran erinnerte sie sich auch. Ihr Vater war übrigens Mitglied im Urzelkomitee gewesen und viele Jahre lang soll der Umzug bei der Familie Recker gestartet sein.

„Ich war 30-40 Jahre lang immer oben bei den Narrenrichtern. Da haben wir immer schön ausgesungen“, erinnerte sich Helmut Melzer, der gemeinsam mit seiner Gattin Gertrud angereist war. Damals soll eine Blaskapelle den Umzug begleitet haben. Gertrud schien mit dem Brauch ebenfalls eng verbunden zu sein. Sie bemerkte, dass ihr Vater Andreas Holzer bereits bei dem ersten Urzelnlauf nach dem Zweiten Weltkrieg, als um 1969 der Brauch wieder aufgenommen wurde, auf dem Narrenwagen dabei gewesen war.

Urzeln beim „Krapfen-Tanken“.
Foto: Werner FINK

Helmuth Zink stammt aus Großschenk. Lange Zeit lebte er in Tartlau und seit 1990 in Deutschland. Bereits sein Großvater und eine Schwester desselben sollen in der Vergangenheit die Verse zum Narrengericht gedichtet haben. Sein Vater Helmut Zink war auch Mitglied im Urzelkomitee gewesen und hat das letzte Urzelnlaufen nach der Wende veranstaltet.

Das Schenker Fastnacht Urzelnlaufen“ wird seit der Auswanderung in Augsburg als Augsburger Großschenker Faschingstreffen“ weitergeführt, heuer hat es eine Woche vor dem Ereignis in Großschenk stattgefunden. Horst Kerestes, Hauptveranstalter des Ereignisses in Deutschland, freute sich, dass dort 100 Erwachsene und 26 Kindern teilgenommen hatten und war nun selber auch beim Urzelnlaufen in Großschenk dabei.

Die am weitesten angereiste Urzel war Fabian Monge aus Costa Rica, der gegenwärtig als Nachhilfelehrer in der Schweiz tätig ist und der seinen Freund Wieland Wolff nach Großschenk begleitete.

Viele der neuen Masken hatte Uwe Constantin Boghian angefertigt, der in diesem Jahr gemeinsam mit Cristi Țerbea das Eiereinsammeln übernahm. Für gute Laune sorgte mit seinem Akkordeon Sorin Țerbea. Das Zubereiten der „Kletiten“ übernahm dieses Mal Claudiu Gavrilă im Frauengewand.

Stoff für das nächste Narrengericht gibt es vermutlich schon, denn der Traktor mit dem Anhänger konnte auch dieses Jahr eine der Gassen nicht hochfahren. Zahlreiche Leute empfingen die Urzeln mit Krapfen, Schnaps und Wein, so auch Emma Hirist und ihre Tochter Olga Baștea. Gegenüber machte sich gerade eine Urzelnfamilie am Fuße der Kirchenburg für ein Foto bereit. Es war Emma Hirists Enkelin Andreea Brigitte Godan, Erzieherin im Kindergarten Nr. 22 in Hermannstadt, deren Gatte Nicolae und die kleine Tochter Evelina. Auf der selben Gasse empfing auch Erna Dăghici die Urzeln. Die angebotenen Krapfen waren hochwillkommen. Marlene Stanciu, die auch dieses Jahr als Urzel mitlief, hatte zwar vorgesorgt und einen ganzen Korb mit selbstgebackenen Krapfen mit Rum mitgenommen. Der war aber schon längst leer.

Am Abend fand der Urzelnball statt, bei dem der deutsche Botschafter als Dank für seine Teilnahme von dem Urzelkomitee eine Maske und eine Peitsche überreicht bekam. Die etwa 170 Ballteilnehmer feierten bis zum Morgengrauen, zum Tanz spielte die Band „Hermannstadt 07” auf.

„Auf jeden Fall ist eines klar: wir müssen nicht mehr darüber sprechen ob wir nächstes Jahr oder in der Zukunft den Urzeltag wieder organisieren. „Ja, der Urzeltag wird ab jetzt jedes Jahr organisiert, das steht schon fest”, schlussfolgerte Mihai Gottschling.

Werner FINK

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Im Jahreslauf.