„Elektra“ des Deutschen Staatstheater Temeswar in Hermannstadt zu Gast
Ausgabe Nr. 2555
Die alten Griechen modern aufmotzen? László Bocsárdi kann das. Nun durften sich auch die Hermannstädter davon überzeugen. Seine Inszenierung von „Elektra“, der antiken Tragödie von Euripides und Aischylos, die am Deutschen Staatstheater Temeswar im Januar 2015 Premiere feierte, wurde am vergangenen Donnerstag, dem 9. November, auf der Bühne des „Radu Stanca“-Nationaltheaters gezeigt. Die Aufführung wurde vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien unterstützt. Im Gegenzug dazu wird das Hermannstädter Theaterstück „Märtyrer“ (Regie Radu-Alexandru Nica), am 17. Dezember, auf der Temeswarer Bühne zu sehen sein.
Elektra ist in der griechischen Mythologie die Tochter von König Agamemnon, dem Sieger im Trojanischen Krieg, und von Klytaimnestra, die Schwester von Orest. Sie hilft nach der Ermordung ihres Vaters, ihrem Bruder, die Blutrache an ihrer Mutter und dem verhassten Stiefvater Aigisthos zu vollziehen.
Auf der Bühne des „Radu Stanca“-Theaters ist ein karges Bühnebild zu sehen: ein langer Gang und darüber eine Etage mit einer roten Wand und einem roten Ledersofa. Es erscheint ein überdimensionierter Konstantin Keidel mit Plateauschuhen, schwarz-weiß gemustertem Rock, silbern gefärbtem Oberkörper und Gesicht, grauen Kontaktlinsen und schwarzen Lippen. Zwitterhaft-mephistophelisch (wie das männliche Pendant von Ofelia Popii in Purcăretes „Faust“) mit ausdrucksvoll-theatralischer Mimik und Gestik stiehlt er, in der Rolle des alten Lehrers, die Show. Elektra und Orest gespielt von Isa Berger und Harald Weisz kommen als harmlose Teenager in goldenen Kapuzenpullovern und Trainingshosen rüber. Elektra scheint an einer Zwangsstörung zu leiden: Sie reißt Streifen von einem Tesa-Klebeband und klebt sie an die rote Etagenwand. Dieser sich wiederholende Klang ist ein großer Teil der Geräuschkulisse des Stücks, für die Boros Csaba zuständig ist. Eine kleine aber nicht zu übersehene Rolle hat Ida Jarcsek-Gaza: Mit Sonnerbrille, glitzerndem-türkisfarbenem Kleidchen und Handtasche interpretiert sie Elektras Mutter, Klytaimnestra. Ihr übertrieben theatralischer Auftritt brachte einige Zuschauer zum Lachen.
Die Dialoge sind in alter Verssprache gehalten worden und stehen im krassen Kontrast zu dem modernen Kostümbild von Zsuzsanna Kiss.
In der Antike wurde die Geschichte von der Blutrache Elektras schon von Sophokles (um
410 v. Chr.), von Aischylos und von Euripides dramatisiert. In der Neuzeit schrieb Hugo von Hofmannsthal eine „Elektra“, welche er später zu einem Libretto für Richard Strauss’ Oper „Elektra“ umarbeitete.
Auch Gerhart Hauptmann verfasste eine „Elektra“, später hat Jean-Paul Sartre den Mythos um Elektra und Orest in seinem Drama „Die Fliegen“ verarbeitet. 1931 veröffentlichte der amerikanische Dramatiker und spätere Nobelpreisträger für Literatur Eugene O’Neill die Trilogie „Trauer muss Elektra tragen“, in der die antike Atridensage nach Neuengland verlegt wird. Auch am „Radu Stanca“-Nationaltheater wurde „Electra“ von der rumänischen Abteilung unter der Regie von Mihai Măniuţiu erfolgreich inszeniert. Die Inszenierung des Deutschen Staatstheaters Temeswar ist eine gelungene Mischung zwischen alt und neu und sollte bei sich ergebender Möglichkeit gesehen werden.
Cynthia PINTER