Ein Besuch bei Romano Kher, dem nationalen Roma-Kulturzentrum in Bukarest
Ausgabe Nr. 2549
Wo sich einst das Büro der Diktatorengemahlin Elena Ceauşescu befand, sitzen heute Verwaltung und Ämter. Über Schatten der Vergangenheit und das heldenhafte Bemühen, Vorurteilen und Xenophobie mit Bildung die Stirn zu bieten: Das nationale Roma-Kulturzentrum Romano Kher nimmt im neunten Stock des Gebäudes einen langen Gang mit kleinen Arbeitsräumen ein. Im Dschungel Bukarester Bürokomplexe für Regierungsorganisationen sollten Besucher sich abholen lassen, um nicht längere Zeit durch die sterilen Flure irren zu müssen.
Seit 2003 existiert Romano Kher, das nationale Roma Kulturzentrum. Gegründet wurde es als eine dem Ministerium für Kultur und nationalen Erbes unterstellte öffentliche Einrichtung der rumänischen Regierung. Zehn Jahre später wurde das Zentrum zu einem Teil des nationalen Amtes für Roma, einer spezialisierten Abteilung der öffentlichen Verwaltung. Die Aufgaben des Zentrums umfassen die Bewahrung, Förderung und Entwicklung der ethno-kulturellen Werte der verschiedenen Roma-Gruppen, berichtet Nora Costache, Referentin und Gründungsmitglied des Zentrums. Romano Kher entstand auf Forderungen der führenden Mitglieder der Roma-Bewegung der 1990er Jahre hin und ist bis heute die einzige Regierungseinrichtung, die die Minderheit repräsentiert.
Nora Costache ist nicht nur ein wichtiges Mitglied des Zentrums; die Geschichte der Roma-Bewegung ist auch ihre Geschichte. Einer gebildeten Mittelschichtsfamilie entstammend, besuchte sie zu Ceauşescus Zeiten die Hochschule für Geschichte und Philologie in Bukarest. Noras Mutter sprach mit ihren Kindern in der Kindheit auf Romani. Der Großvater mütterlicherseits hatte im Antonescu-Regime geholfen, Roma vor der Deportation nach Transnistrien zu retten. Dennoch kam der Schlüsselmoment im Leben Costaches, der sie dazu brachte, sich mit ihrer Identität auseinanderzusetzen, erst spät. Er ging mit großen geschichtlichen Ereignissen einher.
Im Dezember 1989 demonstrierten Nicolae Gheorghe, Ion Onoriu, Vasile Ionescu Costel Vasile – die Initiatoren der Roma-Bewegung – in den Straßen Bukarests gegen das Regime. Es war der Moment, als die Roma zu einer Minderheit wurden, die nicht länger überhört und übersehen werden wollte. Costache fand ihren Platz in der Bewegung. Hier gab es einen wichtigen Beitrag zu leisten. Die Befreiung der Medien eröffnete neue Möglichkeiten und Costache wurde Journalistin.
Der wichtigste innere Prozess, der im Rahmen der Roma-Bewegung in den 1990ern stattfand, war die Rückbesinnung auf eine gemeinsame Roma-Identität, Geschichte und Tradition – die bis zu jenem Zeitpunkt vergessen, verdrängt und bestritten wurde.
Nach dem Fall des Regimes Ceauşescu, so wird es auf der Internetseite RomaRising erklärt, verließen tausende Roma schlagartig das Land. Sie suchten anderswo, unter anderem in Deutschland, nach mehr Perspektive für die Zukunft. Von Deutschland 1992 abgeschoben, mussten sie nach Rumänien zurückkehren. Die Regierung stellte keine Hilfe bei der Re-integration zur Verfügung, so gründeten sich verschiendene unabhängige Organisationen zur Unterstützung, wie die Gesellschaft der jungen Roma-Generation gegen Gewalt und Diskriminierung der Roma. Nora Costache arbeitete freiwillig für die nichtstaatliche Organisaton Aven Amentza (‚Komm mit uns‘) und sie war Mitbegründerin der ersten Zeitung für Roma in Rumänien, die die Kultur und Geschichte der Roma erstmalig ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken begann. Seit der Gründung ist sie Repräsentantin von Romano Kher.
Zu den wichtigsten Aufgaben von Romano Kher gehört die Aufarbeitung der Roma-Geschichte. Es hatte bislang keine kanonisierte Geschichtsschreibung ihrer Herkunft und Kultur gegeben.
Costache: „Die Vorurteile gegen die Roma-Bevölkerung sind tief in der rumänischen Gesellschaft verankert.” Ein maßgeblicher Grund dafür stellt die Sklaverei dar, in der die Roma jahrhundertelang leben mussten. Dokumente aus dem 14. Jahrhundert belegen, dass Roma, laut Gesetz, vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit als Ware angesehen wurden. Sie waren private Sklaven von Bojaren oder im Besitz von Klöstern. Menschen verwendete man wie Ablassbriefe, Kinder wie Währung. Die feudale Struktur von Herr und Untertan haftet noch heute der Denkweise der Gesellschaft an. Erschwerend kommt hinzu, dass sich bis heute die wenigsten dieser grausamen Geschichte bewusst sind. Bis vor wenigen Jahren wurden der Öffentlichkeit keine Informationen darüber zuteil. Im Kommunismus wurde die Sklaverei der Roma, sowie die Verfolgung im Holocaust aus den Geschichtsbüchern ausgespart. „Es war wie ein blinder Fleck. Wir analysierten nicht, wir hatten keine Ahnung. 17 Generationen Sklaverei und unsere Kinder wuchsen auf, ohne davon zu wissen!”, so Costache. „Der Mangel an Wissen hat uns immer schon verwundbar gemacht. Es ist unsere Aufgabe tief in der eigenen Geschichte zu forschen und die Informationen bereitzustellen.”
Dafür leistet Romano Kher grundsätzliche Arbeit. Die Abteilung für Dokumentation und Forschung sammelt in einer Datenbank, www.romilor.ro, tausende historische Quellen aller Art (Briefe, Erlasse, Bilder), die digitalisiert, transkribiert und sogar auf Englisch übersetzt werden. Hinzu kommen Publikationen, die sich mit Themen der Sklaverei und des Holocaust ausseinandersetzen.
Neben der wissenschaftlich-archivarischen Arbeit, beschäftigt sich Romano Kher damit, ein modernes Bild der Roma zu formen und leistet inzugedessen Aufklärungsarbeit auf verschiedenen Ebenen.
„Roma sind heutzutage absolut nicht das, was die Voruteile behaupten und was die Gesellschaft ihnen vorwirft. Wir müssen vermitteln, dass es sich nicht um eine ’schlechte Ethnie‘ handelt.”, merkt die Referentin an. Weiterhin betont sie, dass es nicht nur an der Nicht-Roma-Bevölkerung ist, diese Muster von Stereotypen zu überwinden. Es liegt auch an den Roma selbst, die sich mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen müssten, um ein zeitgemäßes Identitätsgefühl zu entwickeln.
Seit 2014 werden im eigenen Verlag „Public House” in Bukarest auch Kinder- und Sachbücher, Romane, Rezeptbücher mit traditionellen Gerichten, und Sprachschulen für die Romani Sprache, veröffentlicht. Welche Werke es genau gibt, kann auf der Internetseite des Forums www.cncr.gov.ro eingesehen werden. Zusätzlich werden Veranstaltungen, Info-Stände und Filmvorführungen organisiert, bei denen Info-Material kostenlos verteilt wird. Eng wird auch mit Universitäten zusammengearbeitet. Zum Beispiel kann man an der Bukarester Universität die Romani-Sprache erlernen, und zwar im Hauptfach.
Wie man neben den zahlreichen Projekten die ideellen Ziele des Zentrums umsetzen will? Dafür gibt es eine klare wie anspruchsvolle Lösung. Alle Medien und Veranstaltungen sollen zugänglich sein für Jedermann. Dazu braucht es ein Gespür für die verschiedenen Adressaten in der Gesellschaft und jeweils die richtige Methode, um diese anzusprechen. „Denkweisen zu ändern ist ein langer Prozess – leider. Dabei reicht bei weitem nicht eine Generation. Alles was wir tun können, ist Informationen bereitzustellen.” Dabei müsse auch gegen einflussreiche nationale Medien gearbeitet werden, die ein negatives Bild verschiedener ethnischer Gruppen, inklusive der Roma, propagieren. Eine leichte Aufgabe ist das sicherlich nicht. Doch es wird auf eine Gesellschaft der Chancengleicheit und der Begegnung auf Augenhöhe hingearbeitet. Eine Vision für die es sich zu kämpfen lohnt.
Emeli GLASER
Laura ECKHARDT