Streiflichter vom 24. Internationalen Hermannstädter Theaterfestival

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Hochseilartisten und pyrenäische Bären
Ausgabe Nr. 2533

 

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Tanzende Menschen in Bärenkostümen, sich waghalsig bewegende Hochseilartisten und Genderkonflikte verpackt in rumänischen Märchen. Es ist viel los in Hermannstadt, denn das internationale Theaterfestival jährt sich in diesen Tagen schon zum vierundzwanzigsten Mal. Die ganze Stadt verwandelt sich in eine Spielfläche für künstlerische und kulturelle Darbietungen. Dass diese unterschiedlicher nicht sein könnten, verrät schon ein Abend auf dem Festival.

 

Es ist Sonntag, 19 Uhr, eine angenehm warme Sommerluft durchstreift Hermannstadt, die Stimmung ist ausgelassen. Mehrere hunderte Menschen haben sich heute Abend in der Heltauergasse versammelt, sie drängen sich hin und her. Vier Männer stolpern wild tanzend durch die Menge, drei davon tragen riesige Bärenkostüme auf Ihren Häuptern und einer gibt durch Trommelwirbel den Rhythmus ihrer Bewegungen vor. Schwierig zu entscheiden, ob die großen Tiere einschüchternd wirken oder doch eher niedlich. „Die Pyrenäischen Bären“, so heißt Lluis Rovira Yagüezs Darbietung, sind ein wertvoller Beitrag zum Hermannstädter Theaterfestival, das in diesem Jahr thematisch im Zeichen der Liebe steht.

Während auf den Straßen die Bären noch immer tanzen, findet wenige Häuser entfernt ein ganz anderes Festival statt. In dem Kellergewölbe des Imperium Pubs werden die ersten Vorbereitungen getroffen, denn hier wird heute im Rahmen des Fringe Festivals das Theaterstück „Cine spală oala de mămăligă“ aufgeführt. Traditionell rumänische Märchen aus den Westkarpaten, stimmgewaltig aufbereitet von den Schauspielern Elena Ivanca und Ioan Isaiu. „Wer wäscht den Polentatopf?“, so heißt die deutsche Übersetzung des Titels. In hitzigen Wortgefechten dekonstruieren beide Schauspieler traditionelle Rollenklischees. Trotz minimalistischer Bühnengestaltung und wenig Kostüm nehmen sie den Raum in Besitz, und auch ohne Rumänischkenntnisse, hat man das Gefühl man könne die beiden verstehen. Zurück in der Heltauergasse sind zwar keine pyrenäischen Bären mehr zu sehen, aber auf dem nicht weit entfernten Großen Ring ereignet sich schon ein ganz anderes Schauspiel.

Die Künstlerfamilie Weisheit aus Gotha tritt dort auf. Vier Hochseilartisten fahren mit Motorrädern über ein Drahtseil, welches in schwindelerregender Höhe und von unten betrachtet zwar instabil wirkt, das Gewicht der Motorräder und der Artisten aber tatsächlich aushält. Es ist die letzte von insgesamt drei Aufführungen der Geschwister Weisheit in Hermannstadt und auch bei dieser Show ist der Platz brechend voll. Einer der Artisten macht einen Handstand auf dem Lenker seines Motorrads, die Masse jubelt, jeder ist aber auch glücklich, in diesem Moment auf sicherem Boden zu stehen.

Auf der anderen Seite des Großen Rings macht sich die niederländische Alternative-Band „De Staat“ schon für ihren Auftritt bereit. Laut Programm ist der Abend noch lange nicht vorbei. Dass das internationale Theaterfestival stetig gewachsen ist und mittlerweile zu einem der wichtigsten in Europa gehört, damit rühmt man sich hier gerne. Und das, wie sich schon nach einem Abend feststellen lässt, zu Recht!

Nina DELEITER

 

Rattenfänger in der Heltauergasse“: Die begeisternden Musiker und Tänzerinnen aus Guadalupe waren einer der vielen Publikumsmagnete in der Heltauergasse.

Foto: Sebastian MARCOVICI

 

 

Das Gefühl eines sinkenden Schiffes

Die ersten drei Tage des 24. Internationalen Hermannstädter Theaterfestivals

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Es gehört zum guten Ton. Wenn im Juni in Hermannstadt das Theaterfestival stattfindet, muss der Hermannstädter mindestens ein Theaterstück sehen. Koste es, was es wolle. Immerhin ist es das größte Theaterfestival Rumäniens. Dass alle Vorstellungen schon vor Beginn des Festivals ausverkauft sind, schreckt niemanden ab. An den Abendkassen ausharren und hoffen, dass die privilegierten Gäste mit Einladungen nicht auftauchen – was sehr oft der Fall ist – heißt die Strategie. Und es klappt fast immer. Begonnen hat das Theaterfestival, diesmal zum Thema „Liebe“, am Freitag, dem 9. Juni.

 

Die ersten drei Tage Revue passieren zu lassen, heißt laut Organisatoren mehr als 70.000 Zuschauer pro Tag sowohl auf den Straßen der Altstadt, als auch bei den Indoor-Vorstellungen. Man hatte manchmal abends in der Heltauergasse das Gefühl in den Menschenfluten zu versinken.

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Dieses Gefühl eines sinkenden Schiffes hatte man auch als Zuschauer bei dem Theaterstück „Migraaaanți sau Prea suntem mulți pe nenorocita asta de barcă“ („Migraaaanten oder zu viele sind wir auf diesem verdammten Boot) nach Matei Vișniec, unter der Regie von Alexandru Grecu. Bei diesem Theaterstück, das am 9. Juni im obersten Saal des Gong Kinder- und Jugendtheaters gezeigt wurde, saß man als Zuschauer auf Bänken unter denen sich Wasser befand. Man musste regelrecht aufpassen, wo man hintrat, um nicht nass zu werden. Der Zuschauer war von Anfang an mitten im Theaterstück, als Flüchtling auf einem Boot, das Richtung Italien segelte. Die Schauspieler/innen des „Satiricus Ion Luca Caragiale“ Nationaltheaters aus Chișinău waren Flüchtlinge und Schlepper. In dem Stück, das im Februar in Chișinău Premiere feierte, geht es um syrische Flüchtlinge, die vor Krieg und Tod flüchten einerseits und um die Wirtschaftsmigranten, die für ein besseres Leben nach Europa ziehen andererseits. Der Autor, Matei Vișniec, sagte zu seinem Werk: „In einer globalisierten Welt sind wir alle Migranten und keinesfalls Immigranten. Ein Migrant ist überall auf der Welt zu Hause.“ Doch als Zuschauer hat man oft das Gegenteil vor Augen. Elihu, ein Flüchtling, genial gespielt von Alexandru Crîlov, bezahlt mit einer Niere die Übersiedlung von Italien nach England und mit einem Auge die Flucht seiner Familie nach England. Zum Schluss opfert er sein Leben für den Wohlstand seiner Familie. Ein sehr aktuelles Thema sehr überzeugend vermittelt.

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Aktuell sind auch die Themen der Spaltung Europas, des Nationalismus und der Fremdenfeindlichkeit, die im Theaterstück „Helden“ (im Original: Arms and The Man) von George Bernard Shaw vorkommen. Auf Rumänisch hieß es „Soldatul de ciocolată“ und wurde am 9. Juni, im Thaliasaal von den Schauspielern des Odeon Theaters Bukarest, in der Regie von Andrei Șerban aufgeführt. Die zweieinhalbstündige Komödie, die während des serbisch-bulgarischen Krieges 1885 spielt, war ein voller Erfolg. Ein Theaterstück zum Entspannen, das kaum Fragen offenließ mit guten Schauspielern und einem Happy End.

Kein Happy End gab es beim Theaterstück „Frig“ (Originaltitel: „Cold“) von Lars Noren, unter der Regie von Alexandru Bogdan, das von der Theatergruppe „Unteatru“ aus Bukarest am Dienstag, den 13. Juni, im Gong-Theater aufgeführt wurde. Am Anfang ist es noch sehr heiß. Ein heißer Sommertag, an dem drei Schüler ihren letzten Schultag mit viel Bier feiern, irgendwo in einem schwedischen Wald. Was könnte da schon schief gehen? Ein scheinbar banaler Tag endet tragisch. Das Rezept: Man nehme Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Neonazismus, einen Schuss Manipulation und eine Prise Aggressivität und es entsteht: Mord. Zwei Schweden und ein Muslime ermorden kaltblütig einen gleichaltrigen Jungen asiatischer Abstammung. Liviu Pintileasa, Ionuț Grama, Silviu Debu und Andrei Seușan sind absolut großartig in ihren Rollen. Es wird einem kalt ums Herz und man geht als Zuschauer mit einem tränenden Auge aus dem Saal.

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Szenenfoto aus „Migraaaanți sau Prea suntem mulți pe nenorocita asta de barcă“ mit Alexandru Crîlov (vorne) und Ion Grosu (hinten).

Foto: Dragoș DUMITRU

 

Szenenfoto aus der Komödie „Soldatul de ciocolată“ mit den Schauspielern des Bukarester „Odeon“ Theaters.

Foto: Cynthia PINTER

 

Szene aus „Frig“ von Lars Norden: Der Schauspieler Liviu Seusan singt voller Pathos das „Deutschlandlied“ zu dem ihn seine Kollegen Liviu Pintileasa (links im Bild) und Ionut Grama (rechts im Hintergrund) angestachelt haben.                                                      

Foto: Sebastian MARCOVICI

 

 

Entspannt zuhören und angeregt diskutieren

Lesetheater und Dialoge beim 24. Hermannstädter Internationalen Theaterfestival

 

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Auch dieses Jahr ist die Serie des Lesetheaters dem 2006 verstorbenen künstlerischen Leiter des Radu Stanca-Theaters, Virgil Flonda, gewidmet. Sieben Stücke werden insgesamt im Rahmen des Festivals in der Humanitas-Buchhandlung, jeweils ab 14 Uhr von Schauspielern vorgelesen. Moderator ist Cătălin Ştefănescu, bekannt als Produzent und Gastgeber der TVR 1-Sendung „Garantat 100 %”. Alle Stücke werden in rumänischer Sprache vorgelesen.

 

Die Reihe ist ganz gut besucht, auch wenn oder genau weil es dabei ruhiger zugeht. Die Schaupieler sitzen am Tisch und lesen ihre Repliken, lediglich eine Grimmasse oder eine kleine Handbewegung unterstreichen das Gesagte. Somit wird allerdings dem Zuschauer – in diesem Fall besser gesagt dem Hörer – nichts weggenommen, denn jeder kann das Gesagte mit seiner eigenen Phantasie ergänzen. Nicht nur für Hörspielfans sind diese Stücke ein Muss, sondern auch für das breite Publikum, denn ganz leicht kann man sich vorstellen, dass die ersten Proben eines neuen Stückes eigentlich in dieser entspannten Atmosphäre ablaufen.

Am Dienstag wurde das Stück des französischen Schauspielers, Regisseurs und Schriftstellers Oliver Py vorgestellt, „Orlando ou l’Impatience” („Orlando oder die Ungeduld”), im Beisein des Übersetzers und Spielleiters Eugen Jebeleanu. In dem Stück will der Sohn einer berühmten Schauspielerin, selber Schauspieler, erfahren, wer sein Vater ist. Jeder Abschnitt der Handlung beginnt mit dem gleichen Gespräch zwischen Mutter und Sohn, der immer älter und berühmter wird, bis er regelrecht auf alles verzichtet. Das Stück soll im Herbst auf der Bühne des Radu-Stanca-Theaters aufgeführt werden, wie Cătălin Ştefănescu am Ende der Lesung preisgab.

Im Anschluss an die jeweiligen Lesungen ist ein Gespräch vorgesehen, bei dem Theaterkritiker, Publikum und Schauspieler das Gesehene und Gehörte entspannt besprechen und ihre eigene Meinung sagen können – wichtig insbesondere wenn das Stück auch aufgeführt werden soll.

Cătălin Ştefănescu ist bei dieser Auflage des Festivals nicht nur als Moderator und als Gesprächspartner bei den besonderen Aufführungen dabei, sondern auch als Autor: Sein Stück „N-ai tu treabă!” (Das geht dich nichts an!), in der Regie von Alexandru Dabija wurde am Montag gleich zwei Mal aufgeführt. Die Bukarester Theatergesellschaft ACT brachte das Stück nach Hermannstadt, beide Vorstellungen waren ausverkauft. Mit Marcel Iureş in der Hauptrolle war es kein Zufall, dass die Karten sehr schnell knapp wurden. Das Stück, das Ion Creangăs Geschichte von Dănilă Prepeleac neu interpretiert, bringt nur drei Gestalten auf die Bühne – Iureş als Prepeleac, der „sagen wir’s mal ehrlich, richtig viel Geld hat” und die jüngeren Kollegen Alexandru Voicu und Andrei Seuşan als die beiden Teufel, die ihm ein Museum einrichten wollen. Dabei werden Altes mit Modernem vermischt und Schritt für Schritt erfährt der Zuschauer die Geschichte von Dănilă Prepeleac, der durch wiederholten Tausch statt mit zwei Ochsen mit einer leeren Tüte dasteht und der dann später doch zu Reichtum kam, indem er den Teufel persönlich für dumm verkaufte. Langweilig wurde es dabei allerdings nicht, denn es wurde bei jedem Museumsstück spannend, wie das eine oder andere Erlebte durch ein einziges Objekt dargestellt wurde. Das Ende war auch überraschend, denn Dănilă Prepeleac schaffte es wieder – wenn auch nur für kurze Zeit -, nicht einen, sondern zwei Teufel zu täuschen.

Cătălin Ştefănescu ist nicht bei seiner ersten Schriftsteller- und Theatererfahrung, denn bereits im Vorjahr hatte sein im Radu Stanca-Theater aufgeführtes Stück „Moroi” großen Erfolg, auch weitere seiner Stücke konnten hier gesehen werden.

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Cătălin Ştefănescu (links) im Gespräch mit dem US-amerikanischen Regisseur Robert Wilson (USA).                  

Foto: Sebastian MARCOVICI

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Eröffnungsveranstaltung in der evangelischen Stadtpfarrkirche: Mit der Aufführung des Symphonischen Psalms „König David“ von Arthur Honneger (1892-1955) durch den Tübinger Kurrende-Chor und den Hermannstädter Bachchor in Zusammenarbeit mit dem Orchester der Hermannstädter Staatsphilharmonie wurde am Freitag in der evangelischen Stadtpfarrkirche das Theaterfestival offiziell eröffnet. Unser Bild (v. l. n. r.): Melinda Samson (Sopran), Elisa Gunesch (Alt), Valentin Späth (Erzähler), Jürg Leutert (Leiter des Hermannstädter Bachchors), Dirigent Beat Schäfer, Johnny van Hal (Tenor) und Benedikt Brändle (Leiter des Kurrende-Chors, Tübingen).

Foto: Beatrice UNGAR

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Theater.