Reformationsfeiern und Gedenken der Reformation auf dem Gebiet unserer Kirche im 19. und 20. Jahrhundert

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Vortrag von Wolfgang H. Rehner, gehalten am 31. Oktober 2016 in Michelsberg zum Reformationsfest (I)
Ausgabe Nr. 2511
Mit dem Reformationsfest 2016 haben die weltweiten Gedächtnisfeiern bereits begonnen, welche über ein Jahr, das ist im Oktober 2017, ihren Höhepunkt erreichen sollen. Die Reformation im 16. Jahrhundert war eine umfassende Bewegung, die nicht nur die Kirche betraf, sondern die gesamte soziale und geistige Entwicklung Europas förderte. Aus dieser Bewegung gingen die protestantischen Kirchen hervor, aber auch die katholische Kirche wurde durch sie neu geordnet und selbst die orthodoxe Kirche, die am wenigsten davon betroffen war, hat in Siebenbürgen einige Impulse davon mitbekommen. Heute fragen wir danach, wie die Siebenbürger Sachsen seither dieser Umwälzungen im 16. Jahrhundert gedacht haben und wie dieses Gedenken in öffentlichen Feiern zum Ausdruck kam. 

Friedrich Teutsch, der bedeutende Historiker und Bischof, bezeichnete eine Rede, die der Mediascher Stadtpfarrer Christian Schesäus am 8. Mai 1580 auf der Synode in Birt-
hälm hielt, als „die älteste sächsische Reformationsgeschichte“ und urteilte darüber wörtlich: „Ein Vergleich der Darstellung des Schesäus mit Urkunden und Nachrichten, die im Stande sind, seine Angaben zu kontrollieren, beweist die Zuverlässigkeit derselben.“  Diese Rede des Schesäus stellt tatsächlich einen bedeutsamen Rückblick auf die Reformation unserer Kirche in Siebenbürgen dar. Die Synode, zu der er sprach, war ja die repräsentative Versammlung der Pfarrer vom gesamten Gebiet unserer Kirche und sowohl der Redner als auch seine Zuhörer hatten die dargestellten Ereignisse wenigstens zum Teil miterlebt, was die Darstellung besonders spannend und authentisch macht. Wir könnten sagen, es war eine Verarbeitung der unmittelbaren Vergangenheit. Ein Reformationsgedächtnis heute nach fünf Jahrhunderten ist etwas anderes.

Das 17. Jahrhundert begann mit einer Periode der „Schrecken ohne Ende“ für ganz Siebenbürgen und insbesondere für die Sachsen. Wir denken an die kriegerischen Ereignisse zur Zeit des Wojwoden Mihai Viteazul und des eigensinnigen Fürsten Bethlen Gábor. Die darauf folgenden, etwas ruhigeren Jahre, brachten innere Schwierigkeiten im Sachsenland, so dass niemand an ein Reformationsjubiläum dachte. Das 18. Jahrhundert stand im Zeichen der katholischen Habsburgermacht und war für eine derartige Feier denkbar ungünstig.

Erst 1817, zum 300. Jubiläum der Reformation, ist auf dem Gebiet unserer Kirche zum ersten Mal eine derartige Feier nachgewiesen. Wir sind in der glücklichen Lage, darüber einen genauen Bericht zu haben.   Er stammt aus der Feder von Johann Michael Salzer, dem Pfarrer von Birt-
hälm (1867-1901), und stellt die Feierlichkeiten wie folgt dar: Zunächst gab es eine feierliche Sitzung der Führungsgremien unserer Kirche und unseres Volkes. Am 10. November 1817 versammelte sich die Synode, das war die offizielle Vertretung der Pfarrer, in Birthälm, dem damaligen Bischofssitz. Zu diesem besonderen Ereignis waren auch Vertreter der „hochlöblichen Universität“ aus Hermannstadt eingeladen, das war die politische Führung der Siebenbürger Sachsen. Den Vorsitz führte Bischof Daniel Georg Neugeboren, flankiert vom Generaldechanten aus Mediasch und dem Hermannstädter Dechanten. Die Mitte dieser Feier bildete eine schriftlich vorbereitete Rede des Bischofs in lateinischer Sprache, in der er die Geschichte der Reformation und ihre positiven Folgen, sowie Luthers Anteil daran hervorhob. Weiterhin gehörte zu dieser Tagung auch die Verlesung der 95 Thesen Martin Luthers. Außer dieser feierlichen Tagung gab es aber für alles Volk ein richtiges Reformationsfest. Für den Sonntag nach Weihnachten war in den Gemeinden eine „festliche Feier“ zum Gedenken an die Reformation angeordnet. In einem ausführlichen Rundschreiben war der Verlauf derselben vorgesehen. Aus der Darstellung von Salzer können wir uns ein lebendiges Bild machen, wie dieses in Birthälm erlebt wurde:

Die Amtsträger der Ortschaft und die sämtlichen evangelischen Hauswirte begaben sich „nachbarschaftsweise vor den Pfarrhof, an dessen Tor der Pfarrer und die zwei Prediger mit Würde empfangen wurden. Nach einer vom Superintendenten und Pfarrer  an die Vorsteher der Gemeinde gerichteten Anrede begab sich die ganze Gemeinde in feierlichem Zuge zwischen den Reihen der auf der Kirchentreppe zu beiden Seiten aufgestellten Jugend beiderlei Geschlechts zur Kirche, an deren Türe nun die Gemeinde von der Geistlichkeit, den Schullehrern und Schulkindern empfangen wurde. Unter dem Gesang des lutherischen Liedes ‚Es wolle Gott uns gnädig sein’ wurde die Kirche betreten.“ – In derselben Ausführlichkeit wird der ganze Gottesdienst mit Predigt und Heiligem Abendmahl beschrieben. Im Vespergottesdienst desselben Tages wurde „von der Kanzel ein kurzer, gemeinverständlicher Unterricht von der Reformation vorgelesen…“ Dieser „kurze Unterricht“ liegt in einem zeitgenössischen Druck vor, von dem wir mit Gewissheit annehmen dürfen, dass er aus der Feder von Daniel Georg Neugeboren stammt und den Gemeinden zur Verlesung an diesem Festtag zugesandt wurde, obwohl er weder Autor noch Zweck der Veröffentlichung angibt. Er bringt eine übersichtliche Darstellung der Reformation durch Luther in Deutschland, streift aber die Reformation in Siebenbürgen nur summarisch.

Aus einem anderen Bericht entnehmen wir, dass die eben beschriebene, landeskirchlich angeordnete „Festliche Feier“ in Kronstadt schon am vierten Adventssonntag stattfand und wie folgt verlief: „Die große Kirche wurde von der herbeigeströmten Volksmenge stark besetzt. Der würdige Stadtpfarrer, Herr Johann Teutsch, hielt über 2. Tim. 3, 14-16 eine zweckmäßige Kanzelrede, nach welcher ein Teil des Ambrosianischen Lobgesanges angestimmt wurde. Hierauf ward… eine allgemeine Beichte gehalten, nach deren Endigung das sogenannte Hochamt mit dem Liede ‚Sei uns gesegnet, Tag des Herrn’ begann. Während des Gesanges traten die drei Prediger der Gemeinde in ihrem Prediger-Ornate (es sind hier noch die Messgewänder gebräuchlich) vor den Altar. Nach einigen Intonationen und Gebeten, die mit Kirchenmusik abwechselten, wurde das Heilige Abendmahl gefeiert… Nachmittags halb drei Uhr berief das festliche Geläute die Gemeinde wieder zur Kirche, wo nun außer mehreren anderen Liedern auch die Psalmen 113 und 117, wie dies hier an allen hohen Festtagen zu geschehen pflegt, mit Begleitung von Instrumentalmusik gesungen, und von der Kanzel die ersten 21 Artikel der Augsburgischen Confession vorgelesen wurden, jedoch mit Weglassung der bei einigen Stücken vorkommenden Worte: ‚Es werden verworfen oder verdammt‘ usw. Es folgte nun eine festliche Kirchenmusik. Der Segen und das Lied: ‚Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr’ machten den Beschluss.“

Ein weiteres Reformationsgedenken fand an einzelnen Orten unserer Kirche 1830 anlässlich der 300. Jubelfeier des Augsburger Bekenntnisses statt. Von diesem Ereignis ist eine Vorlesung von Georg Paul Binder, dem damaligen Rektor des Schäßburger Gymnasiums und nachmaligen Bischof, erhalten. Die bekannteste Veröffentlichung zum Gedenken der Reformation in Siebenbürgen ist jedoch das 1852 erschienene Büchlein „Die Reformation im Sachsenland; der evangelisch-sächsischen Kirche dargebracht zur dritten Säkularfeier ihrer Gründung.“ Diese Schrift erschien zunächst wie der „kurze Unterricht“ von Neugeboren ohne Angabe des Autors; erst ab der dritten Auflage gab sich dieser zu erkennen, es war der Rektor am Schäßburger Gymnasium und nachmalige Bischof Georg Daniel Teutsch. Man mag verwundert fragen, an welches Ereignis er „die dritte Säkularfeier“ knüpft, doch gibt er – gewiss nicht ganz verfehlt – im Vorwort an, dass er den „ersten Abschluss“ der Reformation in Siebenbürgen nicht mit dem Erscheinen der „Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen“ 1547 datiert, sondern erst mit deren Durchführung um 1551-1553. Mit dieser Schrift haben wir demnach schon das dritte Reformationsjubiläum im Siebenbürgen des 19. Jahrhunderts gefunden. Zwar gab es keine öffentliche Feier in den Gemeinden, aber dieses Büchlein drang tief in das Bewusstsein unseres Kirchenvolkes und setzte zugleich eine Reihe von Forschern in Bewegung, die unser Wissen über die Reformation in Siebenbürgen erweiterten und vertieften. Der zeitlich erste unter ihnen war der Bistritzer Gymnasiallehrer Heinrich Wittstock, der später Pfarrer in Heltau und Bischofsvikar wurde. Teutsch hatte in seinem Büchlein angegeben, die Reformation habe sich in Bistritz erst nach 1550 durchgesetzt. Wittstock wies wenige Jahre darauf in einer gründlichen Studie nach, dass sie rund zehn Jahre früher, nämlich schon ab 1541 stattgefunden hat.

Eine vierte Gelegenheit, der Reformation zu gedenken bot der 400. Geburtstag Martin Luthers im Jahr 1883. Anders als beim Reformationsgedenken im Jahr 1817, das zwar für alle Gemeinden unserer Landeskirche angeordnet war, aber nicht in jedem abgelegenen Dorf gefeiert wurde, und bei der Jubelfeier des Augsburger Bekenntnisses 1830, die nur vereinzelt stattfand, wird in den Berichten des Jahres 1883 gerühmt, dass in allen Gemeinden unserer Landeskirche Luthers Geburtstag gefeiert und dabei „allenthalben ungewöhnlich zahlreicher Kirchenbesuch und allgemeine Begeisterung“ bemerkt wurde. In Hermannstadt fand eine Woche danach ein reiches zweitägiges Festprogramm statt, in das auch die Einweihung des Lutherhauses und der Johanniskirche einbezogen war.  Eine Schulfeier, ein Kirchenkonzert und eine Aufführung des Musikvereins bildeten wichtige Schwerpunkte dieser Lutherfesttage. Den Höhepunkt bildete aber der Festgottesdienst am 11. November, in dem Bischof Georg Daniel Teutsch die Predigt hielt.  Es war eine unabsehbare Menge, die sich im Hof des Brukenthalpalais und auch vor dem Tor desselben versammelte. Um ½ 10 bildete sich ein riesiger Zug über den Großen Ring, der den Bischof abholte. Voran gingen die Schüler der auswärtigen Gymnasien, dann die Deputationen der zehn Kirchenbezirke. An sie schlossen sich die anderen Gäste an, darunter die Repräsentanten des Hermannstädter Komitates, das Landeskonsistorium, das Presbyterium, die Lehrerschaft und die Schüler der höheren evangelischen Lehranstalten in Hermannstadt. Es waren fast tausend Jünglinge und Männer, die unter Glockengeläute in geschlossenen Reihen, ernst und würdig zum Gotteshaus schritten. In dem Bericht darüber heißt es: „Die einigende Kraft der evangelischen Kirche an dem sächsischen Volk trat darin gleichsam sichtbar und greifbar zu Tage“. – In der Predigt stellte Bischof Georg Daniel Teutsch der Festgemeinde den Reformator Martin Luther vor Augen, und zwar „als Erneuerer christlicher Freiheit, als Vorkämpfer aller Wahrheit und als Apostel neuen religiösen Lebens.“

Luthers Erkenntnisse entzündeten sich an einem intensiven Bibelstudium. „Wie jauchzte sein Herz, als ihm klar wurde, dass nach Christi eigenen Worten die Buße nicht in äußerlichen Werken, sondern in der Sinnesänderung, in der Umkehr des Herzens zu Gott bestehe.“ Zuletzt betonte der Bischof: „Das durch Luther erneuerte evangelische Christentum ist nicht tote Lehre, sondern schaffender Geist, tätiges Leben in Gott.“ Und der Festbericht meldet: „In derselben Weise wie er gekommen, ging der Festzug wieder aus der Kirche, Bischof Teutsch nach Hause geleitend.“

Gleichsam im Anschluss an diese Lutherfesttage wurde 1888 und 1903 in Hermannstadt ein Lutherfestspiel von Dr. Otto Devrient, dem Direktor des großherzoglichen Hoftheaters in Oldenburg, aufgeführt. 1888 wurde die Rolle Luthers vom Verfasser selbst dargestellt, die Rolle der Käthe spielte eine Hofschauspielerin aus Oldenburg. Die weiteren Rollen wurden jedoch von Einwohnern Hermannstadts gespielt. Die Vorbereitungen und zahlreiche Aufführungen hielten die Stadt beide Male über zwei Monate in Atem.

(Fortsetzung folgt)

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