Filip Florians Roman „Alle Eulen“ ist bei Matthes & Seitz in Berlin erschienen
Ausgabe Nr. 2510
„Alle Eulen“ von Filip Florian ist kein Roman, den man auf verschiedene Busfahrten gestückelt lesen kann. In den Schreibstil des Autoren muss man eintauchen, bis man sich zurechtfindet. Aus der Hand legen möchte man diesen Roman aber sowieso nicht. „Alle Eulen“ (rumänischer Originaltitel: „Toate bufniţele“), Florians drittes Buch, ist nun auf Deutsch erschienen.
Von Schlusspunkten und Absätzen scheint Filip Florian nicht viel zu halten. Er spinnt Sätze die sich über ganze Buchseiten erstrecken, ohne ein Ende zu finden. Dabei beherrscht er aber die Kunst, sich nicht in Nebensätzen zu verfangen. Stattdessen schreibt er Gedanken nieder, die natürlich vor sich hin fließen. Eine Fähigkeit, die er mit seinem Übersetzer teilt, denn trotz der Eigenheiten der deutschen Grammatik gelang auch die Übersetzung von Georg Aescht flüssig und klangvoll.
Ein typischer Florian-Satz beispielsweise liest sich so: „Es war mir unbegreiflich, wieso an mir vorbeigegangen war, dass jemand bei der Frau Rugea einzog, zumal Mutter alle drei Tage bei ihr kochen ging, ich träumte davon, Bukarest zu sehen, und begriff nicht, wie man jene Stadt verlassen konnte, mir war schleierhaft, wie man leben konnte, ohne irgendwo zu arbeiten, und in dem Maße, in dem das Kribbeln in meinen Füßen nachließ, kam in mir die kribbelnde Neugier auf, was wohl die Säcke enthalten mochten und was es auf sich hatte mit der Art, wie er sein Kinn fest auf die Handfläche stützte und darin kreisen ließ.“
Es ist der elfjährige Dorfjunge Lucian, genannt Luci, der hier von seiner ersten Begegnung mit dem 50-jährigen Emil erzählt. Die beiden knüpfen rasch eine ungewöhnliche Freundschaft. In „Alle Eulen“ erzählen sie abwechselnd Momente aus ihren grundverschiedenen Leben.
Emil ist 1940 geboren und schreibt nun als herzkranker älterer Mann seine Erinnerung in gelben Heften nieder. Eine Biographie, in der sich im Laufe der Generationen viel Schuld und Unglück angehäuft hat: „Ich weiß nicht, was besser ist: Vergessen oder mich erinnern? Die Wunden vernarben lassen oder sie aufkratzen?“, notiert Emil in eines der Hefte.
Emil wird zu Lucis Mentor, bringt ihm das Lesen bei und die Musik nahe, und, am wichtigsten, zeigt ihm wie man mit Eulen spricht. Denn Luci möchte lernen, „wie die Eulen im Dunkeln zu sehen“.
Während Emil von der Verhaftung seines Vaters und Großvaters und seiner gescheiterten Ehe erzählt, interessiert sich Luci eher für den Dorfklatsch und Kinderstreiche. Mit seinen Freunden ertappt er den Museumsdirektor beim Stehlen oder streut Nägel in die Fahrbahn der Bukarester Autofahrer. Am liebenswertesten ist die Szene, als er eine Maus für die Eulen im Wald fängt, aber Mitleid mit ihr bekommt und ihr deswegen eine letzte Zigarette vor der Hinrichtung gönnen möchte: „Schwieriger gestaltete sich das eigentliche Rauchen, denn ich hatte keine Ahnung, wie ich die Maus packen, ihr die Zigarette zwischen die Lippen stecken und sie überzeugen sollte, auf Lunge zu rauchen.“
Der Autor selbst liegt dem Alter nach zwischen seinen beiden Hauptfiguren, er wurde 1968 in Bukarest geboren. Die Ceaușescu-Zeit hat ihn geprägt; wie schon in seinem Erstlingswerk „Kleine Finger“ geht es bei „Alle Eulen“ um die Aufarbeitung der Vergangenheit. Filip Florian schafft es dabei zu trösten, ohne zu beschönigen. Denn gemeinsam ist seinen sonst so unterschiedlichen Figuren Luci und Emil der Sinn für Humor, der ihnen selbst in tragischen Situationen nicht verloren geht. Trotz des melancholischen Grundtones des Romans ist „Alle Eulen“ deswegen nie deprimierend oder kitschig. Da verzeiht man dem Autor auch gerne, dass er offensichtlich nie die Enter-Taste auf seiner Tastatur entdeckt hat.
Bernadette MITTERMEIER
Filip Florian: Alle Eulen, (Aus dem Rumänischen von Georg Aescht) Verlag Matthes & Seitz Berlin 2016, 213 Seiten, ISBN: 978-3-95757-221-9.