„Wenn sie hörenswert erzählt werden“

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Michael Markels Buch zur Deportations-Literatur in Nürnberg erschienen
Ausgabe Nr. 2508
 

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Die Wörter „Deportation“ und „schöne Literatur“ im selben Buchtitel zu lesen, mag auf den ersten Blick irritierend sein. Doch spätestens seit Herta Müller 2009 für ihren Roman „Atemschaukel“ mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, ist klar, dass die Poetisierung des Grauens möglich ist. Der Literaturwissenschaftler Michael Markel hat nun den „Versuch einer Bestandsaufnahme“ (so der Untertitel) über „Die Deportation der Rumäniendeutschen im Spiegel der schönen Literatur“ verfasst. Herausgegeben hat das Buch das Haus der Heimat Nürnberg.

 

 

Nach dem Erscheinungsdatum sortiert, stellt Michael Markel 23 Autorinnen und Autoren von fiktionalen Texten vor. Auffällig ist vor allem die Vielfalt, schon in dieser Auswahl: Dramen, Romane und Gedichte sind darunter, es gibt Texte aus Lager- oder aus Heimatperspektive; Texte, die nur die Deportation zum Thema haben, und solche, die Deportation als einen Erzählabschnitt unter vielen einordnen. Bekannte Autoren sind darunter wie Herta Müller, Oscar Pastior (dem das ausführlichste Kapitel gewidmet ist) oder Catalin Dorian Florescu, aber auch weniger berühmte Namen wie beim ersten Text, einem Christi-Geburt-Spiel von Georg Brenndörfer.

Der größte Unterschied zeigt sich aber in der Bewertung der Lagererfahrung: Während einige Autoren den Hunger, die Kälte und die Krankheiten im Lager beschreiben, sehen andere die Deportation als Erziehungsmaßnahme, die durch den Aufbau des Sozialismus gerechtfertigt sei. Michael Pfaff beispielsweise stellt in Erzählungen wie „Der Heimkehrer“ oder „Die Brigade“ die Berichte über Leid in den Lagern als „Schauergeschichten“ dar. Michael Markel urteilt darüber scharf: „In ihrer literarischen Unbedarftheit ist Pfaffs Erzählung ein Musterbeispiel parteilich geforderter Schreibklischees des sozialistischen Realismus.“

Auch sonst spart Markel nicht an deutlichen Worten. Dass Anton Breitenhofer die Enteignung 1948 als „Sternstunde des Proletariats“ feiert, bezeichnet Markel als „Höhepunkt leserverachtender Perversion“. Markel fällt klare Urteile was den Stil, aber auch die moralische Dimension der von ihm untersuchten Texte betrifft. Teilweise liest sich das Buch deswegen trotz seiner Aufmachung eher wie eine Sammlung von Rezensionen, und weniger wie eine akademische Arbeit.

Für Leser ohne literaturwissenschaftlichen Hintergrund stellt das aber wohl eher einen Pluspunkt dar. Trockenes Experten-Geschwurbel jedenfalls betreibt Michael Markel hier nicht. Seine Analysen sind fundiert, aber auch gut verständlich und für einen Wissenschaftler ungewöhnlich emotional geschrieben. Seine Verachtung für sozialistische Propaganda-Literatur liest sich unmissverständlich aus seiner Bewertung einiger Texte heraus, und leidenschaftlich setzt er sich für Deportierte ein, wenn er beispielsweise einige der zynischeren Stellen bei Eginald Schlattner kritisiert: „Deportierte haben sich weder zu Opfern erklärt, noch ‒ ‚wenig vornehm‘ ‒ Opferposen angenommen. Sie waren in aller Tatsächlichkeit Opfer und sollten als solche Anspruch auf Empathie haben.“ Sein Buch hat Michael Markel seinen Geschwistern gewidmet, die das Lager Petrovka überlebt haben.

Deutlich wird in allen Texten, die Markel untersucht, dass Deportation als Thema Räume für die unterschiedlichsten literarischen Verarbeitungen eröffnet, vom Kinderbuch bis zum Nobelpreis-Roman. Will diese Geschichten von Krieg, Nachkrieg und Entwurzelung jemand hören?, fragt Markel in einem Kapitel. Er kommt zu dem Schluss: „Gewiss mancher, aber nur, wenn sie hörenswert erzählt werden.“ Wer Interesse an dem Thema hat, braucht nur in seiner Bestandsaufnahme nachzuschlagen.

Bernadette MITTERMEIER

 

Michael Markel: Die Deportation der Rumäniendeutschen im Spiegel der schönen Literatur. Versuch einer Bestandsaufnahme, Nürnberg: Haus der Heimat 2016, 112 Seiten, ISBN 978-3-00-051962-8.

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.