Gut besuchter Vortrag von Dr. Mathias Beer
Ausgabe Nr. 2506
Warum wurden die Deutschen nicht aus Rumänien vertrieben? Dieser Frage ging der Zeithistoriker Dr. Mathias Beer – ein gebürtiger Hermannstädter – am 1. November in seinem Vortrag im Erasmus-Büchercafé nach. Mit seinem Interesse an diesem Rätsel der Geschichte ist er nicht allein: So viele Zuhörer kamen in das Büchercafé, dass immer weitere Stühle herbeigeschafft werden mussten und diese auch dann gerade noch reichten. Selbst die Veranstalter hatten scheinbar keinen so großen Andrang erwartet. Nur acht Exemplare von Dr. Beers Buch „Flucht und Vertreibung der Deutschen“ lagen zum Verkauf bereit, sie waren sofort vergriffen.
Es handelt sich aber auch um ein spannendes Thema, das Dr. Beer sich für seinen Vortrag ausgesucht hat. Er ist Geschäftsführer und stellvertretender Leiter des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, die Themen Zwangsmigration und Erinnerungskultur gehören zu seinen Forschungsschwerpunkten. Mit dem Thema Flucht und Vertreibung kennt er sich bestens aus.
Rumänien stellt in diesem Forschungsgebiet einen Sonderfall dar. Schon vor der endgültigen Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 begannen die Fluchtbewegungen und Ausweisungen der Deutschen in Europa. Rund 12,5 Millionen Deutsche flohen, Hunderttausende unter ihnen starben dabei. In Polen, der Tschechoslowakei und in Ungarn begann man mit sogenannten „wilden Vertreibungen“, das heißt mit Vertreibungen ohne Rechtsgrundlage. Auf der Potsdamer Konferenz schafften die Alliierten dann im August 1945 die legalen Rahmenbedingungen für die Ausweisung. Den drei erwähnten Staaten wurde darin von den Siegermächten gestattet, ihre deutsche Bevölkerung zu vertreiben. Rumänien wird nicht erwähnt, auch fanden hier keine „wilden Vertreibungen“ statt.
Was nicht hieß, dass die deutsche Minderheit gern gesehen war. Am 23. August 1944 wechselte Rumänien die Seiten und wurde vom Verbündeten zum Feind Nazideutschlands. Der „Hitlerismus“ sollte nun bekämpft werden. SS-General Arthur Leps schrieb deswegen an die rumänische Armee und bot an, die Siebenbürger Sachsen zu „evakuieren“. Der Vorschlag wurde von den rumänischen Politikern hitzig diskutiert. Man einigte sich auf einen Kompromiss: Das Angebot wurde angenommen, aber die Umsetzung sollte erst erfolgen, „wenn die Umstände es erlauben“. „Ich glaube, am besten übersetzt man das mit einem Jein“, fasst Dr. Beer zusammen.
Bei diesem Jein blieb es auch, trotz weiterer halbherziger Vorstöße kam es nie zu einer systematischen Ausweisung. Damit blieb Rumänien eine Ausnahme im Ostblock. Die Erklärung für diesen Sonderweg ist komplex, wie Dr. Beer betont, es handle sich um ein Bündel an Faktoren.
Einer der drei wichtigsten laute, dass Rumänien sich nicht schon während des 2. Weltkrieges an die Alliierten wandte und eine Ausweisung der Deutschen forderte ‒ im Gegensatz zu Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei, die dann auch im Potsdamer Abkommen erwähnt wurden. Dr. Beer las in seinem Vortrag aus einem Gespräch zwischen Stalin und Gheorghiu-Dej von 1946 vor, in dem letzterer über die Rumäniendeutschen meinte: „Sie haben nun wieder begonnen die Köpfe zu heben. Wir würden sie gerne ausweisen.“ Doch Stalin war skeptisch: „Der Krieg ist vorbei“, betont er, jetzt erst mit der Vertreibung zu beginnen sei schwierig.
Wirtschaftliche Gründe spielten natürlich ebenso eine Rolle, die Rumäniendeutschen wurden gebraucht, um den sozialistischen Aufbau des Landes voranzubringen. Zudem übte die außenpolitische Situation großen Einfluss aus. Nach dem 2. Weltkrieg war zunächst unklar, ob Rumänien Siebenbürgen als Gebiet würde behalten können. Ohne die deutsche Minderheit wäre der Anteil der ungarischen Minderheit gestiegen, Ungarn hätte damit seine Ansprüche auf Siebenbürgen stützen können. Um dies zu vermeiden, verzichtete man in Rumänien auf eine Ausweisung der Deutschen.
Abschließend ist die Frage nach der Nicht-Vertreibung der Deutschen aus Rumänien damit noch nicht beantwortet. Das liegt auch daran, dass die Wissenschaft erst vor kurzer Zeit begann, sich für dieses Thema zu interessieren. Dieses noch wenig erforschte Feld wird also auch in den nächsten Jahren spannend bleiben.
Bernadette MITTERMEIER
Gastgeber Jens Kielhorn (stehend, links) stellte Dr. Mathias Beer (sitzend, am Tisch im Hintergrund) vor. Foto: Beatrice UNGAR
Mathias Beer: Flucht und Vertreibung der Deutschen. Voraussetzungen, Verlauf, Folgen. Verlag C. H. Beck, München, 2011, 205 Seiten, ISBN 978-3-406-61406-4.