Premiere mit Ibsens „Die Gespenster“ am Ion D. Sârbu-Theater in Petroșani
Ausgabe Nr. 2501
Bereits zwei Wochen vorher waren sie ausverkauft – die Karten zu Alexander Hausvaters grandioser Inszenierung von Henrik Ibsens „Die Gespenster“. Ein altes Stück aus dem Jahr 1881. Es handelt verblüffend aktuell davon, dass das Leben in Krisenzeiten nicht weitergeht. Dass die Toten über die Lebenden herrschen. Dass das Falsche alles Richtige vergiftet. Wer zu fliehen versucht, gerät umso gnadenloser in die alten Schlingen. Es gibt kein Entkommen aus Ibsens Weltgerichtssaal. Mit dieser tiefgreifenden und aufwühlenden Premiere sollte am 24. September d. J. das Ion D. Sârbu-Theater in Petroşani die neue Spielzeit eröffnen.
Über einen roten Teppich wurde die Menschenschlange durch einen schwarzen Zeittunnel geschleift. Die Dunkelheit wirkte noch erdrückender durch die herunterbaumelnden Glühbirnen, die die Zuschauer auch im Saal empfingen, wo sie über ihren Köpfen quasi als unausgesprochene Anklage hängen sollten. Dazu eine herzerweichende, obsessive, exzellente Originalmusik von Yves Chamberland.
Dies der Auftakt zu einem Stück, das einen hin und her wirft, wie eine baumelnde Glühbirne, die im Nichts hängt. Rot die verdrängte Leidenschaft, die sich immer wieder in den Vordergrund drängt und weiß der Sonnenaufgang über dem apotheotischen Ende, in dem Mutter und Sohn zusammen in ein gläsernes Becken steigen und im Fruchtwasser für immer umarmt untertauchen. Ein Ende, das die Hoffnung auf eine Wiedergeburt offen lässt. Während der Aufführung schwebt das Publikum zusammen mit den Schauspielern zunächst im nebligen Licht der Hoffnung, um dann wieder die Verzweiflung in all ihren farbigen Nuancierungen durchzumachen.
Ein herrliches Farbenspiel ermöglichen die Hinterglasmalereien des Bühnenbildners Alexandru Radu, das voll zur Geltung kommt durch die passenden Beleuchtung des Lightdesigners Lucian Moga. Kein Wunder, dass die Zuschauer eineinhalb Stunden lang kaum zu atmen wagten, um dann mit langanhaltendem Stehapplaus das neue Meisterwerk des Starregisseurs Alexander Hausvater zu würdigen. Denn von Regie, Schauspiel, Musik, Licht und Schatten bis hin zu Bühnenbild und Kostümen stimmt hier alles.
„Ibsen war ein Revolutionär (Das Stück ‚Die Gespenster‘ wurde von etlichen Theatern in nordischen Ländern abgelehnt, da es zum damaligen Zeitpunkt als Angriff auf die bestehende Gesellschaftsordnung gesehen wurde und die Rechte des einzelnen Menschen in einer Gesellschaft, die über die Grundbedürfnisse des Individuums hinausgehen, thematisiert wurden. Daher kam es am 20. Mai 1882 in der Aurora Turner Hall in Chicago zur Uraufführung. Es war neben der Uraufführung das erste Mal überhaupt, dass ein Stück Ibsens in Amerika aufgeführt wurde) und bleibt ein Revolutionär. Er schrieb ein Gesellschaftsdrama, das uns allen einen Spiegel vor die Nase hält. Keiner von uns ist nur gut oder nur böse, die Gespenster leben in uns allen. Es liegt an uns, mit ihnen zu leben oder gegen sie zu kämpfen“, sagt Alexander Hausvater.
In Ibsens Familiendrama muss die unglückliche Helene Alving (ausgezeichnet gespielt von Nicoleta Lucreția Bolcă, Intendantin des Petroschener Theaters), die sich verzweifelt nach einem Neuanfang sehnt, ohnmächtig mit ansehen, wie die schrecklichen Konsequenzen vergangenen Tuns und Lassens auch Jahre später noch nicht gezogen sind. Obwohl es gute Gründe dafür gegeben hätte, hat sie es nie vermocht, ihren Mann endgültig zu verlassen, aus Angst oder um der Fassade willen. Jetzt, nach seinem Tod, lässt sie ihm zu Ehren ein Kinderheim errichten. Zur Einweihung erscheint Pastor Manders (nuanciert dargestellt von Angel Rababoc), zu dem sie einmal vergeblich vor ihrem Mann geflüchtet war, und auch Sohn Osvald (erfrischend und hinreissend gespielt von Vlad Volf), den seine Mutter ins Ausland geschickt hatte, um ihn von den häuslichen Verhältnissen fernzuhalten, kehrt heim aus Paris. Als dieser mit dem Hausmädchen Regine anbandelt, sieht Helene alte Gespenster wiederkehren – denn Regine ist die uneheliche Tochter ihres verstorbenen Mannes und eines Dienstmädchens. Die Folgen von vernunftwidriger Moral und von verdrängten Taten brechen auf – und plötzlich brennt auch noch das Kinderheim. Die Verfehlungen der Vergangenheit drängen ans Licht und bohren sich fatal in die Gegenwart.
Dazu Hausvater: „Es gibt keine Opfer und keine Henker, wir sind beides und es liegt an uns, die Verantwortung für unser Tun und Handeln zu übernehmen. Wir müssen jeden Augenblick dazu nutzen, glücklich zu sein und das Licht im Dunkeln in uns zu suchen“.
Hausvaters Inszenierung in Petroşani wird wohl noch für Schlagzeilen sorgen und gehört zweifellos auf jede Bühne.
Christel UNGAR
Sohn (Vlad Volf) und Mutter (Nicoleta-Lucretia Bolca) tauchen im Fruchtwasser unter. Foto: Nimród BÈKESI