Eindrucksvolle Klangtürme aufgebaut

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St. Johannis-Chor aus Hamburg zu Gast in Hermannstadt
Ausgabe Nr. 2504
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Ein außergewöhnliches Chorkonzert zum herbstlichen Thema „Trauer und Trost“ gab es am vergangenen Freitag in der evangelischen Stadtpfarrkirche in Hermannstadt. Zu Gast war der Chor St. Johannis aus Hamburg. Die 60 Sängerinnen und Sänger (von sage und schreibe hundert Chormitgliedern insgesamt) hielten sich eine ganze Woche in Hermannstadt auf, probten intensiv ihr Konzertprogramm, erkundeten Stadt und Umgebung und äußerten sich schließlich begeistert über die Sehenswürdigkeiten und ganz besonders über die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit der Menschen ihnen gegenüber.

 

Eingeladen hatte sich die Kantorei quasi selbst, sie plant regelmäßig Reisen in andere Länder ein, gibt dort Konzerte und lernt so einiges von Europa kennen. In Hermannstadt traf ihre erste Anfrage nach einem möglichen Konzert sofort auf offene Ohren und tatkräftige Unterstützung bei Stadtpfarrer Kilian Dörr und dem Ehepaar Brita Falch-Leutert (Stadtkantorin) und Jürg Leutert (Musikwart der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien).

Die Aufgaben für die Hermannstädter waren dabei eine ziemliche Herausforderung, denn zum geplanten Konzertprogramm benötigten die Hamburger nichts weniger als ein gutes Dutzend ungewöhnlicher Instrumente wie z. B. Marimbaphon, Glocken, E-Bass oder Celesta. Heutzutage ist so etwas kein Problem mehr für die Hermannstädter Staatsphilharmonie: Alles konnte samt Musikern zur Verfügung gestellt werden. Auch die Alt-Solistin (Elisa Gunesch) kam aus Hermannstadt.

Und so erklang denn beim Konzert am Freitag als Hauptwerk das Requiem von Alfred Schnittke in der kompletten erforderlichen Besetzung. Alfred Schnittke war ein wolgadeutscher Komponist, der zunächst am Moskauer Konservatorium unterrichtete und 1990 nach Hamburg übersiedelte. Zu jener Zeit war er im Westen bereits seit langem anerkannt und bewundert. Er starb 1998 mit gerade 63 Jahren. Seine Musik ist etwas ganz Eigenständiges, das man mit dem Begriff „Polystilistik“ zu beschreiben versucht. So geht er im Requiem vom traditionellen liturgischen Text auf Latein aus, wie er auch im Requiem von Mozart oder dem von Verdi steht. Manchmal blitzen denn auch für einen ganz kurzen Momente Anklänge aus diesen so bekannten Stücken auf. Lange Passagen erinnern eher an byzantinische Gesänge mit einem stehenden Grundklang, auf dem sich Gesangssequenzen bewegen. Eindrucksvoll ist, wie sich solche Sequenzen zu gewaltigen Klangtürmen aufbauen können, oder aber auch immer stiller werden, bis sie ganz abgestorben sind. In dieser Musik drückt sich viel Verlorenheit aus, sie führt zu keinem Trost im Hinblick auf das Jenseits, sondern stellt eher die Frage, wohin es mit dem Menschen gehen mag. Die Instrumente unterstreichen solche Stimmungen, etwa durch Trompete und Posaune, wenn es um das jüngste Gericht geht, mit marschähnlichen langanhaltenden Paukenschlägen, die einem unerbittlich erscheinen oder durch die schwebenden Klänge der Glocken.

Der Chor unter Christopher Bender meistert die hohen Herausforderung, die Schnittke stellt, mit großer Konzentration und Eindringlichkeit. Da müssen schwierige Töne getroffen werden, Sekundreibungen gegen die Nachbarstimme ausgehalten oder sogar ganze Cluster gebildet werden – Tontrauben aus vielen Nachbartönen, wie sie mit herkömmlichen Dreiklängen rein gar nichts mehr zu tun haben. Die Mitglieder der Staatsphilharmonie, die Organistin und die Gesangssolisten fügen sich zuverlässig in dieses anspruchsvolle Werk mit ein.

An dieser Stelle muss aber auch einmal die für solche Werke ideale Akustik in der Stadtpfarrkirche erwähnt werden. Sie produziert gerade soviel Nachhall, dass die Musik noch klar und deutlich im Raum zu hören ist, aber trotzdem auch ins Schweben geraten kann.

Das gilt auch für das Schlussstück des Konzerts, ein „Magnificat“ (der Lobgesang Mariens) von Claus Bantzer, der der langjährige Leiter des Hamburger St. Johannis-Chores war.

Hier geht es um ein, in der Grundstimmung freundliches und sich in große Höhen schwingendes Stück Gesang für Solosopran, gemeinsam mit Saxophon und Klavier, das für die Zuhörer in der gut besetzten Kirche leichter nachzuvollziehen war. Es endete mit dem Chor und friedvollen Klängen, wie von ganz alten Zeiten herübergeweht.

Zu Beginn des Konzerts hatte sich der Chor aber mit einem der bekanntesten Werke von Johann Sebastian Bach vorgestellt: Der Motette „Jesu, meine Freude“. Hier konnte man bereits erkennen, welches die Qualitäten dieser Laiensänger und ihres Chorleiters, Christoph Bender, sind. Die Stimmen waren niemals laut, eher zurückgenommen, ohne jedoch dabei an Substanz zu verlieren. Dadurch ergibt sich ein sehr durchsichtiges Musikgebilde, in dem auch schnelle Läufe ohne Anstrengung erscheinen und alles wichtige gut zu hören ist. Der Applaus am Schluss des Konzerts war herzlich. Am Sonntag gab es noch einmal die Gelegenheit, die Sänger, diesmal gemeinsam mit dem hiesigen Bachchor, zu hören, nämlich bei der musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes in der Stadtpfarrkirche.

Elisabeth DECKERS

Ein Konzert der besonderen Art bot der St. Johannis-Chor aus Hamburg unter der Leitung von Christoph Bender in Zusammenarbeit mit Instrumentalisten der Hermannstädter Staatsphilarmonie.                  

Foto: Fred NUSS

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Musik.