Sommer, Sonne, Stadtspaziergang

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Eindrücke von einem Wochenende in Hermannstadt
Ausgabe Nr. 2494
 

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Wochenende in Hermannstadt. Die Sonne lacht, viele Menschen flanieren umher. An meinem ersten Wochenende will ich es ihnen gleich tun und die Stadt erkunden. Gerade in der Altstadt angekommen, fällt mir auf, dass es so sauber ist, dass man glatt vom Boden essen könnte. Im Vergleich zu Berlin-Kreuzberg, wo ich wohne, „fehlen“ vor allem die zahlreichen Hundehaufen, Glasscherben und was sonst noch steht und fällt, wenn Tag und Nacht große Menschenmengen unterwegs sind. Wobei sich immer mehr Leute daran gewöhnen, die Hinterlassenschaften ihrer Vierbeiner einzusammeln. Wenn nicht, verhängt das Ordnungsamt schon mal eine Geldbuße.

 

Ein Restaurant trägt den Namen „Intim“: Ob das Wort wohl im Rumänischen eine andere Bedeutung hat als im Deutschen? Die Straßencafés und Restaurants sind gut besucht. Wobei sie anscheinend besonders viele Gäste haben, wenn es die Möglichkeit gibt, im Schatten zu sitzen. Oder schmeckt hier das Essen besser als dort? Auf auffallend vielen Tellern befindet sich Pizza. Wie in Berlin scheint es auch hier gerade angesagt zu sein, kalte Getränke aus Gläsern mit Henkeln und Strohhalm zu trinken. Und auch hier gibt es Getränke, mit denen man gleichzeitig mit dem Getränk viel Müll kauft, da sie im Wegwerfbecher serviert werden. Zu meiner Freude gibt es Eis an jeder Ecke. Nachdem ich mir auf dem Großen Ring eine Kugel Eis gekauft habe (mein Versuch, Rumänisch zu sprechen, wurde von der Eisverkäuferin direkt Englisch beantwortet), stelle ich überrascht fest, dass es das Eis an anderen Stellen zu anderen Preisen gibt, anscheinend, variiert der Preis je nach Gewicht der Eiskugel.

Auf dem Großen Ring steht eine Bühne. Es wird für ein Konzert am Abend geprobt. Viele nutzen die zahlreichen Sitzgelegenheiten vor der Bühne, um sich kurz auszuruhen und auch die Parkbänke sind alle besetzt. Ich schlendere weiter zur deutschen Buchhandlung, in der ein reichhaltiges Angebot an deutschsprachigen Büchern (relativ wenig von Autorinnen fällt mir auf) präsentiert wird. Außerdem CDs, DVDs, Karten, Ansichtskarten und erfreulicherweise auch gleich die Briefmarken dazu. Die junge Verkäuferin spricht deutsch, die meisten Kundinnen und Kunden ebenfalls. Ein Mann fällt mir auf: Hochkonzentriert und über eine längere Zeit hinweg hatte er sich einen ganzen Stapel Bücher heraus gesucht. Jede Menge Holz für das Reisegepäck. Da kommt eine Frau herein, sie zieht ihn am Ellbogen und spricht beschwörend auf ihn ein. Es sei doch nicht nötig schon wieder all diese Bücher zu kaufen, das wäre doch absolut übertrieben… Wortlos legt er den Stapel weg. Er macht auf dem Absatz kehrt und folgt ihr nach draußen.

Ich frage mich, ob sich mein Freund (und der „Koch“ unseres gemeinsamen Haushalts) wohl über ein über 700 Seiten starkes Buch über die Themen Küche und Haushalt freuen würde: „Küche und Haushalt. Ein Handbuch für angehende und für erfahrene Hausfrauen. Mit Berücksichtigung der siebenbürgischen Küche“. Ein historisches Werk, neu aufgelegt.

Auch ich würde gern den Buchladen leer kaufen, so viele der Titel klingen interessant. Ein Dokumentarfilm trägt den Titel „Arbeit macht das Leben süß – Faulheit stärkt die Glieder“. Wie das wohl gemeint ist? Zu viel Süßes fördert Diabetes. Starke Glieder sind doch gut?! Bei Gelegenheit muss ich Siebenbürger Sachsen nach der Bedeutung dieses Spruches fragen.

Wieder auf der Straße, kommt mir ein Mann entgegen: Auf seinem T-Shirt steht „Männer sind auch Menschen“. An einer Straßenecke versucht eine alte Frau, zwei Blumensträuße zu verkaufen, aber alle gehen weiter. Mein knurrender Magen treibt mich in den Supermarkt, um endlich den Kühlschrank zu füllen. Gar nicht so leicht herauszufinden, welche Produkte aus Rumänien kommen. Vielleicht bräuchte ich eine Lesebrille? Die Trauben kommen aus Italien, die Nektarinen aus Spanien, der Knoblauch kommt aus China. Ich kaufe hiesige Heidelbeeren, Tomaten, Zwiebeln und Paprika. Um auch nur Nudeln mit Gemüsesoße zu kochen bräuchte ich erstmal jede Menge Zutaten. Noch gibt es in dem Apartement, in dem ich die nächsten zwei Wochen verbringen werde, nur Salz. In Anbetracht des großen Angebots könnte ich mich auch von den gleichen Lebensmitteln ernähren, wie in Deutschland. Allerdings wäre das langweilig und hier – im Vergleich – auch noch teurer. Jedenfalls war es keine gute Idee, hungrig einkaufen zu gehen. Allein ins Restaurant mag ich mich auch nicht setzen. Die meisten Gäste sehe ich als Familie, als Paar oder im Freundeskreis da sitzen, niemand isst allein. Als ich einen Stand mit Crepes entdecke, hüpft mein Herz vor Freude.

Die Geschäfte sind interessant: Fachgeschäfte, viele Second-Hand-Shops, aber auch die internationalen Ketten, die es überall in den Fußgängerzonen gibt. Auch hier „bei den Internationalen“ habe ich den Eindruck, dass die gleiche Ware in Deutschland günstiger wäre. Trotzdem ist der Laden gut besucht, vor den Kassen bilden sich Schlangen.

Mit meiner Einkaufstüte setze ich mich auf eine Bank in der Nähe des Hotels Römischer Kaiser und beobachte die Szenerie. Eine Familie kommt näher, der Mann fragt mich etwas. Vielleicht hat er mich wegen der Einkaufstüten für eine Einheimische gehalten? Von den etwa 100 Worten Rumänisch, die ich vor meiner Reise gelernt hatte, fällt mir so spontan kein einziges ein. Als ich gerade auf Englisch sagen will, dass ich nichts verstanden habe, hat die Frau die Situation bereits erfasst und den Mann weiter gezogen. Da fällt es mir ein: wohin zum Großen Ring? Das war die Frage. Die Antwort hätte ich sogar gewusst, wahlweise hätte ich nur nach rechts deuten müssen. Hätte, hätte, Fahrradkette.

In der Apotheke klappt es dann besser: Ich kann auf Rumänisch begrüßen, etwas kaufen und mich verabschieden und bin ganz stolz darauf (obwohl der Vorgang mit weniger als zehn Worten zu bewältigen war). In meiner Hosentasche habe ich wichtige Vokabeln auf einem Spickzettel, aber im Alltag läuft die Kommunikation schneller ab, als ich auf meinem Zettel nach den passenden Worten suchen kann. Ganz zu schweigen von der richtigen Aussprache.

Zurück auf der Bank muss ich schmunzeln: auch in Hermannstadt finden Jugendliche es toll, beharrlich in ihr Smartphone zu starren, während ihre Eltern versuchen, ihnen etwas mitzuteilen. Und auch hier sind zerrissene Jeans gerade angesagt. Vorhin habe ich gesehen, dass es sie bei den internationalen Modeketten für 149 RON ausgebleicht und mit absichtsvoll hergestellten Rissen und Löchern übersät gibt. Und wie in Berlin gibt es Menschen, die die Mülleimer nach etwas Brauchbarem durchsuchen. Seit in Deutschland das Pfandsystem eingeführt wurde, gibt es Leute, die vom Pfandflaschensammeln leben.

Ein groß gewachsener bunter Clown zaubert mit ein paar Handgriffen Tiere aus Luftballons. Anschließend erhält er einen kleinen Obolus. Erwartungsgemäß springen v. a. Familien mit kleinen Kindern auf das Angebot an. Als der Clown einen älteren Herrn anlacht, schaut der weiter ernst und geht kommentarlos weiter. Der Clown ruft ihm noch etwas hinterher, aber der Herr scheint das gar nicht lustig zu finden. Wie schade, dass ich nichts verstehe.

Ich sehe hübsch zurecht gemachte Touristinnen wie Profimodels posieren und ihren Männern, anscheinend noch keine Profi-Fotografen, detaillierte Anweisungen zurufen. Dabei entspannt zu wirken, ist sicher gar nicht so einfach.

Ein kleiner Junge düst mit dem Roller vorbei, ein etwas größerer kommt von hinten und versucht ihm den Roller zu entreißen. Eine ältere Frau (die Oma?) stürzt herbei. Sie packt den Jungen am Haarschopf und schimpft. Was war das nun wieder genau?

Genug der Erkundungstour, ich will nach Hause und noch ein wenig Rumänisch lernen. In meinem Zimmer im Hinterhaus in der General Magheru-Straße ist es unglaublich ruhig. Kaum vorstellbar, dass da draußen vor dem Hoftor die trubelige Stadt stattfindet. Zu Hause in Deutschland würde mir gerade akustisch „Berlin um die Ohren fliegen“. Hier ist wirklich nichts zu hören, außer den lebhaft zwitschernden jungen Schwalben bei ihren Flugversuchen. Schon um 20 Uhr schlafe ich mit meinem Vokabelzettel in der Hand ein.

Astrid STAUDINGER

Die Autorin ist Europäische Ethnologin und Sozialpädagogin und koordiniert in Berlin das von der „Aktion Mensch“ und „Familien für Kinder“ getragene Projekt „Careleaver Kompetenznetz“, in dem sich junge Menschen, die früher im Kinderheim oder in einer Pflegefamilie gewohnt haben, organisieren. Zur Zeit macht Astrid Staudinger ein zweiwöchiges Praktikum in der HZ-Redaktion weil sie gerne schreibt und sich in Rumänien verliebt“ habe. Auch hat sie Banater Schwaben als Vorfahren, genauer aus Ulmbach/Peciu Nou im Kreis Temesch.

 

Generalprobe mit Publikum am Sonntagmittag auf dem Großen Ring.

Foto: die Verfasserin

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Tourismus.