„Eine beachtliche bilaterale Aktivität“

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Gespräch mit dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier
Ausgabe Nr. 2483
 
 

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Um die Beziehungen zwischen Hessen und Rumänien weiter voranzubringen, weilt Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) seit Mittwoch und bis Samstag, den 4. Juni, in Rumänien. Er trifft in Bukarest Staatspräsident Klaus Johannis und Premierminister Dacian Cioloș. Mit ihnen will Bouffier, laut dpa-Meldung, unter anderem über die Flüchtlingsproblematik und die Abwanderung rumänischer Arbeitskräfte nach Deutschland sprechen, da viele Abwanderer in das Rhein-Main-Gebiet kommen. Außerdem steht am 3. und 4. Juni ein Besuch in Hermannstadt auf dem Programm. Vor Reiseantritt gewährte Ministerpräsident Volker Bouffier der HZ-Chefredakteurin Beatrice U n g a r folgendes Interview:

 

Ist das Ihr erster Besuch in Rumänien?

Nein. Ich war bereits einmal als Innenminister zu Gast, das war im Februar 2010. Damals haben Hessen und Rumänien eine Kooperation auf dem Gebiet des Brand- und Katastrophenschutzes geschlossen. Hessen hat die Regierung zuvor schon beim Aufbau eines Krisenzentrums unterstützt, das in der Organisationsstruktur, Arbeitsweise und technischer Ausstattung nahezu eins zu eins dem hessischen Modell entspricht. In der Zwischenzeit fanden mehrere Fach-, Arbeitsgespräche und Schulungen in Hessen und in Rumänien statt. Im Herbst sind weitere Fachgespräche zwischen den Innenministerien und den Feuerwehrschulen geplant, um die Zusammenarbeit und Unterstützung fortzusetzen.

Welche Bedeutung hat der Besuch im Hinblick auf die anstehenden Kommunalwahlen?

Ich messe Kommunalwahlen immer eine hohe Bedeutung bei. Auf kommunaler Ebene erfahren Politiker in besonders starkem Maße, was Bürger bewegt, was sie sich für ihre Zukunft wünschen und wo Probleme liegen. Politik ist hier ganz nahe bei den Menschen. Die Bürger können darüber entscheiden, wer am besten geeignet ist, in den nächsten Jahren das Leben in der Kommune zu gestalten.

Freie, geheime und faire Wahlen sind das Kennzeichen jeder Demokratie und mittlerweile glücklicherweise eine Selbstverständlichkeit in Europa. Das Wahlrecht ist ein wertvolles Gut, um das Bürger in vielen Teilen der Welt noch immer kämpfen.

Ich möchte deswegen die Bürger ermutigen, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und mit ihrer Stimme Politik mitzubestimmen. Dabei ist es die persönliche Entscheidung eines jeden Einzelnen, wem er seine Stimme geben möchte.

Welche Rolle spielt dabei die Beziehung Deutschlands zu Rumäniens?

Deutschland und Rumänien sind seit vielen Jahren sehr freundschaftlich miteinander verbunden. Das drückt sich sowohl in den vielen wechselseitigen Besuchen auf politischer Ebene aus als auch im wissenschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen beiden Ländern. Auch die Deutsch-Rumänische Industrie- und Handelskammer und die Deutschen Wirtschafts-
clubs in Rumänien weisen eine sehr beachtliche bilaterale Aktivität auf. Die Mitgliedsunternehmen der Kammern beschäftigen insgesamt über 300.000 Menschen in Rumänien und tragen damit zum Wohle des Landes bei. Ich halte die Kooperation zwischen beiden Ländern für enorm wichtig.

Welche Formen der Kooperation gibt es?

Hessen ist ein wichtiger Wissenschafts- und Innovationsstandort. Gerade Innovation und Wissenschaft leben vom kreativen Austausch, ohne den es keinen Fortschritt geben kann. Deswegen erfüllt es mich mit Freude, dass die 13 hessischen Hochschulen insgesamt fast 50 Kooperationen mit rumänischen Universitäten unterhalten. Die besonders enge Zusammenarbeit zwischen der Philipps-Universität Marburg und der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt möchte ich dabei besonders hervorheben.

In der Stadt Marburg ist man stolz auf eine Partnerschaftsurkunde, die der damalige Bürgermeister von Hermannstadt und heutige Staatspräsident Klaus Johannis im Jahre 2005 mit Oberbürgermeister Egon Vaupel unterzeichnete. Diese Städtepartnerschaft – wie auch die vielen anderen – trägt dazu bei, die Bürgerinnen und Bürger beider Staaten zusammenzubringen. Der Pflege der Beziehungen widmen sich auch 18 Schulpartnerschaften zwischen hessischen und rumänischen Schulen, die im vergangenen Jahr 36 Austauschfahrten durchgeführt haben.

Auch im Bereich von Kunst und Literatur gibt es einen regen Austausch zwischen Hessen und Rumänien. So kooperieren zwei renommierte Festivals – das Wiesbadener goEast-Filmfestival und das Hermannstädter Dokumentarfilmfestival – miteinander. Zur Vertiefung der interkulturellen Kontakte haben wir im Sommer 2004 das „Hessische Literaturstipendium“ ins Leben gerufen. Es ermöglicht auch rumänischen Autoren, Übersetzern, Dramatikern, Kulturjournalisten und Literaturvermittlern einen Aufenthalt in Wiesbaden und umgekehrt hessischen Literaten einen im Ausland.

Welche Bedeutung hat die deutsche Minderheit?

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Rumänien sind lebhaft und vielfältig und werden von Bürgern auf beiden Seiten wesentlich mitgetragen. Dabei ist die Rolle der deutschen Minderheit in Rumänien von außerordentlicher Bedeutung. Die deutsche Minderheit versteht sich zu Recht als „Brücke“ zwischen beiden Ländern. Bei vielen der skizzierten Aktivitäten war und ist sie ein unermüdlicher Motor. Die deutsche Minderheit verschafft sich in Deutschland Gehör zum Wohle des rumänischen Gemeinwesens. Das ist äußerst ehrenvoll und nutzbringend für den rumänischen Staat.

Glauben Sie noch an die europäische Idee?

Ja, daran glaube ich. Auch wenn viele Beobachter dieser Tage mit Sorge auf die EU schauen und sich fragen, wie der Prozess der Europäischen Einigung überhaupt weiter verlaufen kann. Es mag aber sein, dass wir uns ihrer neu besinnen und sie stärker erklären müssen, da Europa nicht mehr überall als Wert an sich verstanden wird. Auch hier muss eine Brücke gebaut werden. Deswegen hat es mich sehr erfreut, dass Rumänien als fünftes Land dem Europäischen Netzwerk „Erinnerung und Solidarität“ beigetreten ist. Das Europäische Netzwerk möchte die unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen Perspektiven der Europäer bewusst machen. Es möchte die verschiedenen Geschichtsbilder wechselseitig ergänzen, um dadurch in Europa Vertrauen und Verständnis füreinander wachsen zu lassen. Ich werte diese Initiative als einen Ansatzpunkt, Europa den Menschen näher zu bringen und glaube, dass Rumänien mit seinen enormen Erfahrungen auch hier viel beizutragen vermag.

Was steht auf dem Programm?

Das Besuchsprogramm ist mit Terminen dicht gefüllt. In Bukarest werde ich mit Staatspräsident Klaus Johannis und weiteren hochrangigen Regierungsmitgliedern zusammentreffen. Ich bin äußerst interessiert zu erfahren, wie die Technokratenregierung unter Premierminister Dacian Cioloș ihre politischen Vorstellungen umsetzt. Gespräche mit Abgeordneten und Wirtschaftsvertretern sowie der Antikorruptionsbehörde (DNA) stehen ebenfalls auf dem Programm.

In Hermannstadt werde ich mit Bischof Reinhard Guib, Bürgermeisterin ad interim Astrid Fodor, Dr. Paul-Jürgen Porr, dem Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, und Direktor Gerold Hermann (Brukenthalschule) zusammentreffen. Ich freue mich auch darauf, die Kirchenburg in Heltau zu besuchen. Ich habe schon immer eine besondere Wertschätzung für die Kulturdenkmäler Siebenbürgens gehabt.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Ministerpräsident Volker Bouffier.

Foto: Hessische Staatskanzlei

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe.