Streiflichter vom Internationalen Filmfestival in Cannes / Von Claus REHNIG
Ausgabe Nr. 2484
Drei Filme im offiziellen Programm, zwei im Wettbewerb und noch ein Kurzfilm. Ein schöner Erfolg für das rumänische Kino, das somit in Cannes beinahe überproportional repräsentiert war. „Câini“, der Erstlingsfilm von Bogdan Mirică bekam sogar den internationalen Kritikerpreis im Programm Un certain regard.
Es gibt zwar nur einen Hund in „Câini“, in dem ein junger Mann das Landhaus seines Großvaters verkaufen will und erkennt, dass es sich um ein weitläufiges Landgut an der Grenze zur Ukraine handelt, auf dem jede Nacht mafiöse Geschäfte gemacht werden. Ein Film, der von der Gestaltung her wie ein Western gemacht ist – weites Land, mehrere Showdowns am Ende -, sehr gut ankam und nun auf das nächste Werk von Bogdan Mirică hoffen lässt.
Cristi Puiu lieferte mit „Sieranevada“ den schwierigsten der drei Filme ab. Es geht um eine Familienzusammenkunft anlässlich des Todestags des Vaters (drei Tage nach dem Attentat auf die Charlie Hebdo-Redaktion), wo einige Meinungen hart aufeinandertreffen. Es gibt wenige Außenszenen, das meiste spielt sich in der engen Wohnung der Mutter ab und in diesen Szenen ist „Sieranevada“ wegen der Dichte der Handlung am stärksten. Doch fragt man sich manchmal, ob der Regisseur von „Moartea domnului Lăzărescu“ wirklich auf den Zuschauer zugehen oder ihn eher verunsichern will. Trotzdem: „Sieranevada“ gehörte beim Festival zu den oft zitierten preiswürdigen Filmen.
Der schon zweimal in Cannes preisgekrönte Cristian Mungiu (2007 mit der Goldenen Palme für „4 luni, 3 săptămâni şi 2 zile“ und 2012 gab es für „După dealuri“ den Drehbuch-Preis und den Preis für die besten Darstellerinnen – Cristina Flutur und Cosmina Stratan) zeigte in Cannes mit „Bacalaureat“ einen der überzeugendsten Filme, weil er sein Thema von A bis Z beleuchtet und nichts unklar lässt. Er durfte sich den Regiepreis ex aequo teilen mit dem französischen Regisseur Olivier Assayas („Personal Shopper“), übrigens ein Bewunderer von Mungiu.
In „Bacalaureat“ geht es um ein junges Mädchen, das kurz vor den Prüfungen zum Abitur überfallen wird, womit auch ihr Studium im Ausland gefährdet ist. Der Vater, ein bekannter Arzt, geschätzt dafür, dass er gerade nicht das übliche Kuvert vor der Operation haben will und integer ist, will sichergehen, dass seine Tochter trotz ihres gebrochenen und eingegipsten Arms ihr Abitur besteht und tut dafür das Notwendige. In „Bacalaureat“ zeigt Mungiu, dass sich in Rumänien seit dem Kommunismus nicht viel geändert hat, die Korruption noch immer an der Tagesordnung ist, im Privatleben sowieso alles schiefgeht und er plädiert für eine sauberere Gesellschaft. Der Vater muss noch gegen seine Überzeugung handeln, die Tochter hat schon eine ganz andere Sicht der Dinge. Vielleicht doch eine Hoffnung?
Der Kurzfilm von Cătălin Rotaru und Gabi Virginia Sarga („4.14 p.m. sfârșitul lumii“) war sehr seltsam. Da nimmt ein Autofahrer einen Anhalter mit, der ihm sagt, er wisse alles über ihn, er sei Jesus, und kündigt ihm das Ende der Welt an.
Es gab eigentlich viele interessante Filme in Cannes, nur fehlte manchmal der letzte Funke, der einen Spitzenfilm ausmacht. In „Julieta“ sieht man den dunklen Punkt im Leben einer Frau, der Verlust der Tochter, aber das verrückte, was einen guten Pedro Almodovar ausmacht, war nicht da. „American Honey“ (Jurypreis), ein Roadmovie von Andrea Arnold, dem man vor allem seine Länge von fast drei Stunden vorwerfen konnte, zeigt dagegen sehr schöne Bilder aus der amerikanischen Provinz. „Personal Shopper“ von dem Franzosen Olivier Assayas (Regiepreis ex aequo) über eine junge Frau (Kristen Stewart), die versucht, mit ihrem verstorbenen Zwillingsbruder Kontakt aufzunehmen, war sehr kontroversiert. Sehr umstritten, obwohl superb gemacht, „Juste la fin du monde“, über einen Mann, der krank zu seiner Familie zurückkommt, wo Kommunikation unmöglich ist, von dem Kanadier Xavier Dolan (Grand Prix und Ökumenischer Preis, womit die Arbeit ausgiebig gewürdigt wurde).
Zu den sicheren Werten gehörte der neue Film von Ken Loach „I, Daniel Blake“, der auch die Goldene Palme bekam, obwohl er sehr konventionell ist. Es geht darin um einen Mann, der nach einem Unfall Schwierigkeiten hat, mit den Computern, über die heute alles deklariert werden muss und sich schließlich für andere einsetzt, die Hilfe nötig brauchen.
Die Geschichte von „Paterson“, einem Busfahrer, der Gedichte schreibt und jeden Tag dasselbe tut, ganz im Gegensatz zu seiner Frau, die Abwechslung braucht, von Jim Jarmusch minimalistisch inszeniert, begeisterte ebenso wie „Elle“, einer der von der Gestaltung überragenden Filme und eine der angenehmen Überraschungen. Isabelle Huppert spielt da ein Katz- und Mausspiel mit einem geheimnisvollen nächtlichen Angreifer.
Von Anfang an war der deutsche Beitrag von Maren Ade einer der Spitzenreiter dieses Festivals, da er Presse und Publikum gleichermassen überzeugte. In „Toni Erdmann“ besucht ein Vater seine berufsorientientierte Tochter in Bukarest (der Film ist von Rumänien zu einem kleinen Teil mitproduziert), was die missbilligt. Offiziell reist er ab und bleibt aber als Guru Toni Erdmann vor Ort, wo seine Ratschläge in Sachen Lebensführung glänzenden Erfolg haben, sodass sich letztlich auch seine Tochter angesprochen fühlt, der er etwas mehr Leichtigkeit und weniger Stress wünscht. „Toni Erdmann“ war sicher die Komödie in Cannes, wo am meisten und am herzlichsten gelacht wurde. Da konnte auch der zur Eröffnung gezeigte Woody Allen „Café Society“ über das Hollywood der dreissiger Jahre kaum mithalten.
Die Jury unter dem Vorsitz des Australiers George Miller („Mad Max“) sorgte für einige Überraschungen bei der Preisvergabe, denn sie verlieh dem iranischen Film „Le Client“, einer französischen Coproduktion, gleich zwei Preise. Einmal für das Drehbuch von (Regisseur) Asghar Farhadi und dann noch den Schauspielerpreis für Shahab Hosseini. Der Film handelt von einer Frau, die vergewaltigt wird, weil die Familie in die frühere Wohnung einer Prostituierten eingezogen ist, und der ‚Klient‘ dachte, sie sei eine Prostituierte.
Der Preis für die beste Schauspielerin ging an Jaclyn Jose für ihre Rolle in dem philippinischen Film „Ma’Rosa“ von Brillante Mendoza. Darin wird eine Ladenbesitzerin wegen Drogenverkaufs verhaftet und Familie und Freunde tun alles, um sie vor der Korruption der Polizei zu schützen. Und schließlich bekam der Schauspieler Jean-Pierre Léaud, der hier in dem Film „La Mort de Louis XIV“ von Albert Serra zu sehen war, eine Ehrenpalme für sein Lebenswerk, aber das war vorgesehen. Ken Loach sagte übrigens bei der Preisverleihung, dass er seinen Film gemacht habe, damit die Menschen ihr Denken ändern und solidarischer würden…