Zur Uraufführung des Stückes „Ziege, bist du satt?“ von Anatol Vitouch
Ausgabe Nr. 2478
Dienstagabend, 19 Uhr, „Radu Stanca“-Theater. Weltpremiere des Theaterstücks „Ziege, bist du satt?“ von Anatol Vitouch in der Regie von Felicitas Braun. Vier Schauspieler der deutschen Abteilung sind auf der Bühne zu sehen: Ali Deac, Johanna Adam, Anca Cipariu und Valentin Späth. Die Vorstellung beginnt ganz vorhersehbar mit dem Vortrag des bekannten Märchens der Gebrüder Grimm „Tischlein, deck dich“. Und gleich danach ist nichts mehr vorhersehbar.
Berta (Johanna Adam) und Joseph (Ali Deac) servieren ihren Gästen Elena (Anca Cipariu) und Tom (Valentin Späth) rohes Ziegenherz, das aus unbekannten Gründen wie eine Droge auf die vier wirkt und sie in ihr eigenes Unterbewusstsein eintauchen lässt und Albträume provoziert.
Es stellt sich heraus, dass Joseph Stalin, der „Kinderbuchautor“, das vergiftete Herz vorbereitet haben soll. Die Ziege, die immer wieder auftaucht, mal als Toms Mutter, mal als Symbol des Kommunismus und zugleich Stalins Mutter, wird aus dem Fenster geworfen und erschlägt ein Kind.
Zum Schluss wird die Ziege – „Stalin“ begrüßt sie mit den Worten „Mutter“ – von Tom, der nun als Stalin gekleidet ist, erschossen.
„Ziege, bist du satt?“ ist ein „Wahnspiel in acht Bildern“, voller absurder Szenen und irritierender Gespräche. Das Theaterstück hat der junge österreichische Dramaturg Anatol Vitouch für die Schauspieler der deutschen Abteilung geschrieben und die Produktion wurde vom österreichischen Kulturforum finanziell unterstützt. Eine hervorragende Leistung ist allen Schauspielern zuzuschreiben. Hut ab!
Was die Ziege mit Stalin zu tun hat und warum der rumänische Diktator Ceaușescu nicht in Frage kam, erklärten der Autor Anatol Vitouch und die Regisseurin Felicitas Braun in einem kurzen Gespräch nach der Uraufführung.
Warum Stalin?
Felicitas Braun: Was man als Zuschauer mitbekommt, ist, dass sich die Schauspieler das auch gefragt haben, dass die Regie sich das gefragt hat. Wir können es nicht erklären. Außer in dem Sinn, wie es im Stück erklärt wird, nämlich durch die Einspielung der Stimmen, die der Autor selbst eingesprochen hat, als eine Reminiszenz der Postmoderne, wo man einfach nur darüber spricht, dass alles, was man sagt, schon einmal da war, und wir uns nur aus diesen Wiederholungen eigentlich zusammensetzen können. Wir wissen auch nicht, woher dieser Stalin kommt, aber wir wissen woraus wir uns speisen können, nämlich aus der Vergangenheit. Und wie wir sie verarbeiten können, ist einzig und allein die Wiederholung.
Anatol Vitouch: Und wir haben uns gefragt, könnte an der Stelle nicht auch Ceaușescu stehen? Aber da sind wir zu dem Schluss gekommen, dass das nicht funktionieren würde, weil das eine viel konkretere, realere historische Person ist, während Stalin für uns alle ähnlich wie Hitler und in gewisser Weise ähnlich wie Mickey Mouse ein Übername ist, der überall auftaucht und sich wiederholt und der sich abgelöst hat von dem, was an Realem damit tatsächlich zusammenhängt.
Ist die Ziege ein Symbol?
Anatol Vitouch: Ich denke, sie ist ein Symbol im surrealistischen Sinn des Symbolbegriffs. Es ist ein Symbol, von dem man spürt, es verweist auf etwas. Es gibt verschiedene Dinge, die man sich dazu denken könnte, auf die es verweist, aber nichts davon lässt sich eindeutig einlösen.
Ist das Herz ein Symbol?
Felicitas Braun: Absolut, nur auch da kriegen wir eine falsche Fährte erzählt. Das Stück schützt den Zuschauer vor dieser einfachen Dekodierung und befreit ihn und öffnet Türen für Assoziationen. Letztere sind interessant und es sind definitiv unterschiedliche. Die unterschiedlich falschen Fährten sind das, was uns sehr interessiert hat. Ich glaube nach wie vor daran, dass ein Theaterstück, wenn es auf der Bühne passiert, auf jeden Fall parallel dazu auch noch eine andere Geschichte hat, nämlich die des Publikums.
Was bedeutet Theater für Sie?
Anatol Vitouch: Es besteht immer die Gefahr, dass man ins eine oder andere Extrem fällt, aus meiner Sicht. Dort, wo ich alles schon recht früh verstehe, dort interessiert es mich nicht mehr, weil es keine Spannung gibt, andererseits, wenn etwas ganz ins Chaos kippt, in der Hinsicht, dass ich gar keinen Faden mehr habe, dann wird es uninteressant und willkürlich. Wir haben beim Schreiben und Inszenieren versucht, diesen schmalen Grat zwischen diesen beiden Extremen zu gehen.
Felicitas Braun: Das Interessanteste im Theater ist, dass alles passieren kann.
Cynthia PINTER
Weltpremiere: Die Welturaufführung des Stückes „Ziege bist du satt?“ von Anatol Vitouch an der deutschen Abteilung des Hermannstädter Radu Stanca-Nationaltheaters sorgte für Aufsehen. Unser Bild: Szenenfoto mit den vier Darstellern (v. l. n. r.) Johanna Adam, Valentin Späth, Anca Cipariu und Ali Deac.
Foto: Cynthia PINTER
Im Anschluss an die Weltpremiere lud Elisabeth Marinkovic (Bildmitte), Kulturattachée an der Botschaft der Republik Österreich in Bukarest, zu einem Stehempfang im Foyer des Theaters ein. Mit ihr freuten sich (v. l. n. r.) Bühnenbildnerin Sonja Böhme, Regisseurin Felicitas Braun, Anatol Vitouch und Daniel Plier, der Leiter der deutschen Abteilung.
Foto: Fred NUSS