Ausgabe Nr. 2469
Meine Begegnung mit Ursula Ackrill in Hermannstadt und Bukarest
Mit ihrem ersten Roman im Gepäck landete Ursula Ackrill nach Jahren der Abwesenheit vor Tagen auf dem Hermannstädter Flughafen, die Karpaten hatte sie überflogen, die Stadt am Zibin war ihr vertraut. Ihren Debütroman „Zeiden, im Januar“, der bereits für Aufregung und Ärger gesorgt hatte, stellte sie am 12. Februar im Deutschen Kulturzentrum vor. Viele Zuhörer waren gekommen, man sprach von neunzig. Frau Ada Tănase, die Leiterin des Instituts empfing mit freundlichen Worten die Gäste, die Deutsche Konsulin Judith Urban wies auf die Nominierung des Romans für den Leipziger Buchpreis hin. Viel sei über Siebenbürgen, auch über die Vergangenheit des Landesteiles inmitten der Karpaten geschrieben worden, doch nur wenige hätten sich wie Ursula Ackrill der nationalsozialistischen Zeit gestellt. „Zeiden im Januar“ sei kein Roman, der gefallen will, kein Roman zum Ausruhen, er solle anregen und reflektieren.
Die Germanistin und Journalistin Beatrice Ungar, Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung, stellte Ursula Ackrill in Lebensbildern vor, moderierte den literarischen Abend, stellte wissende Fragen, die ebenso wissend beantwortet werden. Die Initialzündung zu diesem Roman waren die Großeltern, die sie, die Autorin, jahrelang belauschte, wichtig waren diese nahestehenden Menschen für sie. Den Großvater beschrieb sie als begnadeten Geschichtenerzähler. Ursula Ackrill meinte im Gespräch, dass die Rumäniendeutschen, in der Nationalsozialistischen Zeit verführt wurden, sie hatten die Entwicklung nicht in der Hand, eine unreflektierte Nähe zur Nazizeit blieb, und so nahmen sie die damalige Zeit, nahmen sie das damalige Unrecht in Schutz. Die negativen Energien in der Familie spürte sie stark, die latente unreflektierte Nähe zum Dritten Reich ebenso. Über das an der jüdischen Bevölkerung verübte Unrecht wurde ebenso wenig gesprochen.
Ursula Ackrill wollte mit ihrem Roman, mit diesem Thema eine Lücke schließen, wie wir im Gespräch mit Beatrice Ungar erfuhren. Wir erfuhren auch, dass für sie die Realität stärker war, sie einfach das Gehörte aufnehmen und darüber schreiben musste. Bereits in der Schule war für sie Schreiben, waren Aufsätze wichtig, ein zukünftiges Leben als Schriftstellerin stellte sie sich schon damals vor.
Ursula Ackrill wurde in Kronstadt 1974 geboren, ging in Zeiden zur Volksschule, ihre geisteswissenschaftliche und humanistische Neigung wurde am Pädagogischen Lyzeum in Hermannstadt aus- und weitergebildet, der Grundstock zum späteren Studium der Germanistik und Orthodoxen Theologie gelegt. Aus der siebenbürgisch-sächsischen provinziellen Enge wollte Ackrill, die Tochter einer Rumänin und eines Siebenbürger Sachsen, fliehen, entschied sich für ein Studium an der Bukarester Universität. Selbstständiger wurde sie und freier fühlte sie sich in der walachischen Großstadt, wollte und konnte endlich Rumänien aus der Perspektive der Rumänen kennen lernen. Die rumänische Kultur wurde außen vorgelassen, war weit weg in den Gedanken der Rumäniendeutschen inmitten der Karpaten. Ein kurzzeitiger Aufenthalt in Deutschland folgte, doch kehrte Ursula Ackrill zurück nach Bukarest und beendete das dort begonnene Studium mit dem Bachelor über Theodor Fontane. Die Auswanderung auf die Britische Insel folgte, für einen Masterabschluss der Informationswissenschaften an der Loughborough Universität schrieb sie über Art Spiegelmans „Maus“, über Christa Wolf promovierte sie. Auf der Britischen Insel fühlt sie sich zuhause, die gute und konstante Beziehung zu ihrem Partner beflügelten sie zu dem Roman, der im Jahr 2015 im Verlag Wagenbach in Berlin erschienen ist. Als Bibliothekarin arbeitet die Schriftstellerin Ursula Ackrill in der Bibliothek der University of Nottingham „Manuscripts of Special Collections“. In ihrer Obhut befinden sich über sechzigtausend Bände aus dem 16./17. Jahrhundert bis zum Jahr 1850. Sie liebt den Umgang mit diesen Büchern, verrät sie uns.
Bei Wein, wohlschmeckenden kulinarischen Häppchen und interessanten Gesprächen mit dem einen und der anderen endete der Abend in Hermannstadt.
Ursula Ackrill und Eginald Schlattner, Pfarrer und Schriftsteller in Rothberg, setzten das Gespräch am Samstag unter Dichtern auf dem Pfarrhof von 1762, am Tag darauf fort. Diskurse über das Schreiben, über Literatur, die Historie Siebenbürgens, über das Verlassen der sächsischen Dörfer vor fünfundzwanzig Jahren, über Gott und die Welt etc. etc. Der Weg zur alten romanischen Kirche aus dem Jahr 1225 ist ein Katzensprung.
Tage später, am 15. Februar, trifft sich das deutschsprachige interessierte Publikum im Goethe-Institut in Bukarest wieder. Die Leiterin Dr. Evelin Hust freut sich über das Interesse an der Lesung, an dem Buch von Ursula Ackrill „Zeiden, im Januar“. Die Lesung war Auftakt einer neuen Lesereihe des Goethe-Instituts, zeitgenössische Literatur aus Deutschland dem rumänischen Publikum vorzustellen. Der Germanist, Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Autor, Universitätsprofessor Gabriel Horațiu Decuble aus Bukarest, unternahm zusammen mit der Autorin Ursula Ackrill einen Streifzug durch ihren Roman, lässt das Jahr 1941 in Zeiden und Bukarest in Szenen rückblickend vorbeiziehen.
Ursula Ackrill kramte die Geschichten und das Gefühlte von damals hervor und schrieb, was sie nicht lassen konnte. Ohne Agentur und Vermittlung verschickte sie im Jahr 2013 das Manuskript und wartete… Sie sah sich bereits als gescheiterte Literatin! Darüber nachzudenken ist heute müßig, bereits 2015 wurde der Roman von Ursula Ackrill, der soeben im Verlag Wagenbach in Berlin erschienen war, für den Leipziger Buchpreis nominiert. Eine steile Karriere für einen ersten Roman.
Christel WOLLMANN-FIEDLER
Zu Besuch im Rothberger Pfarrhaus (v. l. n. r.): Ursula Ackrill, Eginald Schlattner und Judith Urban.
Foto: die Verfasserin