„Damals wie heute“

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Ausgabe Nr. 2437
 

Gedenktag für Opfer von Flucht und Vertreibung in Berlin

 

„Die Schicksale von damals und die Schicksale von heute gehören zusammen". Dies sagte Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich des ersten deutschen Gedenktages für die Opfer von Flucht und Vertreibung, der am 20. Juni 2015 in Berlin stattfand, und jener 14 Millionen Deutscher und Deutschstämmigen gedachte, die während und am Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Heimat durch Flucht, Deportation und Vertreibung verloren.

 

Im August 2014 hatte die Bundesregierung die Einführung  eines Gedenktages für die Opfer von Flucht und Vertreibung beschlossen, der  jährlich am 20. Juni begangen werden sollte. Bereits 2001 wurde dieses Datum von den Vereinten Nationen (UNO), zum Weltflüchtlingstag erklärt. Im Rahmen meines Engagements für den Verein der ehemaligen Russlanddeportierten, konnte ich an diesem ersten bundesweiten Gedenktag teilnehmen, wo Bundespräsident Gauck über „Heimatlose einst und Heimatlose heute und morgen" in seiner Rede sprach. Er unterstrich, dass „Menschen seit Urzeiten ausgegrenzt, verfolgt und vertrieben wurden, und das auf ganz existentielle Weise die Schicksale von damals und die Schicksale von heute, die Trauer und die Erwartungen von damals und die Ängste und die Zukunftshoffnungen von heute zusammengehören".

Aus der historischen Perspektive heraus wissen wir, dass die Vertriebenen und Aussiedler aus den ehemaligen Ostgebieten, der ehemaligen DDR, aus den süd- und osteuropäischen Ländern der ehemaligen UdSSR, ebenso wie die Spätaussiedler, die in den 90-er Jahren kamen, keineswegs mit offenen Armen empfangen wurden! Daher wurde die Äußerung des Vorsitzenden des BDV, Bundesvereinigung der Vertriebenen, Bernd Fabritius, MdB, begrüßt, der in seiner kurzen Ansprache sagte: „Deutschland war diesen Gedenktag den eigenen Opfern schuldig".

Erika Steinbach, MdB, Vorgängerin von Fabritius, hat über Jahre für die Einführung eines solchen Gedenktages gekämpft, und immer wieder betont, dass „Vertreibung immer Unrecht ist, damals ebenso wie heute". In seiner Rede würdigte Joachim Gauck unsere europäischen Nachbarn, die vielfach anerkannt haben, dass damals auch Unrecht getan wurde. In Polen, Ungarn, Lettland, der Tschechischen Republik, ja auch in Rumänien, gab es diesbezügliche Gesten und Äußerungen. Gauck dankte für das „neue Vertrauen".

Auch in den einzelnen Bundesländern gibt es Gedenktage: Bayern, Hessen und Sachsen hatten einen eigenen „Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation" beschlossen, der erstmals am zweiten Sonntag im September 2014 stattfand. Heftig diskutiert wurde über den Terminus „Deportation“ , da der Begriff im Zusammenhang mit dem  Zweiten Weltkrieg ausschließlich für die Judenverfolgung verwendet wurde.

In seiner 40-minütigen Rede mahnte Gauck mehr Hilfe für Flüchtlinge an. Er bezeichnete die Aufnahme schutzbedürftiger Flüchtlinge als „moralische Pflicht". Er rief die Bundesbürger auf „Offenheit für das Leid des Anderen" zu zeigen. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs seien so viele Menschen entwurzelt gewesen, und die Zahlen dürften weiter steigen. „Wir stehen vor einer großen Herausforderung, und angesichts dieser dramatischen Entwicklung haben wir unseren Blick zu weiten. Flüchtlingspolitik ist längst mehr als Innenpolitik  – sie reicht längst hinein in unsere Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Es ist die moralische Pflicht aller Staaten Europas, Flüchtlinge vor dem Tod im Mittelmeer zu retten. Einen derartigen Schutz halte ich nicht für verhandelbar", unterstrich Gauck.

In seiner kühl-sachlichen Art sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der Gedenkfeier im Deutschen Historischen Museum, dass es keine einfachen und schnellen Lösungen für die weltweit 60 Millionen Flüchtlinge geben werde  – die Hälfte davon Kinder.

Gaucks Schlusswort lautete: „Warum sollte ein wirtschaftlich erfolgreiches und politisch stabiles Deutschland nicht fähig sein, in gegenwärtigen Herausforderungen die Chancen von morgen zu erkennen?"

                                  Elke SABIEL

 

 

Bundespräsident Joachim Gauck, Heidemarie Hansen, Leiterin einerFreiwilligen Agentur" in Berlin Charlottenburg, die das freiwillige, ehrenamtliche Engagement in Seniorenclubs, Jugendverkehrsschulen fördert, und die Autorin des Beitrags, Elke Sabiel, beim Empfang (v. l. n. r.).

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe.