Ausgabe Nr. 2436
Rückblick auf das 22. Internationale Theaterfestival in Hermannstadt
Es sei eine „anthologische Auflage" gewesen, „für die Sammlung geeignet", sagte der Festivalsleiter und Intendant des Hermannstädter Radu Stanca-Nationaltheaters Constantin Chiriac zum Abschluss der 22. Auflage des Internationalen Theaterfestivals in Hermannstadt, die vom 12. bis 21. Juni über die Bühne(n) gegangen ist. Er dankte allen Beteiligten, ohne die „dieses Wunder" nicht möglich gewesen wäre. Allen voran dem Bürgermeisteramt und dem Stadtrat sowie den Partnern von der Lucian Blaga-Universität Hermannstadt und den Geldgebern vom Kulturministerium sowie vom Rumänischen Kulturinstitut (ICR).
Chiriac betonte: „Durch Exzellenz kann man eine gewisse Normalität schaffen. Wir wollen nicht preisgekrönt werden sondern wir wollen arbeiten um zu zeigen, dass man mit Willen, Glauben und Können auch in Rumänien eine außerordentliche Leistung erbringen kann." Zu dieser Leistung hätten ferner die zahlreichen Freiwilligen – 300 aus Rumänien bzw. insgesamt 27 aus Japan, Ungarn, Bulgarien, Südkorea, Kanada, Georgien, Deutschland und der Republik Moldova – beigetragen, fügte Chiriac hinzu. Und kündigte schon den Termin für das nächste, das 23. Internationale Theaterfestival in Hermannstadt an: 10.-19. Juni 2016.
onale Theaterfestival in Hermannstadt an: 10.-19. Juni 2016. Aber vorerst können Interessierte Fernsehzuschauer Rückblick halten auf das Festival: am Samstag, den 27. Juni, 21 Uhr, wird auf TVR 1 eine Aufzeichnung von der Gala des Festivals ausgestrahlt, die am Samstag im Thaliasaal stattgefunden hat und bei der zunächst weitere fünf Sterne auf der „Ruhmesmeile" an der Oberen Promenade an bekannte und geschätzte Regisseure, Dramaturgen und Schauspieler vergeben (siehe Bild oben rechts) und anschließend die Regisseurin Gianina Cărbunariu mit dem Iulian Vișa-Preis und der Schauspieler Marian Ralea mit dem Virgil Flonda-Preis ausgezeichnet wurden. Ein Interview mit dem Ehrengast des diesjährigen Festivals, dem österreichischen Schauspieler und Regisseur Klaus Maria Brandauer, das Christel Ungar-Țopescu, die Chefredakteurin der Deutschen Sendung im Rumänischen Fernsehen am Sonntag im Café Wien aufgezeichnet hat, wird in der AKZENTE-Sendung am Donnerstag, dem 9. Juli, 15.30 Uhr, auf TVR 1 ausgestrahlt.
Egal wie viele Aufzeichnungen wohl gemacht wurden, es war, es ist und es bleibt ein Ding der Unmöglichkeit, den Veranstaltungen an den zehn Festivalstagen gerecht zu werden. Schon allein die Tatsache, dass viele Vorstellungen gleichzeitig über die Bühne gehen, macht es dem interessierten Theaterbesucher schwer, ganz zu schweigen von den Journalisten, die an diesen Tagen regelrecht vor eine Zerreißprobe gestellt werden. Wer den sprichwörtlichen roten Faden sucht, kann sich wohl auch nicht entscheiden, an welchem Ende er oder sie anfassen sollte, um ihn abzuspielen. Auf jeden Fall boten die zwei Ein-Mann-Stücke in deutscher Sprache einen Spannungsbogen, der unter dem Titel "Zwei verstörende Pole der Einsamkeit" zusammengefasst werden könnte.
An einem Pol steht die ausgezeichnete Inszenierung Peter Steins von Samuel Becketts Klassiker „Das letzte Band" mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle, die am Freitag Abend im Thaliasaal aufgeführt wurde. Am anderen Pol befand sich die Inszenierung von Kafkas „Der Bau" in der Regie von Carsten Ramm, die mit René Laier in der Hauptrolle am Samstag Nachmittag im Gong-Theater zu sehen war.
Klaus Maria Brandauer versucht in der Rolle des betagten Schriftstellers Krapp atemberaubend wortkarg bis sprachlos, Einblick zu gewähren in die, zumindest in der auf Tonbändern aufgezeichneten Selbstdarstellung, bewegte Vergangenheit eines Frauenhelden, der es kaum noch schafft, sich über die Bühne zu schleppen und der in Zeitlupentempo agiert. Die Peter Stein-Inszenierung hatte im März 2013 Premiere in Neuhardenberg und am 22. März 2013 im Burgtheater, pünktlich zum 70. Geburtstag von Brandauer, der bei der Gelegenheit sagte: „Eigentlich wollte ich alte Säcke noch nicht spielen". Ob er es nun wollte oder nicht, Peter Stein sei Dank dafür, dass er es "gemusst" hat. Die Begegnung der beiden hat übrigens erst 40 Jahre nach Beginn ihrer jeweiligen Karriere stattgefunden, wie Brandauer bei der Begegnung mit dem Publikum am Samstag in der Habitus-Buchhandlung sagte. Die Begegnung sei "zufällig" zustandegekommen, an einem Geburtstagsfest, sagte Brandauer. Er allerdings werte sie als „schicksalhaft". Zu Beginn seiner Karriere habe er Regisseur Fritz Kortner (1892-1970) als Begleiter gehabt, zum Abschluss sei er nun Peter Stein begegnet. Gemeinsam haben Brandauer und Stein nämlich Kortner als Vorbild. Bei dem Gespräch mit den Theaterkritikern George Banu und Irina Margareta Nistor äußerte sich Brandauer allerdings auch verhalten kritisch dem Hermannstädter Publikum gegenüber. Er fände die Stadt Hermannstadt schön, „alles ist gut", aber er habe es störend empfunden, dass es vor der Vorstellung im Thaliasaal sehr stark rumort hat. Er befand sich ja beim Einlass des Publikums – der sich etwas verzögert hatte, da der Schirmherr des Festivals, Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis und seine Gattin Carmen Johannis erwartet wurden – schon auf der Bühne und hätte Ruhe gebraucht, um sich auf das Stück zu konzentrieren. Die lauten Stimmen der Menschen, die ihre Plätze suchten und sich dann noch laut räusperten hätten es ihm erschwert, die Konzentration wieder aufzubauen.
Mit dieser Äußerung in den Ohren fragte die Autorin dieser Zeilen den Bruchsaler Schauspieler René Laier vor der Aufführung von Kafkas Stück, ob er nicht Ruhe brauche, um sich konzentrieren zu können. Laier sagte nur, er brauche keine Ruhe, die helfe ihm ja auch nicht mehr, das Lampenfieber zu vertreiben. Dieses vergehe nur beim Spielen auf der Bühne. Und so war es denn auch. Die Inszenierung von Carsten Ramm, der sich als Regisseur nicht zu gut war, um an der Rolle mit der rumänischen bzw. englischen Übertitelung zu drehen, erwies sich als Publikumserfolg. Wortreich, atemlos, pausenlos spricht der Schauspieler den ausgezeichneten Text von Kafka, der nichts an Aktualität eingebüßt hat. Ganz im Gegenteil. So beginnt der unfertige Roman Kafkas, der übrigens jetzt auch noch von Jochen Alexander Freydank verfilmt wurde, mit Axel Prahl in der Hauptrolle (Kinostart in Deutschland: 9. Juli 2015): „Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohlgelungen. Von außen ist eigentlich nur ein großes Loch sichtbar, dieses führt aber in Wirklichkeit nirgends hin, schon nach ein paar Schritten stößt man auf natürliches festes Gestein. Ich will mich nicht dessen rühmen, diese List mit Absicht ausgeführt zu haben, es war vielmehr der Rest eines der vielen vergeblichen Bauversuche, aber schließlich schien es mir vorteilhaft, dieses eine Loch unverschüttet zu lassen. (…) Doch verkennt mich, wer glaubt, daß ich feige bin und etwa nur aus Feigheit meinen Bau anlege. Wohl tausend Schritte von diesem Loch entfernt liegt, von einer absehbaren Moosschicht verdeckt, der eigentliche Zugang zum Bau, er ist so gesichert, wie eben überhaupt auf der Welt etwas gesichert werden kann…"
Zum Schluß sei auf den Titel des Tanztheaters von Jin Xing (China) hingewiesen, der lautet „Ich will anders sein". Er passt zum Hermannstädter Theaterfestival. Es möchte anders sein, ohne sich damit zu affichieren, ohne aufdringlich zu werdensondern auch natürliche Weise.
Beatrice UNGAR
Der Schirmherr des Festivals, Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis, wird vor dem Thaliasaal von Festivalsdirektor Constantin Chiriac und Hermannstadts Bürgermeisterin ad interim, Astrid Fodor, begrüßt.
Fünf Sterne auf der „Ruhmesmeile" an der Oberen Promenade vergaben Astrid Fodor (2. v. r.) und Constantin Chiriac (1. v. r.) am Samstag an Joël Pommerat, Neil LaBute, Eimuntas Nekrosius (die sich vertreten ließen), Kazuyoshi Kushida (3. v. l.) und Klaus Maria Brandauer (3. v. r.). Foto: Sebastian MARCOVICI
Ehrengast aus Österreich fand Hermannstadt schön: Klaus Maria Brandauer (rechts) mit Vicențiu Rahău, Koordinator für Indoor-Events des Internationalen Theaterfestivals, im Durchgang unter dem Turm der römisch-katholischen Kirche auf dem Weg zu der Konferenz am Samstag in der Habitus-Buchhandlung. Foto: Beatrice UNGAR
Herrliche Stimmen: Am Donnerstag der Vorwoche konzertierte in der evangelischen Stadtpfarrkirche der Frauenchor des bulgarischen Staatsrundfunks und -fernsehens unter der Leitung von Dora Hristova auf. Mit ihren herrlichen Naturstimmen begeisterten die 24 Sängerinnen das Publikum. Foto: Dragoș DUMITRU