Ausgabe Nr. 2426
Aus dem Archiv der Hermannstädter Zeitung: Gespräch mit Günter Grass
Sein Roman „Die Blechtrommel" erschien 1959, 1969 war er in Rumänien auf Lesereise unterwegs, dreißig Jahre danach erhielt der deutsche Schriftsteller Günter Grass den Nobelpreis für Literatur. Am Montag, den 13. April 2015 ist der am 16. Oktober 1927 in Danzig/Gdansk geborene Schriftsteller, den Hellmuth Karasek eine „monumentale Jahrhundertfigur der Weltliteratur" nannte, in Lübeck gestorben. Aus aktuellem Anlass können Sie im Folgenden das Interview lesen, das der Literaturhistoriker Walter Engel mit Günter Grass in Hermannstadt geführt hat und das in der Hermannstädter Zeitung vom 14. November 1969 abgedruckt worden ist.
„Der bekannte westdeutsche Schriftsteller Günter Grass, der unserem Land auf Einladung des Schriftstellerverbandes einen Besuch abgestattet hat, weilte am vergangenen Freitag und Samstag in Hermannstadt, wo er mit Intellektuellen zusammentraf und aus seinen Werken vorlas. Einleitend sprach Prof. Eberhard Lämmert über die gesellschaftliche Funktion des Dichters. Günter Grass gewährte uns bei dieser Gelegenheit ein Interview.
Herr Grass, wie fühlen Sie sich heute abend hier in Hermannstadt?
Nach einem so guten Abendessen im Römischen Kaiser fühle ich mich ausgezeichnet. Ich habe ein Gespräch hinter mir mit den Deutschen hier in Siebenbürgen. Es war nicht nur eine einseitige sogenannte Dichterlesung, sondern die Diskussion war für mich auch wichtig, da sie meine Erfahrungen bereicherte. Und ich werde natürlich auch in Westdeutschland darüber berichten.
Welches waren Ihre bisherigen Kontakte mit der rumäniendeutschen Literatur?
Ich habe nicht sehr viel gelesen. Man kann bei uns sehr wenig bekommen. Ein Roman von Herrn Schuster hat mich sehr interessiert. Dann habe ich einige Lyrik gelesen, und ich will nun eine Reihe von Gedichten siebenbürgischer Dichter veröffentlichen.
Wie schätzen Sie die rumäniendeutsche Literatur ein, die Sie gelesen haben?
Mir ist besonders aufgefallen, dass bei der Lyrik die Einflüsse von allen möglichen Bereichen kommen, dass also von einer provinziellen Enge hier nicht die Rede sein kann. Das führt manchmal ins Epigonale und Dilletantische hinein. Aber auf jeden Fall mit einem Qualitätsniveau, das sich ohne weiteres mit Versuchen von jungen westdeutschen Lyrikern vergleichen lässt.
Welcher Umstand hat Sie gerade nach Hermannstadt geführt?
Ja, insgesamt dreht es sich darum, dass ich hier einen Rumänienbesuch mache und gleichzeitig, wenn ich schon in Rumänien bin, auch nach Siebenbürgen fahren wollte.
Nun einige Fragen zur Literatur in der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben öfter auf Tagungen der Gruppe 47 gelesen. Wie sehen Sie die Zukunft dieser Gruppe?
Ja, es sah eine Zeitlang so aus, als wollte sie einschlafen. Und zwar schon in den letzten beiden Jahren. Ich glaube aber, dass bei der jungen Schriftstellergeneration der Wunsch da ist, die Gruppe 47 zu erhalten. Die Schriftsteller sind verteilt über das ganze Land und die Gruppe 47 hatte neben vielem anderen die Funktion, sich zu treffen, darüber zu berichten, was gerade in Arbeit ist. Und wenn diese Zusammenkünfte wegfallen, dann wäre das ein Verlust.
Herr Grass, Ihr letzter Roman „Örtlich betäubt" wurde von der Kritik nicht sehr günstig aufgenommen. Der bekannte Kritiker Ranicki bezeichnete ihn als einen Tiefpunkt Grass. Der Roman könne den „Hundejahren" und der „Blechtrommel" nicht das Wasser reichen.
Also, Herr Ranicki ist ein Kritiker, der mich immer sehr amüsiert. Ich muss damit im Zusammenhang sagen, dass er „Die Blechtrommel" schrecklich verrissen hat, als sie erschien, und dass ich es gewohnt bin, derart von ihm eingestuft zu werden. Ranicki hat aber sein Urteil über „Die Blechtrommel" einige Jahre später revidiert. Ja, und warum sollte er das nicht auch mit meinem jüngst erschienenen Roman tun?
Ranicki fragte sich auch dabei, ob dieser Tiefpunkt bei Ihnen nicht für die westdeutsche Literatur überhaupt charakteristisch ist. Was meinen Sie dazu?
Ach nein, das sind so schreckliche Prognosen des Herrn Ranicki. Wir haben eine ganze Reihe junger Schriftsteller, von Handke angefangen bis Wondracek, die jetzt ihre ersten Bücher veröffentlichen. Die junge Generation von Autoren ist im Gegensatz zu meiner Generation ungeheuer perfekt vom Handwerk. Sie sind sehr rasch bei den Ergebnissen. Sie beherrschen alle Stilmittel und das macht ihre Bücher ein wenig glatt. Und trotz des hohen, komplizierten Anspruches gefällig. Da sehe ich Gefahren für die junge Schriftstellergeneration, weil sie mit einem hohen Grad von Perfektionismus beginnen. Junge Leute gehen bei Diskussionen ans Mikrophon und sprechen druckreif eine halbe Stunde.
Herr Grass, wie ist es zu erklären, dass in den letzten 20 Jahren kein einziger deutscher Schriftsteller den Nobel-Preis erhielt?
Ja, ich kann mir vorstellen, dass sich das Gremium Mühe gegeben hat, keinen Kontinent auszulassen.
Es waren aber vier Franzosen, die in dieser Zeitspanne ausgezeichnet wurden.
Das sei den Franzosen natürlich auch gegönnt.
Wollen Sie noch einen Roman schreiben?
Natürlich, mehrere sogar.
Glauben Sie, dass der Roman die geeignete Form ist, um Ihre Ideen auszudrücken?
Sehen Sie, ich bin eigentlich von zuhause her mehr Lyriker. Für mich ist nach wie vor die Lyrik die wichtigste Form. Ich schreibe gerne Romane. Es wird sicher dauernd diskutiert, ob der Roman sich in einer Krise befindet. Ich kann es nur hoffen, denn dadurch entwickelt er sich.
Wir danken Ihnen für das Interview."
Günter Grass (rechts) und Prof. Eberhard Lämmert während der Aussprache im Barocksaal des Brukenthalmuseums.
Foto: Horst BUCHFELNER