Ein Staatsstreich oder ein Putsch?

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Ausgabe Nr. 2425
 

Vortrag beim Männerfrühstück der Evangelischen Akademie Siebenbürgen

 

War es im Dezember '89 ein Putsch oder ein Staatsreich? Über die historische Einordnung der rumänischen Revolution sprach am Samstag, den 28. März d. J., Dietrich Urban beim Männerfrühstück der Evangelischen Akademie Siebenbürgen. Urban, Beamter des deutschen Bundeskriminalamtes und ehemaliger Verbindungsbeamter in Bukarest,  zeigte auf, dass die Begriffsbestimmung relevant sei für die Einordnung, ob die Revolution von unten kam oder von oben gesteuert wurde. „Also eine Selbstauflösung des kommunistischen Herrschaftssystems?“

 

Zur Beantwortung der Frage legte er das Augenmerk auf die Gemütszustände in Rumänien vor '89 und auf die juristische sowie politische Perspektive. Maisbrei explodiere nicht, zitierte Urban in Bezug auf die Mentalität vor der Revolution. Ein Rückzug ins Private habe stattgefunden und der aufgebaute Unmut konnte sich schließlich, im Verlauf der Umwälzung des Systems, in einer Welle entladen. Aus juristischer Sicht hob er die Aspekte der Hinrichtung Ceaușescus sowie die der Aufarbeitung nach '90 hervor. 

Durch die spät begonnene und stagnierende Auseinandersetzung mit den Securitate-Akten und dadurch, dass Wahlen bis vor wenigen Jahren unter Notverordnungen durchgeführt wurden, hätte Rumänien zunächst mangelhafte Möglichkeiten zur Entfaltung als Rechtsstaat gehabt.  Im Rahmen der verwendeten wissenschaftlichen Methodik, verwies Urban auf die These der Ungleichzeitigkeit bei Transformationsprozessen.  Gesellschaftliche und politische Umbrüche führten dazu, dass sich ökonomische, staatlich-institutionelle und soziale Änderungen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten entwickeln würden.

Urban konnte aber aus einer Studie des Politikwissenschaftlers Wolfgang Merkel (2007) berichten, dass sich Rumänien, gemäß Definitionsstandards, inzwischen zu einem Rechtsstaat entwickelt hätte. In der Diskussion mit den gut 30 Teilnehmern zeigten sich Diskrepanzen zwischen individueller Erinnerung der Zuhörer und des historischen Forschungsstandes, auf den Urban aufbaute. Während Historiker von sozialer Verelendung in den frühen 90ern sprachen, konnten sich, zumindest in Hermannstadt, einige Zeitzeugen nicht daran erinnern, dass es eine Verelendung gegeben hätte.

Manuel STÜBECKE

 

Dietrich Urban (links) bei seinem Vortrag.                 

Foto: der Verfasser

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Politik.