Ausgabe Nr. 2422
Konferenz im Gedenkjahr 70 Jahre Deportation fand im Spiegelsaal statt
„Es war der 14. Januar 1945, als vor unserer Haustür eine Gruppe Soldaten erschien, angeführt von einem Vertreter der Roten Armee. Sie befahlen uns, schnell den Koffer zu packen und mitzukommen.“ Wohin es ging, wussten nur wenige. Der in Bakowa, im Banat, geborene Theologe Ignaz Bernhard Fischer erinnert sich an die wohl schlimmste Zeit seines Lebens, an die Deportation in die Sowjetunion.
Gespannt hörte man seinem lebendigen Vortrag zu und konnte sich durch ihn in die grausamen Zustände hineinversetzen, die er und etwa 70.000 Rumäniendeutsche erlebt haben mussten. Der Spiegelsaal im Hermannstädter Forum war voll, das Interesse an dem Thema der zweitägigen Konferenz im Gedenkjahr „70 Jahre Deportation in die Sowjetunion“ war groß. Die Veranstaltung fand am 10. und 11. März statt und wurde von der Deutschen Gesellschaft e.V. in Kooperation mit dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien und der Evangelischen Kirchengemeinde A.B. Hermannstadt organisiert.
Es gibt kaum eine rumäniendeutsche Familie, in der in den 1940-er Jahren nicht wenigstens ein Mitglied unter der kollektiven Schuldzuweisung durch Verschleppung, Zwangsarbeit und Entrechtung hat leiden müssen. Männer im Alter von 16 und 45 und Frauen von 18 bis 30 Jahren wurden ab 1945 in die Sowjetunion deportiert.
Konnte das Soll nicht erfüllt werden, weil die Listen Personen umfassten, die abwesend waren oder sich versteckt hatten, wurden Männer und Frauen festgenommen, die älter oder jünger als das vorgesehene Alter waren. Dieses war bei 10 Prozent der Rekrutierten der Fall, die ältesten Verschleppten waren 55, die jüngsten 13 Jahre alt. In Viehwaggons, bei bitterer Kälte, ohne entsprechende Kleidung und ohne angemessene Ernährung, starben viele bereits unterwegs. Andere kamen während oder an den Folgen der ihnen aufgezwungenen schweren Arbeit ums Leben. Bloß ungefähr 40 Prozent der Deportierten überlebten die fünf Jahre Deportation. Ende 1949 durften die Überlebenden in die Heimat zurückkehren.
Als Ignaz Bernhard Fischer erfuhr, es gehe bald wieder zurück in die Heimat empfand er sogar, dass „die Sonne in Russland wärmer schien als sonst”. Am 5. Dezember 1949 durfte er wieder zurück in sein geliebtes Banat. Seit 1990 ist er der Vorsitzende des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten aus Rumänien. Im Hermannstädter Spiegelsaal gab es für den alten Herrn sehr lange Applaus für seinen rührenden Vortrag.
Die Konferenz begann am Dienstag, dem 10. März, mit den Begrüßungsworten von Dr. Paul-Jürgen Porr, Vorsitzender des DFDR, MdB Hartmut Koschyk, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und Reinhart Guib, Bischof der evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Nach dem Erlebnisbericht von Ignaz Bernhard Fischer folgte der Vortrag von Dr. Konrad Gündisch, Direktor des Instituts für Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Thema „Deutsche aus Ost- und Südosteuropa als Zwangsarbeiter in der Sowjetunion (1945-1949)“.
Einer der Höhepunkte des Tages war die darauffolgende Podiumsdiskussion, an der neben Fischer und Gündisch, die Hermannstädter Journalistin und Historikerin Hannelore Baier, sowie der Historiker Prof. Dr. Rudolf Gräf teilnahmen. Moderiert wurde das Gespräch von Robert C. Schwartz, Redaktionsleiter im Programmbereich Südosteuropa der Deutschen Welle in Bonn. „Identität ohne Erinnerung, ohne Geschichte kann nicht existieren“, sagte Konrad Gündisch, „wir brauchen Erinnerung, um uns unserer selbst zu besinnen.“ Auf die Frage, warum die Russlanddeportierten so spät zu erzählen begonnen haben, erklärte Hannelore Baier: „Die deutsche Minderheit ist aus der Situation der privilegierten Minderheit in die der verfolgten Minderheit, der Minderheit, die ausgelöscht werden sollte, gefallen. Diese Repressionsmaßnahmen sind einer Propaganda einhergegangen, die natürlich im Bewusstsein dieser Leute ein Schuldgefühl hervorgerufen hat, das sie aber rationell eigentlich nicht wahrnehmen konnten.“ Auf die Frage ob man die deutsche Minderheit für die Deportation verantwortlich machen könne, antwortete Gündisch: „Verantwortung muss ein einzelner Mensch für die eigenen Taten übernehmen. Verantwortung kann ein Staat übernehmen. Eine Gruppe, wie die Banater Schwaben oder die Siebenbürger Sachsen kollektiv in eine Verantwortung zu stoßen, ist aus meiner Sicht falsch, denn die Gruppe war indirekt beteiligt, sie wurde in das Geschehen hineingezogen. Nicht die Gruppe hat Schuld, sondern die einzelnen aus der Gruppe haben die Schuld übernommen und die Staaten haben zur Entwicklung dieser Schuld beigetragen.“
Nach dem gemeinsamen Mittagessen folgte ein Vortrag über „Die Deportation in der rumäniendeutschen Literatur“ von Michael Markel, Literaturwissenschaftler aus Nürnberg. Weiter im Programm standen die Lesungen von Joachim Wittstock und Eginald Schlattner, die von Georg Aescht, dem Chefredakteuren der „Kulturpolitischen Korrespondenz“ aus Bonn, moderiert wurden. Am Abend wohnten die Konferenzteilnehmer/innen einer Filmvorführung mit Auszügen aus den Dokumentarfilmen von Günter Czernetzky „Heimkehr aus der Sklaverei“, „Arbeitssklaven unter Hitler und Stalin“ und „Wunden“ bei.
Der zweite Konferenztag begann mit dem spannenden Vortrag von Dr. Cristian Cercel, Historiker am „Centre for Advanced Studies“ in Sofia, zum Thema „Gedächtnis & Politik am Beispiel der Deportation von Rumäniendeutschen in die Sowjetunion“. Erinnerungen von ehemaligen Deportierten schilderte Dr. Renate Weber-Schlenther, Soziologin aus Münster. Ihr Referat trug den Titel: „Wir werden eine Nummer – Zur Rekonstruktion des Deportationsgeschehens im Spiegel von Erinnerungen“. Aus ihrem Vortrag konnte man die grausamen Bedingungen in den Arbeitslagern nachempfinden. Überraschend waren die Berichte einiger Zeitzeugen, die erzählten, dass manche Russen den deutschen Verschleppten halfen, ihnen Brot schenkten, obwohl sie selber kaum etwas hatten.
Zu einer zweiten Podiumsdiskussion luden die Organisatoren unter dem Titel „Vergangenheit aufarbeiten – Zukunft gestalten“ am frühen Nachmittag ein. Es nahmen teil: Dr. Cristian Cercel, Dr. Elfriede Dörr (Leitung Ökumene und Fortbildung der evangelischen Kirche Hermannstadt), Prof. Dr. Paul Philippi (Ehrenvorsitzender des DFDR), Elke Sabiel (Ehrenvorsitzende des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten) und Claudiu Sergiu Călin (Direktor des Diözesanarchivs der Römisch-Katholischen Diözese Temeswar). Die Konferenz endete mit Schlussworten von Stadtpfarrers Kilian Dörr und Dr. Andreas H. Apelt, Bevollmächtigter des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft e.V..
Foto 1: Podiumsgespräch mit dem Historiker Dr. Konrad Gündisch, dem Theologen Ignaz Bernhard Fischer, Moderator Robert Schwartz (Deutsche Welle), der Journalistin Hannelore Baier und dem Vizerektor der Klausenburger Babeș-Bolyai-Universität, Dr. Rudolf Gräf (v. l. n. r.).
Foto 2: An dem ebenfalls von Robert Schwartz (links) moderierten Podiumsgespräch zum Thema „Vergangenheit aufarbeiten – Zukunft gestalten“ nahmen Paul Philippi (Bildmitte) und Elke Sabiel (rechts) teil.
Fotos: die Verfasserin
Cynthia PINTER