Ausgabe Nr. 2414
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Zum neuesten Buch von Marion Tauschwitz
Ein schönes und interessantes Buch, ein wichtiges Buch über Selma Meerbaum-Eisinger und ihre siebenundfünfzig Gedichte hat Marion Tauschwitz unter dem Titel „Selma Meerbaum – Ich habe keine Zeit gehabt zuende zu schreiben" im zu Klampen Verlag herausgegeben. Vervollständigt und ergänzt hat die Autorin in dieser Biografie das kurze achtzehnjährige Leben der jungen Dichterin. Diese sehr prosaisch geschriebene Biografie passt zu den berührenden, ergreifenden Gedichten von Selma, dem Schulmädchen in Czernowitz. Marion Tauschwitzs Begegnung mit Selma Merbaum ist eine literarische. Selmas Gedichte interpretiert sie mit Begebenheiten und Begegnungen. Sehr spannend, teils vermutend mit fiktiven Gedanken schildert uns die Autorin das bescheidene Leben der jungen Dichterin.
Wunderbare literarische Darstellungen der Bukowinaer Landschaft, die historischen Erklärungen dieses Landesteiles der einstigen Donaumonarchie am Rande der Ostkarpaten sind recherchiert an Ort und Stelle und geben keinen Zweifel. Marion Tauschwitz hat sich in die Landschaft begeben, die Stadt Czernowitz durchstreift, den Duft von damals aufgesogen, in unterschiedlichen Ländern und Archiven sorgfältig recherchiert, hat Zeitzeugen aufgespürt und erzählen lassen, die siebenundfünfzig Gedichte redigiert und Fehler korrigiert. Über das Leben von damals in der Vielvölkerstadt, der Stadt von Paul Celan, dem Cousin von Selma, der Stadt der deutschsprachigen jüdischen Lyriker und vom Leben der Selma Merbaum, hat sie erfahren, schreibt über die Ängste, die Todesängste des Mädchens.
Mit Selma und ihren Freunden aus der Zionistischen Jugendbewegung „trifft“ sich die Autorin im Cecinawald, begleitet sie ins Hofmann-Gymnasium und nach Hause in die Bilaergasse, später ins Todeslager nach Transnistrien. Sie, die Schülerin schreibt heimlich Gedichte unter der Schulbank, die später nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Tod von Selma, quer durch Europa nach Israel gelangten und inzwischen zur Weltliteratur gehören. Iris Berben, die hochengagierte Schauspielerin und Künstlerin, hat ein Vorwort geschrieben und bei der Vorstellung des Buches in Berlin im KulturKaufhaus Dussmann Gedichte von Selma Merbaum einfühlsam gelesen und Passagen aus dem neu erschienenen Buch. Ein Hochgenuss für den Zuhörer: Steht ein Rosenstrauch in deinem Garten/und er ist noch gar nicht grün./Und du kannst es kaum erwarten/daß die erste Knospe komme, zart und dünn/und daß sie verkünde neues Leben./Wartest, wartest voller Angst und Beben –/Bis ein Morgen kommt – und sie ist da (Der Sturm).
Selma Merbaum, die junge Protagonistin des vorliegenden Buches, wurde 1924 in Czernowitz geboren, der Vater Max starb, als sie einige Monate alt war. Die Mutter heiratete Leo Eisinger. Die deutsche Wehrmacht und die rumänischen Truppen besetzten 1941 Czernowitz und Selma kam mit der Mutter und dem Stiefvater ins Czernowitzer Ghetto und kurz darauf wurden sie nach Transnistrien in Arbeits- und Todeslager deportiert. Selma Merbaum starb im Dezember 1942 unter unmenschlichen Verhältnissen an Entkräftung und Typhus im Lager Michailowka, die Eltern wurden in einem anderen Lager erschossen.
Mit viel Fantasie ist Marion Tauschwitz durch das kurze Leben von Selma Merbaum gegangen, hat den Kreis geschlossen. Lesen Sie das exzellent geschriebene Buch, lesen Sie die Liebesgedichte eines jungen Mädchens, lassen Sie sich von der Autorin in die Bukowina, ins alte Buchenland, verführen, durchstreifen Sie mit ihr das barocke Czernowitz. Lassen Sie sich von den kyrillischen Schriftzeichen nicht irritieren. 1944 wurde die deutsche Sprache die Sprache des Feindes. Nichts ist übrig geblieben von der einst jüdischen Kultur, der deutschen Sprache und dem habsburgisch geprägten Leben, doch sehenswert ist dieser vergessene Teil Osteuropas allemal.
Christel WOLLMANN-FIEDLER
Marion Tauschwitz: Selma Merbaum. Ich habe keine Zeit gehabt zuende zu schreiben. Biografie und Gedichte. Mit einem Vorwort von Iris Berben, zu Klampen Verlag Springe, 2014, ISBN 978-3-86674-404-2
Foto: die Verfasserin