Der Geschmack Siebenbürgens

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Ausgabe Nr. 2410
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Gespräch zum Band Blick zurück durchs Küchenfenster" mit Dagmar Dusil

 

 

„Blick zurück durchs Küchenfenster", nennt sich ein am 30. September im Leipziger BuchVerlag für die Frau erschienenes Buch von Dagmar Dusil. Die Autorin erinnert mit Geschichten an ihre Heimat Siebenbürgen und kredenzt die niedergeschriebenen Episoden mit vielen Kochrezepten aus diesem Gebiet. Schon immer war das Land hinter den Wäldern im heutigen Rumänien ein Mikrokosmos. In der vorliegenden Buchausgabe (eine Neuauflage des 2003 im Johannes Reeg Verlag erschienen Buches) wurde ein durch über lange Zeit gewachsenes Traditionsbewusstsein sowie Lebensgefühl öffentlich gemacht. Elternhaus, Studium, Mangelwirtschaft, Repression und der durch die Ausreise der Deutschen in Rumänien geprägte Zerfall einer Wertegemeinschaft spielen ebenfalls eine Rolle.

Neben den Geschichten, machen außerdem rund 150 sorgsam ausgewählte Rezepte richtig Lust auf die Küche in dieser Region. Dem Siebenbürgen-Fan Roland B a r w i n s ky aus Thüringen stand Dagmar Dusil für nachfolgendes Gespräch zur Verfügung.

 

Mit welchen siebenbürgischen Gerichten würden Sie einen Gast – der Ihre Heimat nicht kennt – am Mittagstisch erfreuen?

Ich würde meine Gäste, die Siebenbürgen und demzufolge Rumänien nicht kennen, mit folgendem Menü erfreuen: Als Vorspeise einen Auberginensalat oder eine ciorbă de perișoare, das ist eine saure Suppe mit Gemüse und Fleischbällchen. Als Hauptgang gibt es „Sarmale“, das heißt „Gefülltes Kraut“, das sind Kohlrouladen, die von allen drei Nationen, also den Rumänen, den Ungarn und den Siebenbürger Sachsen als „ihr“ Gericht betrachtet wird. Ursprünglich stammt das Gericht aus der Türkei, und es gibt verschiedene Varianten. Ich selbst bevorzuge die rumänische Variante, doch das kann man in meinem Buch nachlesen. Als Nachtisch würde ich eine „Hexentorte“ oder einen „Gebackenen Grießpudding mit Rum“ servieren.

Warum?

Weil die Auberginen in dieser Form kaum bekannt sind und immer sehr gut bei meinen Gästen ankommen. Ebenso die Kohlrouladen. Die Hexentorte ist auch etwas ganz besonderes: Ein Karamellpudding, eine Art Flan, wie er in Spanien bekannt ist, doch ist er mit einem Mürbeteig kombiniert. Jeder, der die Hexentorte erstmals probiert, steht vor einem Rätsel bezüglich der Herstellung. Darum habe ich sie Hexentorte genannt.

Auf dem Deckblatt der Veröffentlichung ist ein Ausschnitt des Großen Ringes in Hermannstadt erkennbar. Rechts oben drückt sich ein kleines Mädchen am Küchenfenster die Nase platt. An was denken Sie bei dem Anblick?

 Ja, woran denke ich? An Hermannstadt und implizit an die dort verbrachte Zeit. Über den Großen Ring führte mich vier Jahre lang mein Schulweg, doch ich denke auch an die Erzählungen meines Vaters, als noch die Statue des Heiligen Nepomuk dort stand. Ich fühle mich zurückversetzt in die Zeit, als der Große Ring in sozialistischen Zeiten ein Park war, an die Veränderungen nach der Revolution, und ich stelle immer wieder fest, dass der Große Ring einer der schönsten Plätze Europas ist. Das kleine Mädchen am Küchenfenster wird immer mein Begleiter sein, mich an der Hand nehmen und meine Großmutter wieder lebendig werden lassen. Ich versuche mich an ihre Stimme zu erinnern, und ihr Todestag ist plötzlich präsenter denn je. Und dann weiß ich, dass Erinnerung bewahren bedeutet, bewahren vor dem vollständigen Verlust.

Siebenbürgen gilt ein Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen. Entsprechend vielfältig präsentiert sich der dortige Speisezettel. Bei Ihnen zuhause war besonders der österreichisch-ungarische Einfluss ausgeprägt? Weshalb?

Der Einfluss der österreichisch-ungarischen Küche war allgemein in Hermannstadt und in Siebenbürgen ausgeprägt. Bei mir kam noch durch die Herkunft meines Vaters der Einfluss der tschechischen Küche hinzu. Mein Urgroßvater stammte aus Italien, das erklärt die eine oder andere Speise, die bei uns gekocht wurde. Die rumänischen Rezepte kamen durch die Nachbarn auf den Speiseplan. Wunderbare Kleingebäck-Rezepte erhielt meine Mutter von der Mutter meiner jüdischen Freundin.

Der Leser erfährt im Buch, dass Sie zu Ihrer Mutter und zur familiären Küche eine gewisse Distanz hatten. Wieso entstand später doch noch eine persönliche Leidenschaft für überlieferte Gerichte und raffiniert hergestelltes Essen?

Meine Mutter war eine kühle Frau, perfekt in jeder Hinsicht. Sie konnte nicht verstehen, dass mich das Kochen nicht interessierte. Meine Kindheit und Jugend bedeutete: Lesen, Tanzen, Klavierspielen. Ich konnte mir nie vorstellen, wie ein Essen entstand und war überzeugt, dass es mit Zauberei etwas zu tun hat. Doch ich bin ein neugieriger Mensch und bin der Meinung, dass man alles lernen kann und dass es nie zu spät ist, etwas Neues zu machen. Kochen bedeutet auch für mich experimentieren. Ich betrachte das Kochen als eine Herausforderung und freue mich, wenn die von mir Bekochten das Essen mit Genuss verzehren. Und das Essen gehört zur Kultur eines Landes, eines Volkes und gibt Aufschluss über deren Verhaltensweisen und Mentalitäten.

 Haben Sie die ganzen Rezepte daheim aufgeschrieben und dann bei der Ausreise mitgenommen?

In Rumänien habe ich das eine oder andere Rezept auf Zettel aufgeschrieben, doch mitgebracht habe ich nichts. Meine Mutter besaß ein Kochbuch, das eine Art Heiligtum für sie darstellte und das sie zurücklassen musste, als sie Rumänien verließ, da es nicht erlaubt war, Schriftliches mitzunehmen. Eine Cousine in Hermannstadt erhielt dann den Auftrag, die einzelnen Seiten herauszureißen und meiner Mutter zuzuschicken. So wurde das Kochbuch zum Symbol der Auflösung der Siebenbürger Sachsen.

Welche Kocherfahrungen konnten Sie in der neuen Heimat mit dem dort vorhandenen Überangebot an Nahrungsmitteln verwenden? Durch die Mangelwirtschaft in Rumänien  entstanden ja auch besondere Improvisationskünste.

Zunächst führte dieses Überangebot zu einem Schockzustand. Es wurden Vergleiche angestellt. Alles Neue wurde ausprobiert und alles Alte wurde verdrängt. Wir kochten nicht mehr „wie zu Hause“. Die alten Speisen gerieten in Vergessenheit, der Geschmack passte sich an. Heiß Begehrtes wurde zur Normalität. Der Überfluss führte zu kleineren Glücksgefühlen. Doch irgendwann erwachte die Erinnerung wie ein Bär aus dem Winterschlaf. Das Jazz-Kochen, das Improvisationskochen hatte hier im Westen im allgemeinen ausgedient.

In den Geschichten wird natürlich der Alltagsrhythmus Siebenbürgens beschrieben. Aber auch besondere Ereignisse wie Ostern, Weihnachten oder Hochzeiten werden beleuchtet. Wurde bei solchen Anlässen in der Küche noch mehr gezaubert und ganz spezielle Menüs hergestellt?

Ereignisse wie Ostern oder Weihnachten waren mit einem besonderen Zauber behaftet, der sich auf die Menschen übertrug. Wir wurden Teil der Ereignisse. Es war alles geheimnisvoller, vielleicht weil es auch verbotene Feste waren, die doch in jeder Familie gefeiert wurden. Jede Familie hatte ihre speziellen Menüs und Rituale.

Welche Tipps würden Sie einem Nichtkenner Siebenbürgens geben, der erstmals in Ihre Heimat kommt und sich dort etwas Anschauen möchte und außerdem lukullisch verwöhnt werden will?

Ich würde keine Tipps geben, mich jedoch sehr freuen, wenn jemand bereit ist, sich auf etwas Neues einzulassen, um Siebenbürgen zu entdecken. In diesem Sommer war ich mit drei Schriftstellerinnen unterwegs, für die Siebenbürgen völliges Neuland war. Mit Herzklopfen sah ich unserer Reise entgegen. Ihre Begeisterung war mein schönstes Geschenk. Ich habe versucht mit ihren Augen, mit den Augen der Fremden Hermannstadt zu sehen, und sie haben versucht, sich meinen heimischen Blick auszuleihen.  Bei der Erkundung Siebenbürgens würde ich anregen, die Maxime „Weniger ist mehr“ zu befolgen. Und lukullisch wurden die Besucherinnen von dem Angebot an Speisen einfach „überrollt“. Ob Auberginensalat, Kuttelsuppe (ciorbă de burtă), Zicklein und Angusrind in „Albota“, Forellenfilet usw. all diese Köstlichkeiten entlockten nur ein Stöhnen des Genusses. Man kann in Siebenbürgen einen lukullischen Orgasmus erleben.

Danke für das Gespräch.

 

 

Dagmar Dusil: Blick zurück durchs Küchenfenster. Erinnerungen & Rezepte aus Siebenbürgen. BuchVerlag für die Frau Leipzig, Edition Lebenslinien, 2014, 220 S., ISBN 978-3-89798-468-4

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Bücher.