Ausgabe Nr. 2402
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10. Auflage des „Jazz & More“-Festivals in Hermannstadt
Saxofon-, Trompeten- und Klaviertöne dringen aus einem Gebäude. Ich beobachte eine Gruppe von Menschen, die sich vor dem Eingang versammelt hat. Der Großteil raucht filterlose Zigaretten und trägt schwarze Rollkragenpullover. Ein Mann nimmt den Ohrbügel seiner Hornbrille in den Mund und nuschelt Sätze, wie „Man merkt, dass die Band schon lange zusammenspielt“ und „Dieser Stil funktioniert für mich nur live, in der Improvisation“. Von irgendwoher klingt die Sirene eines Polizeiwagens. Schließt man jetzt die Augen, dann fühlt es sich an, als stünde man vor einer verrauchten Jazzbar in Chicago.
Tatsächlich stehe ich an diesem Freitag, den 3. Oktober, vor dem Gong-Theater in Hermannstadt, denn: Vom 3. bis zum 5. Oktober findet die zehnte Auflage des „Jazz & More“-Festivals statt. Organisiert wird das Festival von dem Kulturverband Interzone um Festivalsdirektor Mircea Streit mit finanzieller Unterstützung des Bürgermeisteramtes und des Stadtrates Hermannstadt, dem polnischen Kulturinstitut und der Schweizer Botschaft. Das Gong-Theater ist neben der Johanniskirche der Austragungsort der Veranstaltung.
Zurück zu dem Mann mit der Hornbrille. Er redet nicht mehr, sondern geht mit den anderen Gästen ins Theater. Die zweite Vorstellung dieses Abends beginnt: Ein Bassgitarrensolo des polnischen Musikers Rafal Mazur. Ich kann zu Jazz keine Haltung einnehmen, weil ich nie ernsthaft Jazz gehört habe – die Konzerte und Jamsessions der Musiker aus Rumänien, Polen, der Schweiz, Deutschland, England und den USA besuche ich trotzdem. Im Rahmen des Festivals finden außerdem Workshops, Multimediapräsentationen und Gespräche über zeitgenössische Musik- und Improvisationstechniken statt.
Was das Festivalprogramm schon andeutet, bestätigen die Konzerte: Der Schwerpunkt von „Jazz & More“ liegt auf dem „More“. Es geht nicht darum, simplen Fahrstuhljazz runterzurattern, sondern die Möglichkeiten der Instrumente, der Musik auszuleuchten, was Rafal Mazur gerade eindrucksvoll vorführt: Er schlägt mit der Hand auf den Rücken seiner Gitarre, sodass ein tiefer, dröhnender Ton entsteht, danach klemmt er sich das Instrument zwischen die Beine und spielt in dieser Position weiter.
Ich blicke ins Publikum: Neben mir wird ein Flachmann weitergereicht und eine Reihe vor mir ahmt eine Frau mit ihren Händen das Bassgitarrenspiel Mazurs nach. Die Leidenschaft Jazz macht aus Fremden Freunde, was bemerkenswert ist, denn die Gäste kommen nicht nur aus Hermannstadt. Sie sind aus Bukarest, Kronstadt, Konstanza, Großwardein, Klausenburg, Serbien, Österreich, Deutschland und Kanada angereist. Genauso unterschiedlich wie die Heimatstädte und -länder ist auch das Alter des Publikums. Ein paar junge Typen sitzen in den vorderen Reihen und wippen mit den Beinen, daneben schaut ein älterer Herr traumverloren zur Bühne. Der Flachmann ist bei mir angekommen, ich nehme einen Schluck Zuika…
Wie gesagt, ich kann zu Jazz keine Haltung einnehmen, weil ich nie ernsthaft Jazz gehört habe. Trotzdem kann ich jedem das „Jazz & More“-Festival empfehlen. Jazzfans scheinen das Festival sowieso zu schätzen, dafür spricht das internationale Publikum. Jazzneulinge sollten es sich für nächstes Jahr im Kalender anstreichen, weil sie in familiäre Atmosphäre ihre Kenntnisse vertiefen können. Und Leute wie ich können sich von der Stimmung im Saal durch den Abend tragen lassen.
Lennardt LOSS
Zwei vom Hanam Quintett, das am Sonntag im Gong-Theater eine Improvisation nach der anderen vorlegte: Die Saxofonistin Anna Kaluza (Deutschland) und der Kontrabassist des Creative Jazz und der Weltmusik, Horst Nonnenmacher (Deutschland), der schon zu den „Veteranen" des „Jazz & More"-Festivals gehört.
Foto: Jazz & More