Helfen macht viel Spaß

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Ausgabe Nr. 2400
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Gespräch mit Pfarrer Andreas Werther aus Braunschweig

Vor 12 Jahren war Pfarrer Andreas Werther zum ersten Mal mit einem Hilfstransport aus Goslar, seiner damaligen Pfarrstelle, in Rumänien. Seither kommt er jährlich wenigstens einmal. Inzwischen ist er in der evangelisch-lutherischen Gemeinde St. Petri zu Rüningen in Braunschweig als Pfarrer tätig und war vor kurzem wieder in Siebenbürgen. Bei dieser Gelegenheit gewährte Pfarrer Werther dem HZ-Praktikanten Lennardt Loß nachstehendes Interview:

12 Jahre Hilfsreisen nach Rumänien. Wie nahm das seinen Anfang?

2000 habe ich die Pfarrstelle Goslar/Jerstedt bekommen. Die Gemeinde hat auf Initiative von Anne Merle seit 1987 Hilfsreisen nach Rumänien veranstaltet und das habe ich weitergeführt. Die ersten zwei Jahre von Deutschland aus, dann haben wir gesagt: Jetzt lasst uns mal da runter fahren. Die Fahrt war ein Erlebnis: Wir kamen mit zwei Kleinbussen an die Grenze, wo ein großes Schild stand: „Der rumänische Staat ist gegen Korruption. Fällt Ihnen etwas auf, melden Sie es bitte!“ Als die Zöllnerin unsere Kleinbusse sah, blitzten regelrecht Dollarzeichen in ihren Augen auf – wir haben ihr ein paar Scheine in die Hand gedrückt und konnten ohne Kontrolle weiterfahren. Aber die anderen Eindrücke in Siebenbürgen waren einfach nur schön: Die Landschaft, die Kultur und die Leute – das hat der ganzen Sache einen mächtigen Schub gegeben, wenn man plötzlich die Gesichter hinter den Menschen, für die man sammelt, sieht und man weiß, wo die Spenden und Hilfsgüter ankommen. Inzwischen sind daraus auch Freundschaften entstanden.

Was für Spenden nehmen Sie mit?   

Früher hatten wir viel Kleidung dabei, aber das haben wir eingeschränkt. Heute liefern wir Kleidung fast nur auf Bestellung. Beispielsweise Kinderkleidung oder Arbeitskleidung für das Dr. Carl Wolff-Altenheim in Hermannstadt. Ansonsten: Medikamente, Computertechnik und medizinische Hilfsgeräte, aber auch Lebensmittel. Und natürlich Geldspenden. In meiner alten Gemeinde in Goslar/Jerstedt sind die Konfirmanden am Erntedankfest von Haus zu Haus gegangen und haben gesammelt. Jetzt bin ich seit knapp sechs Jahren in Braunschweig, was die Spendensammlung erschwert hat. In einer Großstadt läuft es einfach anders als auf dem Dorf. Da kann ich niemanden von Haus zu Haus schicken. Dafür machen wir jetzt verschiedene Aktionen, wie Basare und mindestens einmal im Jahr kochen wir nach siebenbürgischen Rezepten. Wenn das Gemeindehaus gemietet wird, geht ein Teil der Einnahmen in den Siebenbürgen-Fonds. Außerdem gebe ich einen Kalender mit Fotos heraus, die ich in Siebenbürgen gemacht habe. Und nicht zuletzt die vielen Privatspenden. Neulich hatte ich eine Hochzeit und das Paar kannte sich schon aus Schulzeiten. Für die war klar: Die Kollekte ist für das landeskirchliche Schülerheim in Hermannstadt. 

Sie haben schon das Dr. Carl Wolff-Haus und das Schülerheim in Hermannstadt erwähnt: Welche Stellen werden mit Spenden bedacht?       

Das waren am Anfang ganz viele, auch Privatpersonen. Das habe ich im Laufe der Jahre immer weiter zusammengestrichen, weil ich gemerkt habe, dass für manche Stellen woanders mehr gesammelt wird. Für das Straßenkinderhaus in Hermannstadt gibt es in Bremen eine Stiftung – die sind einigermaßen versorgt. Das Hospiz, das auch von Frau Rhein geleitet wird, kriegt dagegen kaum Hilfe. Wir haben uns gesagt: Zu einem würdigen Leben gehört auch ein Sterben in Würde. Und das Alter derer, die ins Hospiz kommen, um ihre letzten Tage würdevoll erleben zu können, ist niedrig. Die meisten sind zwischen 38 und 48 Jahre alt. Deshalb sammeln wir jetzt für das Hospiz und nicht mehr für das Straßenkinderhaus. Die anderen Stellen, die noch jedes Jahr von uns bedacht werden, sind das Schülerheim  Hermannstadt, das Altenheim in Hetzeldorf und die Kirchengemeinden Birthälm und Kerz. Über die Kirchengemeinden werden die Hilfsgüter dann an die Menschen verteilt.

Über 10 Jahre Hilfsreisen nach Rumänien: Wie hat sich das Land verändert?

Ich kann Verbesserungen beobachten. Vor einigen Jahren kamen wir nach Kerz und Pfarrer Michael Reger deckte gerade das Kirchendach. Ich habe davon Fotos gemacht und sie meiner Gemeinde gezeigt: Dieses Dach haben wir mitbezahlt. Ich konnte meiner Gemeinde also deutlich zeigen, was mit unseren Spenden geschieht. Die Straßen haben sich verändert (lacht). Die Infrastruktur ist deutlich besser geworden und viele Dörfer sind bunter und einfach besser in Schuss. Vor 12 Jahren, bei meiner ersten Reise, erzählte mir Pfarrer Ziegler aus Birthälm, dass er sich von seinem Monatsgehalt 1½ Kilo Bananen leisten kann – mehr nicht. Zum Glück hat sich die Gehaltsstruktur inzwischen geändert. Ich denke, viel haben auch die EU-Gelder bewirkt, sodass sich im Land eine ganze Menge zum Positiven entwickelt hat. Doch: Seit 3 Jahren fällt mir etwas auf, das mich sehr erschreckt. In manchen Dörfern sagen mir viele ältere Siebenbürger Sachsen, dass sie sich nach den Zeiten des Kommunismus, den Zeiten von Nicolae Ceauşescu zurücksehnen. Ich kann das ein Stück weit verstehen, weil es denen heute nicht anders als früher geht. Außer dass die ganzen Nachbarn weg sind und sie allein in ihren Dörfern sitzen. Die sehnen sich nach den alten Zeiten, wo noch 200 Sachsen im Dorf lebten und nicht 12. Wo man zusammengehalten hat und miteinander reden und feiern konnte. Von den neuen Freiheiten haben diese älteren Leute natürlich nicht viel. Trotzdem frage ich mich, was wir falsch machen, wenn sich die Leute die Ceauşescudiktatur zurückwünschen. Deswegen hat es mich sehr gefreut, dass ich die letzten zwei Jahre beim Kerzertreffen teilnehmen konnte, wo die ganzen Kerzer, die inzwischen in Deutschland oder Österreich leben, in die Heimat kommen und es ein Fest, wie in alten Zeiten gibt. Auf den Gesichtern der Alten sieht man dann die Freude und kann beobachten, wie sie richtig aufblühen. Wissen Sie, ich habe mich vor einigen Jahren mit dem ehemaligen Kurator von Mediasch unterhalten – er lebt heute nicht mehr, Gott hab ihn selig. Ich habe ihm gesagt, dass wir die Hilfsgüter nach Siebenbürgen bringen, damit die Menschen hier weiter leben, nicht damit sie wegbleiben. Und da hat er mit geantwortet, das ist fast wichtiger, was sie eben gesagt haben, als das was sie an Hilfe bringen. So etwas bestärkt einen natürlich weiter zu machen, auch wenn es manchmal beschwerlich ist, denn: In Deutschland geht die Schere zwischen Arm und Reich auch immer weiter auseinander und einige Leute fragen mich, warum wir nicht in Deutschland helfen, und schlagen mir quasi verbal die Tür vor der Nase zu. Aber das entmutigt mich nicht, weil ich sehe, wie viel Freude wir in Siebenbürgen machen können und wie nötig die Hilfe ist, obwohl Rumänien jetzt in der EU ist. Ich denke mal, die Hilfe: Das wird noch eine Weile dauern.     

Und, schon ein bisschen was von der Rumäniendeutschen Mentalität mit nach Hause genommen?

Ja, immer wenn ich nach Hause fahre, hat sich mein Fahrstil verändert. Die Autofahrermentalität nimmt man schnell an und fährt etwas riskanter. Zu Hause gewöhnt mir das meine Frau aber ganz schnell wieder ab (lacht). Außerdem stelle ich nach jeder Reise fest: Ich freue mich, dass Helfen so viel Spaß machen kann.

Danke für das Gespräch.

 

Foto 1: Spendenübergabe im Bischofsamt 2003 (v. l. n. r.): Pfarrer Andreas Werther, Anne Merle, Margarete Lechner, Katharina Riedenauer, Bischof D. Dr. Christoph Klein, Burghardt Grothe.                           

 

Foto 2: Pfarrer Andreas Werther

 

Fotos: Privat

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Gesellschaft.