Gute Kunst ist eben ansteckend

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Ausgabe Nr. 2404
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Das neueste Stück am Radu Stanca-Theater ist absolut sehenswert

Haribo macht Kinder froh und die Besucher des Radu Stanca Theaters ebenso. Wer hätte gedacht, dass die bunten, leckeren Gummibären eine so wichtige Rolle in einem Theaterstück spielen würden. Bei der Premiere des Theaterstückes „Tattoo“, die am Samstagabend stattfand, waren die bunten Süßigkeiten Teil eines willkommenen Gags, der den Zuschauern sehr gut gefiel. Das Stück von Igor Bauersima und Rejane Desvignes wurde zum ersten Mal in Rumänien aufgeführt und wieder zum ersten Mal inszenierte der bekannte Regisseur Radu Afrim ein Theaterstück in Hermannstadt. Und dann noch direkt bei der deutschen Abteilung.

„Das war mal etwas anderes. Das beste Stück, das ich bei der deutschen Abteilung gesehen hab“. Lauter Lobesworte konnte man nach der zweistündigen Premiere am Samstagabend vor dem Radu Stanca Theater hören. Vor allem war das ein Spektakel, das keiner so schnell vergessen wird. Zwei Stunden flogen vorbei, ohne dass man Zeit hatte auch nur einen Blick auf die Uhr oder das Handy zu werfen. Der Zuschauer wird einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt und das Bühnenbild von Dragoș Buhagiar war eine reine Augenweide.

Aber fangen wir von vorne an. Anfangs ist man als Zuschauer immer skeptisch. Man bekommt zuerst ein dunkles Zimmer zu sehen, in dem vier Gestalten sehr laut den Satz „Gute Kunst ist eben ansteckend“ wiederholen. Etwas verwirrend, aber dann wird man ohne Vorwarnung von einem grellen, weißen Licht geblendet, das nun die Bühne hell erleuchten lässt. Alles ist weiß, die Einbauküche, Tisch und Stühle und sogar das Bett. Ganz im Kontrast zu den beiden sehr bunt gekleideten Darsteller: Daniel Plier und Emöke Boldizsar, bzw. Freddy Freitag und Lea Szilagyi. Sie, eine arbeitslose Schauspielerin, die als Moderatorin für Musiksendungen im Internet jobbt und er, ein erfolgloser Schriftsteller, der seit vier Jahren an einem Roman schreibt, den keiner lesen will. Die beiden haben zwar kein Geld – sie leben in einer Einzimmerwohnung – tun aber selber nichts zur Abhilfe ihres Problems. Ab und zu besucht sie Alex (Daniel Bucher), der am Anfang einfach zum Bühnenbild dazuzugehören scheint, mit seinen Gummibärchen und einem Fetisch für Damenwäsche aus dem Neckermann-Katalog. Schon ist man in der Handlung drinnen.

Plötzlich platzt Leas Verflossener in diese Idylle hinein. Tiger (Ali Deac) ist der coole Installationskünstler aus Los Angeles. Ihm dient die ganze Welt mitsamt ihm selbst als Kunstwerk: Sein volltätowierter Körper zeugt davon. Er sorgt sich wortreich darum, was aus seiner schönen Haut wird, wenn er stirbt. Lea verspricht, den toten Tiger hin und wieder „abzustauben“. Dann, völlig unerwartet, stirbt Tiger in einem Autounfall. Diese Nachricht übermittelt Alex, der überraschenderweise zu Tigers Assistent geworden ist. In einer Vitrine wird der plastifizierte Tiger in die Einzimmerwohnung hereingerollt. Aber schon tritt Leas Halbschwester Naomi (Cristina Juks) auf, eine flippige Galeristin im entsprechenden Designer-Look, und bettelt um die wertvolle Schaufensterpuppe, weil sie Tiger so geliebt habe. Nimmt die Vitrine mit und verhökert sie prompt. Lea und Fred wollen jetzt doch Geld abhaben (fifty-fifty) und sind damit der Unmoral überführt. Es kommt noch fetter. Tiger ist gar nicht tot, sondern erscheint quicklebendig auf der Bühne. Tiger hat sich die Geschichte bloß ausgedacht und heimlich alles abgefilmt. Alex war sein Komplize. Jetzt hat er ein neues Kunstwerk, und die anderen sind ganz perplex. Freude über Tigers Auferstehung stellt sich nicht ein, und Alex schlägt kurzerhand und völlig unerwartet seinen Chef nun aber wirklich tot.

Eine unglaubwürdige Wendung jagt die andere. Und dann kommt die Überraschung noch zum Schluss: Alles war erfunden. Alles war nur der Plot von Freddy Freitags neuem Roman. Das war der Überraschungseffekt, und Alex, der anfangs etwas doof dahingestellt wird und als Dekorationsobjekt im Hintergrund zu sehen ist, entpuppt sich als Schlüsselperson.

Laut Regisseur Radu Afrim nennt „Tattoo“ die Dinge beim Namen, es sei außerdem eine subtile Kritik an die heutige Gesellschaft. Der Text will zeigen, wozu der Mensch fähig ist, sobald es um sicheren Ertrag geht und wie weit man im Namen der Freundschaft gehen soll. Fazit: Jeder ist käuflich.

Ein Plus an Originalität verleiht das Video-Mapping und die Live-Projektionen des Video-Künstlers Andrei Cozlac.

Am Ende versteht auch der Zuschauer, was es mit dem lauten immer wieder wiederholten Satz auf sich hatte: Gute Kunst ist eben ansteckend! Hoffentlich auch an der deutschen Abteilung des Radu Stanca Theaters.

Cynthia PINTER

Szene mit (v.l.n.r.): Daniel Plier, Ali Deac und Emöke Boldizsar.

Foto: Adrian Bulboacă

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kultur.