Ein Stück über verwundete Seelen

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Ausgabe Nr. 2401
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Die Inszenierung „Erdbeerwaisen" wurde auch in Hermannstadt gezeigt

 

 

„Erdbeerwaisen", ein Stück über Binnenwanderung,  über Armut, über Menschen, die ihre Familie verlassen, damit sie im Ausland arbeiten (z. B. Erdbeeren pflücken), ein Stück über Kinder, die von ihren Eltern verlassen werden, ein Stück über psychische Traumata, ein Stück über verwundete Seelen, wurde auch in Hermannstadt gezeigt und zwar am Mittwoch der Vorwoche, im Gong-Theater für Kinder und Jugendliche. 

 

Das Stück erarbeitete die Werkgruppe 2 im Rahmen des  Projektes „The Art of Ageing“ (Die Kunst des Alterns).  Vier Aufführungen wurden letzte Woche in Rumänien gezeigt und Ende Oktober sollen weitere vier Vorstellungen in Deutschland, am Braunschweiger Staatstheater, zu sehen sein. In Rumänien fand die Premiere am 27. September in Craiova statt, getourt wurde nach Hermannstadt, Kronstadt und Bukarest.

Das Projekt wurde von der Europäischen Theaterkonvention mit Unterstützung des EU-Kulturprogramms initiiert und befasst sich mit dem Kennenlernen der europäischen Gesellschaft, mit deren Dokumentierung und mit demografischen Herausforderungen, von denen vor allem die jungen Leute betroffen sind. Das Projekt nimmt sich vor, Künstler, Politiker und Wissenschaftler in eine Debatte zu Gesellschaft, Ökonomie und Politik einzubeziehen. So kam es dazu, dass zwei Schauspielerinnen vom Marin Sorescu-Nationaltheater aus Craiova, Gabriela Baciu und Gina Călinoiu, und zwei Schauspieler vom Braunschweiger Staatstheater, Sven Hönig und Oliver Simon,  in verschiedene Dörfer Rumäniens reisten und die Geschichten verschiedener Familien aufzeichneten. Die Dramaturgen Silke Merzhäuser und Axel Preuß brachten alles zu Papier und Julia Roesler hat die Inszenierung betreut. Die Geschichten der Familien unterschieden sich kaum voneinander: Mütter, die ihre Kinder alleine in Rumänien lassen oder mit den Großeltern, Familien, die ihre Kinder im Heim lassen, um nach Italien oder Spanien zu ziehen und da zu arbeiten, Mütter, die ins Ausland ziehen und sich scheiden lassen damit sie dort, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, neu anfangen. Diese Realität sieht man in jedem Kinderheim des Landes, man kann sie von fast jedem rumänischen Zimmermädchen oder jeder Kellnerin in einem Hotel im Ausland erzählt bekommen oder man hört einfach, dass „Mami“ Kinder in England betreut oder „Tati“ auf einer Baustelle in Italien arbeitet.

Gespielt wird in rumänischer und deutscher Sprache gleichzeitig, die Monologe der deutschen Schauspieler werden von den rumänischen Schauspielerinnen übersetzt. Ein großer Kasten, aus dem sich die Schauspieler Bekleidung für jede Figur, die sie darstellen, holen, befindet sich in der Mitte der leeren Bühne und dient manchmal auch als Bett oder Podium. Der Musikkordinator der Inszenierung, Kim Efert, umrahmt das Geschehen live. Die beiden deutschen Schauspieler erzählen glaubwürdiger über die Armut in Rumänien als ihre rumänischen Kolleginnen.

Eine Szene, in der zwei pubertierende Jugendliche auftreten, deren Eltern im Ausland sind, stellt die Grausamkeit der Abwesenheit der Eltern in den Mittelpunkt. Das banale  Spiel der zwei Jungen artet in eine kurze sexuelle, bewaffnete Entdeckungsreise unter dem allgegenwärtigen Auge einer Kamera aus. Mit der Filmaufnahme wurde ein Zuschauer beauftragt.

Die Szenen werden immer emotionaler und spannender. Es geht um eine Mutter, die erzählt, wie sie kaum Mut hatte, von zu Hause wegzuziehen und in der Nacht fliehen musste, um ein kleines Mädchen, das ständig mit seiner Großmutter streitet, um zwei Geschwister, die ein Lied singen und sich dabei filmen, um die Aufnahme der Mutter zu senden.

Im Nachhinein gab es eine Gesprächsrunde, wo man mit Erstaunen feststellen konnte, dass sowohl die Projektmitarbeiter als auch die Mehrheit der Zuschauer davon überzeugt waren, dass dies die einzige und wahre Facette Rumäniens ist. Übrigens: Die anwesenden Schülerinnen und Schüler vom Pädagogischen Lyzeum und von der Brukenthalschule hoben fast alle bei der Frage „Wer würde Rumänien verlassen?“ die Hand.

Monika TOMPOS

 

Szenenfoto mit Schauspielern und Musiker (v. l n. r.): Kim Efert, Gabriela Baciu, Sven Hönig, Gina Calinoiu, Oliver Simon.   Foto: TNMS Craiova

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kultur.