Ausgabe Nr. 2399
>
Anthologie „Im Schatten der Kirchenburgen" im Wunderwaldverlag erschienen
Die Anthologie „Im Schatten der Kirchenburgen“ überrascht mit einem erfrischenden Ansatz – doch scheitert stellenweise an der Ausführung. Auf knapp hundert Seiten setzen sich zehn Autoren mit dem Thema „Kirchenburgen“ auseinander. Oder mit den Worten der Herausgeberin Michaela Stadelmann gesprochen: In den Kurzgeschichten muss „eine existierende Wehrkirche bzw. Kirchenburg vorkommen“.
Dagmar Dusil, die diesjährige GEDOK-Literaturförderpreis-Trägerin und gebürtige Hermannstädterin, erzählt in „Zurückgedrehte Zeit“ von dem alten Rumäniendeutschen Friedrich, der sein Heimatdorf Kirtsch besucht. Gemeinsam mit seinem Sohn und dessen Freundin besichtigt er die Kirchenburg: Sie unterhalten sich über die Architektur und Funktionsweise des Bauwerks, bis die Stimmung plötzlich kippt: Friedrich erinnert sich an die Deportation seiner Mutter im Winter 1944/1945. Geschickt verbindet Dusil den Gang durch die Kirche mit der aufwühlenden Erinnerung Friedrichs: „Mein Gott, denkt Paul, in diesem Haus unter der Kirchenburg geschah es. Friedrich steht mit Paul und Jessica vor dem klassizistischen Altar aus dem 19. Jahrhundert, in dessen Zentrum ein Himmelfahrtsbild steht.“
Bernd Daschek dagegen verzichtet auf so empfindliche Themen, wie Verschleppung und Zwangsarbeit. Er entwirft eine schlüpfrige Mittelalter-Posse, die ihre banale Pornografie hinter blumiger Sprache versteckt: Ein Taugenichts aus dem sächsischen Horka beobachtet lieber Greifvögel, als zu arbeiten. Seine Liebste beschließt deshalb, jeden erfolgreichen Arbeitstag mit Sex zu belohnen. Das klingt dann so: „Sie zog mir die Hose herunter und ich spürte, wie ihre Lippen meine Zinne umschlossen, ihr Mund am Speere saugte.“
Einen Blick in die Zukunft wagt Corinna Schattauer in „Die Mauern von Arkeden“. In bekannter Endzeitmanier wird die Kirchenburg zum Zufluchtsort für eine Gruppe von Jugendlichen. Die schützenden Mauern zu verlassen, ist gefährlich – Banditen und Vagabunden durchstreifen das entvölkerte Land. Doch die Abenteuerlust zweier Geschwister ist stärker als die Angst vor den Gefahren außerhalb der Burg. Ab und an verliert sich die Geschichte in ihrem eigenen Pathos. Ein Beispiel: „Lass uns die Welt verändern oder bei dem Versuch untergehen!“ Bei solchen Sätzen erwartet man fast, dass im Hintergrund irgendetwas explodiert oder zumindest ein Streichorchester in D-Dur spielt. Trotzdem: Die Idee ist einfallsreich und der Spannungsbogen stimmig.
Die Herangehensweise der Autoren an das Thema „Kirchenburg“ ist so unterschiedlich, wie die Qualität der Texte. Das macht aber nichts, denn: Das Buch will keine Sammlung preisverdächtiger Hochglanzstorys sein. Vielmehr dient es dem Leser als kleiner poetischer Reiseführer durch die Welt der Kirchenburgen. Für Neulinge eine liebenswerte Einladung sich näher mit den traditionsreichen Bauten zu beschäftigen. Für Kenner ein Angebot, auch einen fantasievollen Blick auf die Kirchenburgen zu werfen.
Lennardt LOSS
Michaela Stadelmann (Hrsg.): Im Schatten der Kirchenburgen. Anthologie, Der Wunderwaldverlag, Erlangen, 2014, 104 Seiten, ISBN 978-3-940582-68-3. In Hermannstadt in der Schiller-Buchhandlung im Erasmus-Büchercafé erhältlich.