„Ich werde euch alle vermissen“

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Ausgabe Nr. 2391
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Schweizer wandert gegen den sexuellen Mißbrauch von Kindern um die Welt

 

Der Schweizer Rinaldo Inäbnit, 1977 in Luzern geboren, machte sich am 16. April von der Kinderkrippe Strampolino in Kriens zu Fuß auf eine Weltreise auf, um auf den Kindermißbrauch aufmerksam zu machen. Aktuelle Informationen über diese außergewöhnliche Weltumwanderung findet man im Netz unter www.walk-around-the-world.com

In Rumänien machte Inäbnit Station in der Casa Prichindel, einem der von der Stiftung für verlassene Kinder (PECA) mit Schweizer Hilfe betriebenen privaten Kinderheime in Weidenbach/Ghimbav. Hier gewährte er der HZ-Chefredakteurin Beatrice U n g a r nachstehendes Interview, das nun pünktlich zum heutigen Schweizer Nationalfeiertag erscheint. Diesen feiert Rinaldo Inäbnit in Istanbul mit Familienangehörigen.

 

Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Aktion?

Ich möchte damit auf den sexuellen Mißbrauch an Kindern hinweisen und auch zur Prävention beitragen. Mißbrauch ist etwas, was man von außen nicht sieht und nicht merkt. Das passiert vielfach in den eigenen Wänden, hinter verschlossenen Türen und der Täter schüchtert gewöhnlich das Kind ein mit Drohungen wie: „Wenn du das je irgend jemandem sagst, dann kommst du ins Heim, ich ins Gefängnis und deine Mutter wird aus dem Land gejagt." Ein dermaßen „bearbeitetes" Kind wird wohl nichts erzählen. Ein geschlagenes Kind geht eher an die Öffentlichkeit. Mit meiner Aktion will ich Betroffenen und Verantwortlichen Mut machen, dieses Übel öffentlich zu machen. Das entspricht meiner Lebenseinstellung, die ich in folgende Worte zusammenfasse: „Mach nichts halbherzig, sonst wirst du nur halbglücklich" .

Woher kommt Ihr Interesse an diesem Thema?

Ich war 14 Jahre lang in einer Selbsthilfegruppe für Erwachsene, die als Kinder sexuell mißbraucht worden sind und hörte dort einige Geschichten, die mir extrem ans Herz gingen.  Ich gab Vorträge in der Erwachsenenbildung und bot Kindern Selbstverteidigungskurse an und konnte so die Prävention in meinem Kreise etwas fördern. Ich finde die Arbeit mit Kindern toll, habe als ausgebildeter Kleinkinderzieher in einer Kinderkrippe gearbeitet. Für das Thema sexueller Mißbrauch von Kindern habe ich mich entschieden, mehr zu tun, weil ich es als das schlimmste Verbrechen ansehe, das ein Mensch begehen kann. Das kommt sogar noch vor Mord. Ich denke, ein Kind, das mißbraucht wird, hat damit das ganze Leben zu kämpfen.

Man spricht ja im Zusammenhang mit sexuellem Mißbrauch auch von Mord an der Seele"…

Ja, das ist ein treffender Ausdruck. Und man muß dann mit dieser „toten Seele" weiterleben. Ich mache lieber Prävention, damit es gar nicht so weit kommt, als danach mit der Selbsthilfegruppe das heilen zu müssen.

Warum gehen Sie zu Fuß?

Wenn ich mit dem Bus oder dem Pkw fahren würde, dann würde ich mir Stationen organisieren müssen. Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, gibt es viel mehr spontane Begegnungen. Mit dem Fahrrad ist man zu schnell. Zu Fuß wird man angesprochen.  Das ist das Spannende. Die Station im PECA-Kinderheim hatte ich schon vorher abgesprochen, weil ich Leute kenne, die das Projekt unterstützen. Das hier in Weidenbach ist der Höhepunkt bis jetzt. Es ist schön hier, die Kinder sind wirklich fröhlich und aufgeweckt. Ein Kurzbesuch von einem Tag war vorgesehen – es wurden deren vier. Ich wurde überaus herzlichst von der Leitung sowie von den Kindern empfangen. Überhaupt diese Herzlichkeit, welche ich in diesem Heim spürte – einfach wunderbar. Die Kinder spannten mich sofort ins Spielen ein.

Wie sehen Ihre bisherigen Erfahrungen aus?

Wenn ich aufgrund der Facebook-Kommentare sehe, wieviele Menschen hinter mir stehen und wissen wollen, was läuft, dann kann ich gar nicht aufgeben. Das kann ich doch den vielen Leuten nicht antun oder? Die durchwegs positiven Rückmeldungen machen mir Mut.

Wie lange dauert Ihre Wanderung?

Ich bin auf sechs bis zehn Jahre eingestellt. Theoretisch gerechnet brauche ich vier Jahre. Aber mit Krankheit, mit Unwetter, mit Vorträgen oder Terminen zieht es sich dann schon in die Länge auf sechs oder mehr Jahre. Auf jeden Fall werde ich dann noch das halbe Leben vor mir haben, und wenn ich dies nicht jetzt machen würde, würde ich es in zehn Jahren bestimmt bereuen. Das, was ich auf diesem Marsch erlebe, kann ich nur so erleben.

Sie wollen auch ein Buch schreiben?

Ich schätze, es werden fünf wenn nicht sogar sechs Bücher. Ich schreibe schon am ersten Buch, das soll höchstens 200-250 Seiten stark sein, Fotos inklusive. Wenn alles gut geht, werde ich irgendwo zwischen Indien und Nepal mit dem ersten Band fertig sein und ihn herausgeben. Der Erlös von dem Verkauf dieses Buches kommt meiner Aktion zugute. Dabei denke ich auch, dass man mich dann irgendwann kennt und auch zu Vorträgen einlädt.

Wie hattest Du Dich auf die Weltreise vorbereitet?

Nachdem ich die Idee hatte, gab ich mir 14 Monate Zeit für die Vorbereitungen. Ich habe einige Vorträge besucht, z. B. über Südamerika, Australien, Neuseeland und stellte fest: Die Bude war voll! Das gab mir auch einen Vorgeschmack darauf, dass ich nach meiner Rückkehr in die Schweiz auch Vorträge halten kann. Dann suchte ich via Internet nach Menschen, die ähnliche Aktionen durchgeführt haben und fand einen Kanadier, der elf Jahre lang mit dem Fahrrad und per Anhalter die Welt umrundete. Auch las ich Erlebnisberichte und konnte mich so auf das eine oder andere einstellen und mir vorstellen, was so auf mich wartet.

Was war für Dich ganz neu?

Ich war nie richtig im Ausland. Ja, ein wenig über die Grenze in Italien, in Deutschland, in Strassburg beim Europäischen Parlament. Aber dies ist jetzt Neuland für mich.

Ganz neu und überraschend war die Offenheit der Menschen. Die Medien in der Schweiz berichten meist nur negativ von Rumänien, wenn überhaupt, und so hatte ich in Bezug auf Rumänien ein mulmiges Gefühl. Ich wollte es aber wissen: Wie kommt mir Rumänien entgegen? Was werde ich da erfahren? Ist es wirklich so, dass es hier nur schlecht ist und es nur arme Leute gibt? Und dann komme ich tatsächlich in dieses Land und sehe, es hat arme Quartiere, es hat Leute, die haben nichts. Aber womit ich nicht gerechnet hatte, das ist die Offenheit der Menschen. Ich habe mit vielen Kontakt gehabt, mit vielen diskutiert. Sie sind so herzlich. Ich hatte hier in Rumänien nur mit zwei Hunden eine schlechte Begegnung, sonst eigentlich nur Positives.

Zu meiner Zeit in Weidenbach und in Rumänien allgemein kann ich nur sagen: Rumänien – ich werde Dich bald verlassen. Doch Deine Schönheit, Deine Menschen und Deine Herzlichkeit – ich werde Euch alle vermissen. Von ganzem Herzen: DANKE für die wunderbare Zeit bei Euch!

Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Rinaldo Inäbnit mit einigen Kindern von der Casa Prichindel in Weidenbach.                                                                        

Foto: Beatrice UNGAR

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Gesellschaft.