Hermannstadt im Ausnahmezustand

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Ausgabe Nr. 2384
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Das Internationale Theaterfestival sorgt noch bis Sonntag für Unterhaltung

 

381 Events, 2.500 Künstler aus 70 Ländern, 66 Veranstaltungsorte in und um Hermannstadt. Alles dreht sich diese Tage um das Internationale Theaterfestival in Hermannstadt. Dabei sind nicht nur Theaterstücke im Programm. Viel Tanz, Musik, Zirkusvorstellungen, Straßenshows, Konferenzen, Buchvorstellungen und Workshops sind auch geplant. Während der neun Tage, vom 6.-15. Juni befindet sich Hermannstadt im Ausnahmezustand.

 

Begonnen hat das Theaterfestival, das in diesem Jahr zum 21. Mal organisiert wurde, am Freitag, dem 6. Juni, mit der Eröffnung des Luminarium Mirazozo, auf dem Kleinen Ring. Das 10 Meter hohe mit Luft aufgeblasene Labyrinth sorgte sofort für Furore. Fünf miteinander verbundene, futuristisch aussehende Elemente standen fünf Tage lang auf dem Platz vor dem Schatzkästlein. „Es ist wie ein Aquarium. Nur ist das Luminarium nicht mit Wasser gefüllt sondern mit Licht“, erklärt eine der Organisatorinnen. Am Eingang zum Luminarium muss man sich die Schuhe ausziehen, denn der Kunststoff, auf dem man darin tritt, ist empfindlich. Zuerst betritt man den grünen Dom, dann den roten und dann den blauen. In jedem Dom gibt es kleine Einheiten, in denen man sich erholen und das Licht und die Farben auf sich einwirken lassen kann. Vier Tage konnten die Hermannstädter den Farbenrausch kostenlos erleben. Täglich bildeten sich meterlange Warteschlangen am Eingang des Luminariums, das Erlebnis war aber vielen das Warten wert. Die Tatsache, dass doch tatsächlich einige Pkws und auch einige Taxis versuchten, an diesen Menschenschlangen vorbeizukommen, zeugt wieder davon, dass man eigentlich diesen Teil des Kleinen Rings hätte für den Kfz-Verkehr sperren müssen.

„Mach mir Platz“ (Fă-mi loc) hieß die erste Komödie des Festivals, die auf der Bühne des Gong Kinder- und Jugendtheaters gezeigt wurde. Regie führte Radu Beligan, in den Hauptrollen spielten Marius Manole und Medeea Marinescu. Er und sie treffen sich im Zugabteil. Er ist ein von seiner untreuen Frau frisch verlassener Junggeselle. Sie ist die Geliebte eines verheirateten Mannes. Sie ist etwas verrückt, tollpatschig, naiv und doch sehr erfahren. Er ist ein ernster Mann, etwas langweilig. Sie treffen sich aus Versehen und erzählen einander die Geschichten ihrer Liebesbeziehungen. Dann streiten sie sich, auf der Bühne ist ein Hin und Her zu sehen. Schließlich werden sie Freunde, dann Geliebte und es gibt zum Schluss ein unerwartetes Happy End.

Happy waren die zu Hunderten gekommenen Hermannstädter am Abend auf dem Großen Ring. Das Konzert der rumänischen Popsängerin Andra war von mehr Menschen besucht worden, als alle Theaterstücke des ersten Tages zusammen gezählt. Kein Wunder, ist doch auf dem Großen Ring auch viel mehr Platz…

Viele sangen mit, einige bildeten einen Reigen und tanzten die „Hora“, als Andra ein Volkslied sang.

Im Anschluss dazu war die spektakuläre Zirkusshow der Gruppe „Les Pepones“ aus Frankreich vor der römisch-katholischen Stadtpfarrkirche zu sehen. Die Show hieß „Die Trapezkünstler“ und war vor allem für die Kinder ein Genuss, die jedes Mal aufschrien, als sich einer der Künstler aus der Höhe ins Netz fallen ließ. Der erste Tag endete mit dem traditionellen Feuerwerk, das auch dieses Mal von dem Parkplatz am früheren Standort der 90-er Kaserne gefeuert wurde.  

Das Wochenende begann im Samba-Rhythmus in der Heltauergasse. Die „London School of Samba“ heizte mit den leicht bekleideten Tänzerinnen am Nachmittag die Atmosphäre ein. Ein bisschen fühlte man sich wie in Rio de Janeiro zur Karnevalszeit.

Weniger exotisch aber nicht minder überraschend ging es abends auf der Bühne des „Radu Stanca“-Nationaltheaters zu, wo das „Schauspielhaus Wien“ das Stück „Der Geizige – Ein Familiengemälde nach Molière“ von Peter Licht in der Regie von Bastian Kraft aufführte. 

Sechs Selbstdarsteller lässt der Autor in seiner Parodie auf den Molière-Klassiker zu Wort kommen. Der Regisseur zwingt sie dazu, auf engstem Raum zu spielen. Eigentlich versucht jeder für sich, im Lichtkegel der Scheinwerfer zu bleiben, nicht aus dem Rahmen zu fallen. Das minimale Bühnenbild suggeriert einen Wagen einer Wanderbühne – die Schauspieler müssen schauen, wo sie bleiben. Die Inszenierung ist wohl dosiert: Zunächst tragen alle dick auf, dann wird es immer ernster und zum Schluss gibt es dann noch ein gequältes aber eben doch ein Happy End, ganz im Sinne einer Hollywood- oder gar „Bollywood"-Schnulze. Die Zuschauer hatten zunächst allen Grund zu lachen, schließlich versuchte der Sohn des Geizigen, ihnen zu erläutern, wie geizig sein Vater ist, wobei es ihm nicht gelang, das Publikum davon zu überzeugen, dass er mit dem Geld des Vaters etwas Vernünftigeres oder überhaupt etwas Vernünftiges anstellen würde. Für Aufsehen und Lachsalven sorgte die Haushälterin (oder war es die Mutter und Ehefrau), die voll im Eurovision-Trend einen schwarzen Bart angemalt hatte. Die Österreicher sind eben originell, muss man feststellen. Sie benutzten wohl diesen Gag, um darauf hinzuweisen, dass nicht nur die Musik sondern auch das Theater eine Universalsprache ist.

Auch das Thema Geld ist ja schon seit immer und ewig geradezu ein Dauerbrenner. Und so kommt es oft auf überraschende Details an: In der Inszenierung sind die „Meerschweinchen" der Familie eigentlich zwei rosarote tönerne Sparschweinchen, die fröhlich quieken, sobald sie mit Münzen gefüttert werden.

Genauso aber konnte Regisseur Bastian Kraft auf die Aufmerksamkeit all jener bauen, die Molières Stück erwartet hatten bzw. die zu wissen glauben, wer und wie Harpagon ist, dessen Namen ein Synomym für Geiz geworden ist.

Immerhin: In Peter Lichts Stück schickt der Geizige regelmäßig Geld an afrikanische Patenkinder, ohne genau zu wissen, wie viele es sind oder wo sie denn tatsächlich leben. Vor den eigenen zwei Kindern und deren Freund fürchtet er sich so sehr, dass er den Pelzmantel ständig trägt bzw. darauf schläft – man könnte ihn ihm ja sonst entwenden. Ansonsten vertreibt er sich die Zeit, indem er sein Geld im Safe zählt und liebkost. Die kunstfertigen Scheindialoge zwischen den Protagonisten sind ausgezeichnet dargestellt – es sind eigentlich Wortgefechte, wobei die Worte wie Zähne eines Zahnrads ineinander greifen, keiner lässt den anderen oder die andere ausreden. Wer einen Sinn sucht, ist wohl auf dem Holzweg. Es geht wohl eher darum, die Sprachlosigkeit einer Familie zu veranschaulichen, die nichts anderes mehr zusammen zu halten scheint, als der gemeinsame Haß auf den ach so geizigen Vater. Man kann nur bedauern, dass es nur eine einzige Aufführung in Hermannstadt gab. Die Inszenierung hätte auf jeden Fall mehr Zuschauer verdient.

Auch schon allein deshalb, weil auch am Samstag Abend, wie so oft bei In-Door-Veranstaltungen im Rahmen des Festivals, zunächst alle Leute in den Saal drängen, um einen Sitzplatz zu ergattern, um dann während der Vorstellung den Saal zu verlassen, als verließen sie eine Konditorei oder ein Restaurant nachdem sie die Rechnung bezahlt haben.

Natürlich kann man niemanden dazu zwingen, Ruhe zu bewahren und ruhig zu sitzen, bis die Vorstellung zu Ende ist, es wäre doch sehr schön, wenn dies Normalität wäre.

Um das Gewusel vor der Vorstellung in Grenzen zu halten bzw. um das Publikum einzustimmen, tanzte am Sonntag Abend auf der Bühne im Gewerkschaftskulturhaus einer der Tänzer vom Batsheva Ensemble aus Israel gut eine halbe Stunde allein. Dabei schnitt er alle möglichen Grimassen und verrenkte sich dermaßen, dass man den Eindruck hatte, er würde bald außer Atem geraten. Dem war mitnichten so: Der Mann tanzte dann noch weitere eineinhalb Stunden mit seinen etwa 19 Kolleginnen und Kollegen, den so genannten „Deca Dance". Eine ausdrucksstarke und viel beklatschte Darbietung, die ihresgleichen sucht.

Die Auftritte der Straßenkünstler gewannen in diesem Jahr mehr denn je an Bedeutung. Sie belegen seit Jahren einen großen Teil des Programms. Ob Blaskapellen, Tänzer oder lebende und schwebende Statuen aus aller Welt – für das weniger an Kultur interessierte Publikum war das die Sensation. Die lebenden Statuen des Theaterdepartements der Lucian Blaga-Universität zogen unter der Leitung des bekannten Schauspielers und Regisseurs Marian Râlea alle Blicke auf  sich. Die Studenten verkleideten sich als Vampir, Tod, Volksmusiksängerin und Clown und standen still, bis ihnen jemand einen Geldschein schenkte. Viele Zuschauer ließen sich mit den Statuen fotografieren.

Ein weiteres Straßenhighlight war der Auftritt der Cheerleader aus Litauen, die zu den Klängen eines Orchesters die Heltauergasse entlang maschierten und ihre Pom Poms schüttelten. Das breite aufgesetzte Lächeln im Gesicht schien nicht immer echt zu sein, gehört aber eben zum Cheerleading (Anfeuern bei verschiedenen Sportarten) dazu.

Ein sehenswertes Straßenspektakel war auch der Auftritt der „Mädels aus dem zweiten Stock“ aus Belgien, am Dienstagabend, die auf dem Kleinen Ring eine spannende Zirkusshow lieferten. Die drei Trapezkünstlerinnen turnten in etwa 10 Metern Höhe ohne Netz und doppelten Boden herum. Oft hatte man den Eindruck, dass diese oder jene Aktion leicht hätte schieflaufen können, aber dann merkte man, dass alles eigentlich von aller Anfang so geplant war.

Etwas anderes als klassisches Theater boten die Schauspieler des „Teatru Fix“ aus Jassy. Die Zuschauer wurden nicht wie gewöhnlich zu ihren Stühlen gebeten, sondern wurden eingeladen, an einem Protest teilzunehmen. Das Stück hieß „Dreaming Romania“ unter der Regie von Radu Horghidan und Mihai Pintilei und wurde leider nur ein einziges Mal am Montagabend im Gong-Theater aufgeführt. Leider, denn die sechs Szenen waren dynamisch, interaktiv und spannend aufgebaut. Das Stück fußt auf sozio-politischen Realitäten Rumäniens und bietet eine kritische Vision, die mit Ironie und Humor gespickt ist. Szenen, wie sie jeder erlebt hat, der in Rumänien wohnt, werden dargestellt. Z. B. ein Wartezimmer beim Hausarzt: Ein Betrunkener, dem übel ist, eine Rentnerin, die verschiedenartige Schmerzen hat, eine junge Frau, die ein unbekanntes gynäkologisches Problem hat und ein Mann, der dem Herzinfarkt nahe ist, warten ungeduldig, um von der Ärztin untersucht zu werden. Es wird geschmiert, um voranzukommen, die Ärztin ist arrogant und behandelt ihre Patienten, als wären sie der allerletzte Abschaum. Das Publikum amüsierte sich köstlich.

Ähnlich unkonventionell gestaltete sich auch die One-Man-Show des Briten Daniel Bye. „Falls ihr ein klassisches Theaterstück erwartet, seid ihr hier am falschen Platz“, lässt Bye gleich zu Beginn die Zuschauer wissen. Jenen, die trotzdem geblieben sind (es waren alle!), schenkte Daniel ein Glas mit Milch. Er tat es nicht nur aus Großzügigkeit, obwohl gerade Großzügigkeit im zweiten Teil der Show eine wichtige Rolle spielt, sondern um anhand des Glases Milch einen visuellen Maßstab zu setzen. Denn soviel wie für ein Glas Milch zahlt der Brite an Steuern für die Künste pro Woche. Im Kontrast dazu stehen 20 Gläser Milch, die der Brite als Krankenversicherung pro Woche zahlt. Hier beginnt die Unzufriedenheit. Wieso zahlt man so viel für etwas derart „kontraproduktives und unrentables“, wo dafür nur ein Leben verlängert wird, um noch mehr Geld in die Krankenkasse zu zahlen. Zu verlieren hätte nur der Steuerzahler. Diese und weitere Geldfragen stellt sich der Schauspieler, ohne jedoch eine Lösung des Problems parat zu haben. Im zweiten Teil des Stücks geht Daniel Bye auf das Thema „Großzügigkeit“ ein, die allerdings heutzutage missverstanden wird. „Versuchen Sie einmal, einem Unbekannten etwas zu schenken. Ich wette, er schaut Sie an, als wären Sie verrückt. Menschen reagieren mit Skepsis auf Güte und Nettigkeit“, sagte Bye und verabschiedete sich im Applaus der Zuschauer.

Es bleibt spannend, was für Theaterstücke noch bis Ende des Festivals, das noch bis Sonntag, den 15. Juni dauert, zu sehen sind. Auszüge aus dem Programm finden Sie auf Seite 8 in dieser Ausgabe.

Cynthia PINTER

Beatrice UNGAR 

Foto 1: Eine Neudichtung von Molières Der Geizige" bot unter dem Titel Der Geizige – Ein Familiengemälde nach Molière" das Ensemble des Wiener Schauspielhauses.  Unser Bild: Szenenfoto mit Max Mayer, Veronika Glatzner und Vincent Glander (v. l. n. r.).

Foto 2: 15 Cheerleader aus Litauen marschierten im Rhythmus der Musik ihrer Blaskapelle am Dienstag, dem 10. Juni, in der Heltauergasse. Die Gruppe heißt „Zvaigzdune" und hatte mehrere Auftritte während des Theaterfestivals geboten.                                                                                                                                   

Foto 3: In 10 Metern Höhe schwangen die Trapezkünstlerinnen der Gruppe „Lady Cocktail" aus Belgien auf dem Kleinen Ring.        

Foto 4: Viel Spaß hatten die Touristen mit den Lebenden Statuen in der Heltauergasse.                                      

Fotos: Cynthia PINTER

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Kultur.