Winterschlaf in Kappadokien

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Ausgabe Nr. 2382
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Streiflichter vom Filmfestival in Cannes / Von Claus REHNIG

 

Ein qualitativ recht akzeptables Festival,  das letzte Jahr von Festivalpräsident Gilles Jacob, der die Geschicke von Cannes seit über 38 Jahren leitete, wenn auch der Délégué Général Thierry Frémaux seit 2002 das Festival etwas modernisierte. Einige Tage sprach man nur über Abel Ferrara's Opus über den früheren Weltbankpräsidenten DSK „Welcome to New York“ mit Gérard Depardieu und Jacqueline Bisset, der in einem Kino außerhalb des Festivals lief, weil er opera non grata war und dann war er schnell vergessen, weil er so gut nun auch nicht war.

 

Die Goldene Palme und der Kritikerpreis gingen an denselben Film, das ist selten, „Winter Sleep“ von Nuri Bilge Ceylan über einen früheren Schauspieler, der ein Hotel in Kappadokien betreibt. Ein dreiviertel Stunden langer sehr schöner aber auch sehr schwieriger Film, ein reifes Werk eines Regisseurs, das alles andere ist als ein Film für das große Publikum, schon allein, weil der viele Dialog eine ständige Aufmerksamkeit beim Lesen der Untertitel erfordert. Und dann als Grand Prix ein Film einer Italienerin, deren Vater vor einigen Jahrzehnten von Hamburg nach Umbrien auswanderte. 

„Le Meraviglie“ von Alice Rohrbacher über eine etwas seltsame Imkerfamilie scheint genau da anzuknüpfen und sieht sich mit Vergnügen, obwohl er sicher nicht sehr teuer war. In diesem mit dem Jurypreis ausgezeichneten Film spielt neben Monica Bellucci die aus Rumänien stammende 13-jährige Alexandra Maria Lungu.

Der geteilte Regiepreis, zwischen dem ältesten Regisseur, Jean-Luc Godard, der mit „Adieu au Langage“ einen experimentellen und manchmal fast philosophischen 3D Film ablieferte und dem jüngsten, dem Kanadier Xavier Dolan, schafft eine Verbindung zwischen zwei diametral entgegengesetzten Formen von Kino. In „Mommy“ wird ein zu turbulenter Junge aus dem Erziehungsheim nach Hause geschickt, wo seine Mutter sichtlich überfordert ist. Aber zweieinhalb Stunden wirkliches Kino, wenn man den Lärm des Films überlebt.

Ebenfalls so lang, Mike Leigh’s „Mr. Turner“, der die Arbeitsweise des großen englischen Malers, Meister des Lichts, beschreibt und für den Timothy Spall den Darstellerpreis gewann. Julianne Moore bekam ihn für ihre Rolle in der etwas bizarren Satire über Celebrities, „Maps to the Stars“ von David Cronenberg. Schön auch über Kreativität „Sils Maria“, wo eine alternde Schauspielerin (Juliette Binoche) sehen muss, wie ein schnippisches Starlet die Rolle übernimmt, die sie in deren Alter spielte. Und Olivier Assayas zeigt besonders das Verhältnis zu ihrer Assistentin (Kristen Stewart), was dem Film seine Dichte gibt. Er bekam keinen Preis wie auch der belgische Film von Jean-Pierre und Luc Dardenne über eine Frau, die ihre Kollegen bittet, auf ihre Jahresprämie zu verzichten, damit sie ihren Job behalten kann, gespielt von Oscarpreisträgerin Marion Cotillard.

Bennett Millers Regiepreis gehörte deshalb zu den wichtigen Filmen, weil „Foxcatcher“ eine gelungene Studie über das Verhältnis von Sport und Geld ist. Und sowohl mit dem ökumenischen Preis, wie auch mit dem François Chalais-Reporterpreis wurde der Film „Timbuktu“ von Abderrahmane Sissako ausgezeichnet, der das Vordringen des Islamismus in Afrika beschreibt. 

Diesmal war leider kein rumänischer Spielfilm im Wettbewerb, dafür aber wenigstens ein Kurzfilm einer in Klausenburg geborenen Ungarin, Petra Szös, die für den Film in ihre Heimatstadt zurückkehrte. „Willst du Ceaușescu mit uns spielen“, fragt ein kleines Mädchen seine Großmutter 1990 in Klausenburg, die aber dankend ablehnt und so spielen die Kinder unter sich das beliebte Spiel in „Die Exekution“ (A Kivégzés). Ein Kind ist Ceaușescu, das andere hat die Maschinenpistole und mäht ihn nieder.

Weniger makaber geht es in „Trece şi prin  perete“ von Radu Jude her, der im Kurzfilmprogramm der Quinzaine des Réalisateurs gezeigt wurde, genauer gesagt nicht viel weniger, denn die Gespräche über Tote, Friedhöfe, Aberglauben und paranormale Phänomene, die ein kleines Mädchen mit ihrem Großvater führt, weil es nachts Angst hat, allein im dunklen Zimmer zu sein (im Nebenhaus liegt ein Toter), sprechen für sich, selbst wenn Radu Jude seine Geschichte „Es kann auch durch die Mauer gehen“ auf Tschechow bezieht.

Den meisten Erfolg hatte ein kurzer Film, den Cristi Puiu für den Episodenfilm „Die Brücken von Sarajewo“ drehte, zu dem u. a. auch Godard und Angela Schanelec Beiträge lieferten, und der daran erinnern soll, was vor hundert Jahren hier passierte. Cristi Puius Beitrag gegen Vorurteile ist ein Film, in dem ein Ehepaar mitten in der Nacht aufwacht und über viele Länder des Balkans und seine Bewohner Bemerkungen macht, die man heute eigentlich gar nicht mehr machen darf, total politically incorrect, aber das war so witzig vorgebracht, dass die Episode einen starken Zwischenapplaus bekam, weil da einer frech wagte, total politisch inkorrekten Nonsens auszusprechen, um gerade das, was er sagt, ad absurdum zu führen.

Wim Wenders war mit einem allseits gelobten internationalen Film über den Fotografen Sebastian Salgado vertreten, den er mit dessen Sohn Juliano Ribeiro Salgado realisierte, und der einzig wirklich deutschsprachige Film stammte von der Österreicherin Jessica Hausner, die mit „Amour Fou“ den doppelten Selbstmord von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel in Form einer Komödie zeigt. Kein einfacher Film, weil man ihn auf zwei Ebenen sehen sollte, die der Geschichte und die der Sicht der Regisseurin.         

Szene aus Le Meraviglie" mit Monica Bellucci (rechts) und ihrer aus Rumänien stammenden ältesten Film-Tochter Alexandra Maria Lungu.

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kultur.