Ausgabe Nr. 2381
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Zum 150. Todestag des amerikanischen Schriftstellers Nathaniel Hawthorne
Hawthorne (1804-1864) ist leider weniger bekannt als sein berühmter Zeitgenosse und Freund Herman Melville (der ihm seinen „Moby Dick“ gewidmet hat). Dabei gehören Hawthornes Romane „Der scharlachrote Buchstabe“ und „Das Haus mit den sieben Giebeln“ zu den wichtigsten der amerikanischen Literatur in der Mitte des 19. Jahrhunderts – Zu seinem 150.Todestag und dem 210.Geburtsjahr erschienen gerade eine Neuübersetzung des ersten (beim Hanser-Verlag, München) und eine Neuauflage des zweiten Romans (im Manesse-Verlag, Zürich).
Nathaniel Hawthorne entstammte einer in Salem (Massachusetts) alteingesessenen Puritanerfamilie namens Hathorne. Sein Ururgroßvater hatte in den berüchtigten Hexenprozessen in Salem als „Inquisitor“ die Angeklagten befragt (insgesamt wurden 19 Personen, vor allem Frauen hingerichtet). Davon wollte sich der Autor durch die Einfügung des „w“ in seinem Nachnamen distanzieren. – Die puritanische Kirche calvinistischer Prägung entstand Ende des 16.Jh. in England. Von 1620 an gab es die ersten puritanischen Aussiedler in Massachusetts, wo es sehr bald zu religiösen Konflikten vor allem mit den seit 1656 neu angesiedelten Quäkern kam. Die religiöse Hysterie der Puritaner gipfelte schließlich in den Hexenverfolgungen, Verurteilungen und Hinrichtungen von 1692.
In diesem Umfeld spielt der Roman „Der scharlachrote Buchstabe“ in Boston (Neuengland) etwa von 1642 bis 1649. Vier Personen tragen die Handlung: Die junge Hester Prynne wird als Ehebrecherin an den Pranger gestellt, weil sie den Vater ihrer unehelichen Tochter Pearl nicht nennen will, obwohl ihr Ehemann als auf See vermisst gilt. Zur Strafe wird sie von der Geistlichkeit dazu verurteilt, lebenslang ein rotes „A“ (für „adulteress“ = Ehebrecherin) auf der Brust zu tragen. Rasch wird dem Leser klar, dass Pearls Vater der von allen hoch geachtete junge Pfarrer Arthur Dimmesdale ist. Diesem gelingt es trotz Askese und Kasteiung nicht, öffentlich seine Schuld zu bekennen. Der unter anderem Namen zurückgekehrte Ehemann – der wesentlich ältere Arzt und Alchimist Roger Chillingworth – zwingt Hester, seine Identität niemandem zu verraten. Seine Absicht ist, den Pfarrer, in dem er den Vater Pearls vermutet, psychisch zu ruinieren. – Die frühreife Pearl spürt die Spannungen zwischen den Erwachsenen und reagiert mit neugierigen, ja altklugen Fragen. Ihre Mutter wächst in eine Märtyrerrolle hinein, die sie nur durch ihre innere Kraft bewältigen kann. –
Hawthorne erweist sich hier als Meister der psychologischen Charakterdarstellung, was sicher – neben der packenden Handlung – zum überwältigenden Erfolg des Buches beiträgt. Nun kann der inzwischen 46-jährige Hawthorne endlich von seiner schriftstellerischen Arbeit leben. –
Den Vater hatte Nathaniel schon früh verloren; er war als Seefahrer 1808 am Gelbfieber in Surinam gestorben. Von der Mutter und von Verwandten aufgezogen, besuchte er ein College und veröffentlichte seinen ersten Roman auf eigene Kosten anonym. Er war ein Misserfolg und Hawthorne hält ihn selbst für misslungen. In den folgenden Jahren veröffentlicht er Kurzgeschichten und Erzählungen, 1837 und 1842 als „Twice Told Tales“ (Zweimal erzählte Geschichten) erschienen, in denen sich ein Hang zum Schaurigen, Unheimlichen zeigt. Für kurze Zeit erhält er eine Anstellung im Bostoner Zollamt. Danach nimmt er einige Monate an einem sozialutopischen Experiment der Landkommune Brook Farm teil, die ein naturverbundenes Leben ohne Privateigentum und Arbeitsteilung erprobt. Er gibt schnell auf, da er – von der Arbeit erschöpft – nicht mehr schreiben kann.1837 lernt er Sophia Amelia Peabody kennen, die er 1842 heiratet. Mit ihr zieht Hawthorne in das alte Pfarrhaus („The Old Manse“, 1846) von Concord, die schönste Zeit für das frisch vermählte Ehepaar. In der Nähe wohnen so berühmte Autoren wie Emerson, Thoreau und Melville. Um seine Frau und die Tochter Una zu versorgen, nimmt Hawthorne die Stelle als Kontrolleur des Zollamts Salem an, die er nach drei Jahren 1849 aufgrund von Intrigen wieder verliert. Diese Zeit schildert er ausführlich und satirisch in „Das Zollhaus“, der langen Einleitung zum „Scharlachroten Buchstaben“. Erst nach der Entlassung vollendet er in kürzester Zeit die beiden Romane. –
Um eine alte Schuld und ihre Sühne geht es auch in dem zweiten Buch „Das Haus mit den sieben Giebeln“ (1851), das der Autor als „romance“ bezeichnet – nach seinem Verständnis ein nicht-realistischer Roman, eine Legende. Dennoch steht das reale Vorbild für das Haus noch heute in der Turner Street in Salem, nördlich von Boston. Auf dem eigenartigen Gebäude, seit 160 Jahren Wohnsitz der Familie Pyncheon, lastet ein Fluch. Der skrupellose Colonel Pyncheon hatte seinerzeit das wertvolle Grundstück dem Handwerker Maule entrissen, indem er ihn der Hexerei bezichtigte, woraufhin Maule zum Tod verurteilt wird. Vor seiner Hinrichtung verflucht er den Colonel und dieser erleidet tatsächlich einen Blutsturz am Tag der Einweihung des neu erbauten Hauses. Diese Hintergründe erfährt der Leser in Rückblenden. Die Handlung spielt aber in der Mitte des 19.Jh. und bietet eine Reihe skurriler Gestalten der Erbengeneration des alten Pyncheon auf. – Viele Leser und Kritiker (auch der Autor selbst) schätzen diesen Roman sogar höher ein als den ersten, da er weniger düster ist und sarkastisch-ironische Schilderungen enthält. Allerdings sind Hawthornes Romane mitunter allegorisch überfrachtet, wie schon sein Bewunderer und Kritiker Edgar Allan Poe feststellte.
Hawthornes letzter, weniger bekannter Roman „Der Marmorfaun“ (1860) beruht auf den Erlebnissen einer Italienreise, die er nach einem vierjährigen Aufenthalt als amerikanischer Konsul in Liverpool unternahm. Hier thematisiert der Autor einen „modernen“ Sündenfall: die Verführung des italienischen Grafen Donatello durch die Malerin Miriam, die ihn zum Mord an einem Fremden anstachelt.
Hawthorne starb am 19. Mai 1864 im Alter von 59 Jahren. Sein Grab befindet sich – wie es sich für einen Autor des Unheimlichen und Schauerlichen gehört – auf dem legendenumwobenen „Sleepy Hollow“-Friedhof in Concord, wo ein geheimnisvoller Reiter ohne Kopf spuken soll …(nach „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“ von Washington Irving). –
Die neueste deutsche Übertragung von „Der scharlachrote Buchstabe“ durch Jürgen Brocan erschien in diesem Jahr im Hanser-Verlag in der Reihe Weltliteratur in Neuübersetzungen. Sie vereint in zeitgemäßer Form sprachlich-historische Präzision mit flüssiger Lesbarkeit. Insofern ist sie den älteren Ausgaben, z.B. der renommierten Verlage Manesse (1957) oder Reclam (1973), vorzuziehen. – Die stilistisch modernere Übersetzung von „Das Haus mit den sieben Giebeln“ durch Irma Wehrli (von 2004) erschien soeben neu. Sie enthält ein sehr informatives Nachwort zu Leben und Werk des Autors, verfasst vom bekannten Redakteur und Publizisten Hanjo Kesting. Konrad WELLMANN
Nathaniel Hawthorne (1804-1864)