Ausgabe Nr. 2372
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Porträt der begeisterten Hermannstädter Chorsängerin und Musikliebhaberin Cristina Bordea
Ihr Traum in jungen Jahren war ein Studium der Musik. Gerne wäre Cristina Boldea damals Pianistin oder Sängerin geworden. Vor dem intensiven täglichen Üben, dem „Sitzfleisch“ beim Erreichen eines solchen Ziels, schreckte sie dann aber doch zurück. Als Ingenieurin in der Textilbranche ist Cristina heute nicht unglücklich. Einige Jahre der Auszeit, als sie sich auf Jobsuche befand, haben es ihr bewiesen: an keinem anderen Arbeitsplatz sieht sie sich lieber!
„Jeden Tag Musik“ ist ihre Devise. Damit meint Cristina Boldea aber nicht den passiven Konsum, dem wir alle ausgesetzt sind. Am Montag, manchmal auch am Dienstag, wenn ein kompliziertes Werk auf dem Probenplan steht, singt sie im Cedonia-Chor. Der Mittwoch ist dem Hermannstädter Bachchor reserviert. Am Donnerstag hört sie sich als Abonnentin einer Loge das Konzert der Hermannstädter Staatsphilharmonie an. Mit dem Chor der orthodoxen Metropolie probt sie jeden Freitag und singt sonntags dann während der Liturgie in diesem Ensemble. Ist das zu viel? Nur in außergewöhnlichen Momenten, wenn einer der Chöre besonders intensiv zu Gange ist. Tourneen oder Jubiläumsveranstaltungen, wie der 45. Geburtstag des Cedonia-Chores im vergangenen Frühjahr, bringen den Rhythmus durcheinander. Da muss sie sich entscheiden, denn leider kann sie sich nicht zwischen all den Veranstaltungen aufteilen! Das fällt schwer, beteuert sie lächelnd, und man glaubt es ihr. Bedauern schwingt mit, als sie erzählt, dass der orthodoxe Kirchenchor im Hippodrom-Viertel nachgefragt habe, ob sie nicht auch da mitsingen könne. Wenn die Dirigenten sich einigen und ihr jeden zweiten Sonntag erlaubt wird, im anderen Chor während der Sonntagsliturgie mitzusingen, sie täte es! Eine gewachsene Gemeinschaft wie den Metropolitan-Chor aber läßt Cristina Boldea von sich aus nicht im Stich.
Ob sie sich denn überall integriert fühle? Ja, auf jeden Fall. Verschiedene Dirigenten – allein im Chor der Metropolie sind es drei – findet sie interessant. Man pflegt auch ein ganz unterschiedliches Repertoire. Sie spürt deutlich, dass sie helfen kann, wenn links und rechts Chormitglieder nur nach dem Ohr, nicht aber nach Noten singen. Musik bringt zusammen und gibt ihr das wunderbare Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein. Außerdem: wo sonst kommt man mit so vielen und grundverschiedenen Menschen in Kontakt? Nach langen Jahren der Abwesenheit hat sie sich 2009 von selbst wieder beim Cedonia-Chor gemeldet. Die Hemmschwelle, ob dort nicht nur ganz jungen Sängerinnen willkommen seien, war bald überwunden. Jetzt steht die Aufführung der Missa super Osculetur me von Orlando di Lasso mit einem Partnerchor aus Landshut an, danach will man gemeinsam auf Tournee nach Deutschland und Frankreich gehen.
Zum Hermannstädter Bachchor fand Cristina im Frühjahr 2010 und geriet sofort in die schwierigen Proben zu Bachs Johannespassion. Nach dem Besuch eines weihnachtlichen Chorkonzerts in der evangelischen Kirche sagte sie sich: das war wunderschön, da möchte ich auch selbst mitsingen! Dazu ist dieser Chor ihre einzige Gelegenheit, die deutsche Sprache zu pflegen. Die Jahre als Grundschülerin in der deutschen Abteilung der 15-er Schule sind längst vorbei. In der Familie wird rumänisch gesprochen. Eine Ur-Urgroßmutter war Österreicherin. Durch Heirat gelangte sie damals, im 19. Jahrhundert, nach Ucea, als Frau eines orthodoxen Pfarrers. Es ist ein kleiner Kummer für Cristina, dass keiner ihrer beiden Söhne das Hobby der Mutter teilt. So musikalische Jungen, und bei dem akuten Männermangel in allen Chören so gesucht und umworben, und beide wollen nichts vom Chorsingen wissen! Leise murmelt sie ein wenig schmeichelhaftes rumänisches Sprichwort: Brânza bună în burduf de câine! Dafür hat ihre Chefin in der Arbeit viel Verständnis für dieses Hobby. Sie ist zu allen Konzerten, in denen Cristina Boldea mitsingt, herzlich eingeladen, und sie kommt auch gerne.
„Das Wichtigste ist, dass die Dirigenten zufrieden sind mit mir und meinen Leistungen, dass es in der Gruppe stimmt, dass ich überall mithelfen kann.“ Ans Aufhören denkt sie nicht, sehr zur Freude der drei Chorgemeinschaften. Es ist mehr als nur das Singen. Cristina Boldea braucht alle Tage Musik wie die Luft zum Atmen.
Ursula PHILIPPI
Foto: Adriana HERMANN