Ausgabe Nr. 2373
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Was stand vor 100 Jahren in den Zeitungen? (2. Teil) / Von Wolfgang H. REHNER
Nein, politisch ahnungslos und desinteressiert war die Bevölkerung Hermannstadts am Vorabend des ersten Weltkrieges nicht. Man spürte, dass es im Gebälk des europäischen Gleichgewichtes krachte, das belegen die hier erschienenen Zeitungen aus dem Januar und Februar 1914. Aber die fürchterlichen Ausmaße des bevorstehenden Weltbrandes konnte niemand richtig einschätzen.
Politik
Am 31. Januar 1914 berichtet das in Hermannstadt erscheinende Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt: Aus Saloniki liegen Besorgnis erregende Nachrichten vor. Bulgarien und die Türkei sehen sich durch den Frieden von Bukarest benachteiligt und schmieden gemeinsame Pläne zu einer neuen Grenzberichtigung, wogegen Griechenland durch Truppenbewegungen an den Grenzen droht. Schon am 12. Januar konnte man von Spannungen zwischen Serbien und Bulgarien lesen, während Griechenland im Epirus immer noch einen Landstreifen besetzt hielt, der dem neugegründeten Albanien zugesprochen war. Am 13. Januar war von der Zuständigkeit zweier Inseln am Ausgang der Dardanellenstraße die Rede gewesen, deren Besitz der Türkei aus strategischen Gründen lebenswichtig erschien, an der aber auch die Großmächte Interesse zeigten. Nur „mit Ach und Krach“ gelang es dem britischen Staatssekretär Grey, eine vorläufige Befriedigung der gegensätzlichen Kräfte zu vermitteln. – In Albanien gibt es blutigen Aufruhr. Des ungeachtet bereiten die Anhänger des neuen Fürsten, Prinz Wilhelm zu Wied, dessen Amtseinsetzung mit entsprechendem Aufwand vor. Die Vollstreckung des Todesurteils an dem Putschisten Bekir Aga und seinen Genossen wird aufgeschoben, damit der neue Fürst die Möglichkeit hat, als erste Amtshandlung eine Begnadigung auszusprechen (Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt vom 7. Februar). Am 9. Februar meldet das gleiche Tageblatt: Während in Saloniki Faschingstaumel herrscht, finden an den Grenzen Kämpfe mit bulgarischen und albanischen „Banden“ statt. Heute nennen wir so etwas „Partisanenkrieg“. Aus all diesen Nachrichten gewinnen wir den Eindruck, dass der Krieg auf dem Balkan keineswegs befriedigend abgeschlossen ist und jederzeit neu ausbrechen kann.
Am 7. Februar bringt das Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt noch eine andere beunruhigende Nachricht: Wie aus Máramarossziget (Sighetul Marmaţiei) berichtet wird, fanden im Norden des Landes in verschiedenen Ortschaften improvisierte Versammlungen statt, in denen die Nachricht verbreitet wurde, der Zar werde bald kommen und das Land wieder einnehmen, das ihm einmal gehört hat. Derartige Gerüchte kreisten schon seit längerer Zeit und beunruhigten die sonst friedlichen Bergbauern. Da diese Gerüchte nun aber auch in Versammlungen laut geworden sind, musste die Polizei eingreifen und hernach wurde ein Gerichtsverfahren eingeleitet. Am 10. Februar berichtet das Tageblatt von russischen Waffenübungen an der Weichsel und von einer Versammlung schwedischer Bauern vor dem Königspalast in Stockholm. Überraschenderweise forderten diese Bauern weder Steuernachlass noch sonstige Rechte, sondern (soll man es glauben?) eine Verstärkung der Armee! Gleichzeitig erklärten sie sich bereit, ihre Söhne zum Militärdienst zu ermutigen. Die Veranlassung für diese eigenartige Demonstration war die Furcht vor einer russischen Aggression. Seit die schwedische Großmacht durch Peter den Großen gebrochen worden war, hatte sich Russland beständig neue Gebiete einverleibt, darunter auch das vormals zu Schweden gehörende Finnland. Nun fürchteten die schwedischen Bauern eine weitere Expansion Russlands.
Auch im Westen ist nicht alles ruhig. Am 12. Januar berichtet das Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt über eine profranzösische Provokation im Elsass, wegen der zwei Offiziere vor Gericht gestellt werden mussten. Solche Nachrichten sind aber selten im Vergleich zu denen aus dem östlichen Europa. Ein ganz anderer Ton klingt in einer Nachricht aus England auf, die das Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt am 6. Februar bringt. Staatssekretär Grey hielt in Manchester eine Rede, in welcher er die allseitige Rüstung der europäischen Staaten, vor allem der Großmächte, als ungesund bezeichnete. Er führte aber auch aus, dass es schwierig sei die Mächte zu einem Rüstungsstopp zu bewegen. Bezüglich des Balkankrieges äußerte er, dass dieser durch ein Eingreifen der Großmächte hätte verhindert werden können, doch sei es problematisch, Gewalt durch Gewalt zu bekämpfen. – Leider wurden vernünftige und zurückhaltende Stimmen wie diese von dem allgemeinen Säbelrasseln übertönt.
Das politische Hauptthema im Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt ist und bleibt in jenen Wochen der Ausgleich mit den Rumänen. Im Januar und Februar 1914 erscheinen täglich Nachrichten über diese brennende Frage, wobei deutlich wird, dass sowohl Ministerpräsident Graf Tisza als auch die Führer der siebenbürgischen und ungarländischen Rumänen bereit sind, eine Verständigung betreffend die Gleichberechtigung der Rumänen herbeizuführen. Echte Schwierigkeiten bereitet dabei vor allem die parlamentarische Opposition in Budapest, welche die Vorherrschaft der Magyaren in Siebenbürgen dadurch bedroht sieht. Aus diesem Grund bringt auch das neue Wahlgesetz immer noch keine demokratische Ordnung. Ein belastender Umstand für das Zustandekommen des Ausgleiches entsteht in diesen Tagen aber auch durch eine Kundgebung in Bukarest, welche empfindliche Stellen berührt und dabei den nötigen diplomatischen Takt vermissen lässt, so dass sie, statt die Sache der siebenbürgischen Rumänen zu unterstützen, die emotionale Spannung der Opposition in Ungarn anheizt. Jetzt kann Graf Bethlen als Sprecher der Opposition dem Ministerpräsidenten vorhalten, dass seine entgegenkommende Haltung gegenüber den siebenbürgischen Rumänen vom außenpolitischen Druck aus Bukarest bestimmt sei. Der Ministerpräsident aber antwortet entschieden: „Mein Entschluss hängt mit den momentanen Gestaltungen der auswärtigen Politik in keiner Weise zusammen. Mein Standpunkt geht dahin, dass auch bei den Romänen dasselbe zu erreichen sei, was bei der deutschen Bevölkerung Ungarns bereits erreicht ist.“ (Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt vom 3. Februar). Am 6. Februar bringt das Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt auf der ersten Seite einen Spiegel der rumänischen Presse zur Frage des Ausgleichs:
Telegraful Român erklärt: „Das können wir konstatieren, dass, soweit wir den Pulsschlag der rumänischen öffentlichen Meinung kennen, eine ehrliche Verständigung mit der gegenwärtigen Regierung von ihr sehr gewünscht wird.“
Românul schreibt, dass ein förmlicher Pakt mit der Regierung Tisza wünschenswert wäre und auch in Österreich sicher auf Verständnis stoßen würde, wo gegenwärtig von einem tschechisch-deutschen und auch von einem polnisch-ruthenischen Ausgleich gesprochen wird. (Ruthenisch ist gleichbedeutend mit Ukrainisch).
Gazeta Transilvaniei berichtet: Das neue Wahlgesetz ist von den demokratischen Kreisen des Landes bekämpft worden, ganz besonders von der rumänischen Nationalpartei. Trotz seines rückschrittlichen Charakters wurde der Gesetzentwurf mit Mehrheitsbeschluss angenommen, da er „zugunsten des Magyarentums und der herrschenden oligarchischen Klasse zusammengestellt war.“ Einen gewissen Fortschritt stellen die neue Einteilung der Wahlkreise und die damit verbundene Zahl der Reichstagswähler dar, doch wird zugleich Sorge dafür getragen, dass das nationale Element, insbesondere das der Rumänen, so viel wie möglich daran gehindert wird, zur Geltung zu kommen.
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Noch ist Frieden. Zwar hört man immer wieder von Krieg und Kriegsgefahr, doch fürchtet man sich nicht davor, weil niemand die wirkliche Gefahr erkennt. Der Krieg scheint vielmehr interessant zu sein, weil sich etwas bewegt und weil die Sache spannend ist. Daneben geht das Leben im gewohnten Rhythmus weiter. Um uns dieses Leben etwas lebendiger vorstellen zu können, tun wir nun einen Blick auf die letzten Seiten im Tageblatt, woraus wir erfahren, was in jenen Tagen in Hermannstadt angeboten wird.
Da erfahren wir zunächst, dass bei Carl F. Jickeli, Kleiner Ring 38, die neue amerikanische Waschmaschine AEROWASH zu haben ist. Sie wäscht in 5 Minuten 6 Wäschestücke und zwar mit Luft, wodurch die Wäsche geschont wird. Um das Interesse für dieses neuartige Ding zu wecken und auch langsamer reagierende Klienten zu gewinnen, bietet das Geschäft am 9. Februar ein öffentliches Probewaschen an.
Julius Wermescher, Heltauergasse 1, bietet im Monat Februar 1914 einen großen Rest-Verkauf verschiedener Waren zu günstigen Preisen an. Wir nehmen an, dass es sich hauptsächlich um Seidenstoffe handelte.
Friedrich Binder, Heltauergasse 25, bietet wegen vorgerückter Saison verschiedene Stoffarten, Leinwand und Chiffone zu reduzierten Preisen an.
Meltzers Terpentin-Salmiak-Seife kostet pro Stück 40 Heller. „Wer gut kaufen will, verlange nur Meltzers Fabrikate, auch in allen andern Sorten: Wäsche- und Toiletteseifen Seifenpulver etc.“ Der Name sagt alles.
Thomas Binder bietet das „tadellose Bier" der Tomas-Bräu aus Zoodt (Sadu) an.
Die Hermannstädter Allgemeine Sparkassa übernimmt Spareinlagen ohne Sperrfrist mit 5-prozentiger Verzinsung.
Wilhelm Krafft führt ein reiches Angebot an Büchern, darunter auch solche „zur Bildung der geistig tätigen Menschheit“, wie das allgemein verständliche und wissenschaftlich fundierte Werk von Prof. Dr. A. Forel: Hygiene der Nerven und des Geistes.
Die Kunstanstalt Josef Drotleff übernimmt eine reiche Auswahl an Druckarbeiten, darunter auch Photolithographie und Notensatz.
Kultur
Alle diese Angaben sind dem Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt vom 6. Februar 1914 entnommen. Zuletzt sei auch das Angebot des Theaters für die nächsten Tage angeführt: Sonntag, 8. Februar nachmittags: „So’n Windhund“ abends: „Polenblut“ von Oskar Nebdal; Montag, 9. Februar: „Alles um Geld“ von Herbert Eulenberg; Dienstag, 10. Februar: „Gabriel Schillings Flucht“ von Gerhart Hauptmann.
Wir stellen fest, dass die Hermannstädter zu Beginn des Jahres 1914 Stücke auf die Bühne brachten, die damals hochmodern waren. Das genannte Drama des namhaften G. Hauptmann wurde 1912 geschrieben und das des jüngeren H. Eulenberg 1911. „Polenblut“ ist eine Operette des Wiener Tonkünstlers O. Nebdal und „So’n Windhund“ scheint ein Volksstück zu sein. Somit war auch die leichtere Muse vertreten. – Der Autor des Buches, das „zur Bildung der geistig tätigen Menschheit“ besonders empfohlen wird, Dr. Auguste Forel, war ein bekannter Psychiater, Professor in Zürich und Leiter einer Irrenanstalt. Zugleich war er auch ein Vorkämpfer der Abstinenzbewegung.
Die zufällig zusammengestellten Inserate bezeugen für die Hermannstädter von damals ein wirtschaftliches und kulturelles Leben mit Niveau. Bezüglich der Reichweite und der Auswirkungen des bevorstehenden Weltbrandes waren sie aber – wie alle Welt – dennoch ahnungslos.