Ausgabe Nr. 2368
>
Vergangenen Sonntag liefen die Urzeln in Agnetheln wieder
Wer sich am Sonntagmorgen in Agnetheln aufhielt, dem konnte das komische Geknatter kaum entgehen, das langsam immer lauter wurde. Es war das Knallen unzähliger Peitschen. Mindestens ebensoviele Kuhglocken läuteten. Nach einer Weile erschienen unzählige finstere Gestalten, mit furchterregenden Fratzen und hüpften die Gasse hinunter. Fast 200 waren es. Es war nämlich wieder an der Zeit, dass die Agnethler Gemeinde vor den bösen Geistern geschützt werden musste. Die Urzeln liefen wieder.
Obwohl sie schreckerregend daherkamen, schreckte keiner zurück, als sich die dunklen Gestalten näherten. Jeder wollte sie sehen, jeder wollte sie fotografieren. Und wenn man mit Urzelkrapfen aus der Quetsche bedient wurde, so stellte sich heraus, dass Urzeln auch nett sein können.
Voran gingen eine Schar Urzeln, die wild umher peitschten und den Weg bahnten. Es folgte eine Schar von „Urzelchen“. An den Seiten im Gänsemarsch hüpfend bildeten weitere Urzeln zwei lange Reihen, die übrigen Gestalten der Urzelparade schützend. Getragen wurde eine Fahne, auf der „Breasla Lolelor Agnita“ (Urzelzunft Agnetheln), der Name des Veranstaltervereins zu lesen war.
„Wir freuen uns, dass die Urzeln Interesse in der Stadt und außerhalb der Stadt erwecken“, sagte Radu Curcean, Präsident des Vereins Breasla Lolelor (Urzelzunft). „Es ist ausgezeichnet, dass diejenigen, die Urzelkostüme anlegen, verstehen, dass diese Gestalten, die aus dem Dunkel der Zeiten kommen, eine Verbindung sind zwischen alt und neu, eine Brücke zwischen zwei Nationalitäten, eine Anerkennung der Traditionen der Agnethler Sachsen, ein Grund zu Feier und Heiterkeit.“
Bürgermeister Ioan Dragoman ging in seiner Rede vor allem auf die Geschichte des siebenbürgisch-sächsischen Brauches ein. Unter anderem erinnerte er auch an die Zeit, als Mitte der 80-er Jahre insgesamt 600 Urzeln teilnahmen. Nach der Wende wurde der Brauch in Agnetheln 2006 durch Lehrer Bogdan Pătru wieder ins Leben gerufen. Pătru ist gegenwärtig Ehrenpräsident des Breasla Lolelor Agnita Vereins und trug auch in diesem Jahr als Urzel die Nummer 1.
Teil der Urzelparade war auch der Paradehauptmann, der von zwei „Engelchen“ begleitet wurde. Dieser wurde früher von der Schusterzunft gestellt. Es folgten zwei Männer, die die Zunftlade trugen. Eigentlich wurden die Urzeln in früheren Zeiten beim Forttragen der Bruderschaftslade von dem gewesenen Knechtvater zum neu gewählten, als Beschützer der Lade eingesetzt. Das Ladeforttragen ist somit der eigentliche Kern des Urzellaufs.
An den insgesamt drei Haltestellen der Urzelparade zeigten Schneiderrösschen und Mummerl, der Bär mit Treiber der Kürschnerzunft, die drei Reifenschwinger der Fassbinderzunft im Takte der Blasmusik ihre Schauhandlungen. Die H-Musikanten begleiteten die Parade.
Das Ringelspiel mit den Füchsen, die je einen Marder im Maul tragen und diese ihrerseits ein Ei, früher ein Symbol der Kürschnerzunft, war ebenfalls teil der Parade. Wenn das Ringelspiel gedreht wird, soll der Eindruck entstehen, dass sich die Füchse bewegen. Das hölzerne Pferd der Riemenschneider mit einem Jungen in siebenbürgisch-sächsischer Tracht war auch dabei.
Dieses Mal dabei war auch die Tanzgruppe des Hermannstädter Jugendforums, die mehrere siebenbürgisch-sächsische Tänze zeigte, darunter auch die Sternpolka. Anschließend erklang das Siebenbürgenlied, das für die Urzeln charakteristische „Hirräi!" wurde im Chor gerufen.
Die Urzeln besuchten in Parten Bekannte und Freunde, wo sie bewirtet wurden. Auf dem Weg ging es weiterhin lustig zu. Manches Auto, dessen Fahrer ungeduldig wurde und hupte wurde schnell umzingelt. Manches Mädchen wurde mit der Peitsche eingefangen und musste die „bösen Geister" ausschwitzen. Danach wurde sie natürlich mit Krapfen aus der Quetsche bedient.
Die Parte „Dracii“, deren Abzeichen ein Teufelskopf war, besuchte u. a. das evangelische Pfarrhaus. Hier wurde das Siebenbürgenlied noch einmal gesungen. Dann wurden die Gäste mit köstlichen Krapfen bedient. Laut Partenchef Cosmin Drăgan stamme das Abzeichen noch aus der Zeit, als die Siebenbürger Sachsen den Brauch in Agnetheln ausübten und die Parte etwa als „Die Teufelsgruppe” bekannt war oder einen ähnlichen Namen trug.
Werner FINK
Foto 1: Fast 200 Urzeln machten bei klirrender Kälte in Agnetheln mit.
Foto 2: Im Pfarrhaus trafen sich Urzeln und Tänzerinnen zum Plausch.
Fotos: Werner FINK