Angst als Bindemittel

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Ausgabe Nr. 2364
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 Ioana Crăciunescu spielt Monolog von Matei Vișniec

 

Die Angst ist ein primäres Gefühl, das wie ein wildes Tier auftaucht und jedes Gewebe angreifen kann, sei es ein soziales oder ein organisches“, sagt die Schauspielerin Ioana Crăciunescu, die am 20. Dezember im Studiosaal im Gewerkschaftskulturhaus den Monolog Sufleorul fricii“ (Der Souffleur der Angst) von Matei Vişniec aufgeführt hat.

 

Regie führt der französische Regisseur Gérard Audax vom Theater Clin d’oeil aus Paris, mit dem die  1991 nach Frankreich ausgewanderte Schauspielerin schon 2002 bei der szenischen Lesung dieses Monologs von Matei Vişniec in Rumänien zusammenarbeitete. In Hermannstadt las sie den Monolog schon einmal 2003 beim Internationalen Theaterfestival. Ioana Crăciunescu ging mit diesem Monolog auf Tournee durch Frankreich, Rumänien, die Republik Moldova, Senegal und Belgien. Zuletzt führte sie das Stück im Januar 2013 in der Synagoge in Bistritz auf. Die Hermannstädter Aufführung am 20. Dezember 2013 war den Dezemberereignissen 1989 in Hermannstadt gewidmet und galt als Vorpremiere. Die Premiere des Stücks findet am Mittwoch, den 15. Januar d. J. statt.

Geschrieben hatte Matei Vişniec diesen Text 1977, als er noch Student war. Nachdem er den Text bei einem Treffen des Literaturkreises „Cenaclul din Tei“ gelesen hatte, wurde der Literaturkreis aufgelöst. Die Uraufführung fand 1984 in Temeswar statt. 1987 flieht Vişniec nach Frankreich, wo er politisches Asyl erhält, in französischer Sprache zu schreiben beginnt und bei Radio France Internationale (RFI) arbeitete.

Der Monolog wird in Vișniecs Auffassung von einem „Bruno“ gesprochen, Ioana Crăciunescu meistert ihn mühelos, schlüpft in die Rolle als sei ihr diese angegossen. Sie sagt: „Der Souffleur der Angst ist geschlechtslos, alterlos, zeitlos, wie auch die Angst.“ In einer Rezension zum Stück schrieb Nicolae Prelipceanu treffend, dass in Rumänien in der Zeit der kommunistischen Diktatur die Angst als „soziales Bindemittel“ fungiert habe. Insofern nehme Vişniec in seinem Jugendtext den Totalitarismus regelrecht auseinander, um dem Ursprung, der damals in der Gesellschaft fest verankerten Angst vor jedem und allem auf den Grund zu gehen. Einer Angst, die nach der Wende in Rumänien andere Formen angenommen hat.

Der Monolog bringt in aller Offenheit, brutal zuweilen, mit schwarzem Humor, Ironie und Zynismus gespickt ans Licht, wie Angst geschürt werden und Misstrauen gesät werden kann und vor allem, dass sich keiner dieser allumfassenden Angst entziehen konnte.

Schon der Titel des Monologs bringt Zweideutigkeit ins Spiel: Ein Souffleur liest gewöhnlich einen vorgegegebenen Text vor. Bruno agiert aber auch als „Angstflüsterer“, er versucht, die Angst wegzureden, wegzutrinken, wegzuspielen. Die Zuschauer werden immer mehr in das Spiel eingewickelt, eingelullt, und zum Schluss hält der Autor dem Publikum den Spiegel vor und schreibt: „Am schlimmsten sind jene, die wegsehen, die Unbeteiligten, diese haben am meisten Schuld auf sich geladen, sie sind die wahren Täter.“ Das stimmt nachdenklich. Angesichts der Nähe des Spielorts zu dem Denkmal für die im Dezember 1989 Gefallenen (das sich im Park vor dem Gewerkschaftskulturhaus befindet), dürfte es so manchem Zeitzeugen mulmig zumute gewesen sein. Nach der Aufführung gab es Bier für alle, die Schauspielerin schenkte in alle auf der Bühne verteilten Gläser und Bierhumpen ein, trat ins Gespräch mit den Anwesenden.

Für Ioana Crăciunescu war es nicht das erste Stück von Vişniec. Ihre Zusammenarbeit geht zwanzig Jahre zurück. Die 1950 in Bukarest geborene Schauspielerin hat schon u. a. in den Stücken „Istoria comunismului povestită pentru bolnavii mintali“ (Die Geschichte des Kommunismus für geistig Kranke erzählt) oder „Richard al III-lea nu se mai face“ (Richard III. wird nicht mehr inszeniert) gespielt.

Mit einem Auftritt von Ioana Crăciunescu begann auch das neue Jahr für das Radu Stanca-Nationaltheater. Am 7. Januar, dem Namenstag von Ion, Ioan, Ioana, Ionel in Rumänien, spielte sie ebenfalls im Studiosaal im Gewerkschaftskulturhaus, brillant wie immer, das Ein-Frau-Stück „Eine Frau alleine“ nach einem Text von Dario Fo und Bianca Rame in der Regie von Veronique Widock (die Premiere fand im Oktober 2012 statt), für alle Träger und Trägerinnen dieser Namen.

                      Beatrice UNGAR

 

 

Szenenfoto mit Ioana Crăciunescu.                        Foto: Mihaela MARIN

 

 

 

 

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Gesellschaft, Kultur.