Unbequem aber immer menschenfreundlich

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Ausgabe Nr. 2360
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Ingmar Brantsch – Nachruf auf einen Poeten aus Kronstadt

 

Der am 30. Oktober 1940 in Kronstadt geborene Ingmar Brantsch ist einen Tag nach seinem 73. Geburtstag in Köln verstorben, wo er seit 1978 lebte und wirkte. In ihm haben wir einen rührigen, literarisch und politisch interessierten Menschen verloren, der in den letzten Jahrzehnten gegen das Vergessen vor allem deutschsprachiger osteuropäischer SchriftstellerInnen in zahlreichen Publikationen (Siebenbürgische Zeitung, Karpaten-Rundschau) ankämpfte und sich als Buchautor, Journalist und Lehrer engagierte.

Ingmar Brantsch lernte ich 1971 im Studentenheim Köln-Rodenkirchen kennen, von wo aus wir täglich mit der Straßenbahn in Richtung Innenstadt zur Universität fuhren. Beide waren wir 1970 aus Rumänien ausgereist. Sehr bald freundete ich mich mit dem fast zehn Jahre Älteren an, dessen Name mir als Germanistik-Student schon in Klausenburg bekannt war. Er wirkte in seinem Gebaren immer jugendlich, nie überheblich, mitunter eher verträumt oder geistesabwesend. In Köln und Bonn studierte er zusätzlich zu seinen Fächern aus Rumänien noch Philosophie, Geschichte, Pädagogik und Evangelische Theologie. Es war immer amüsant und lehrreich, mit Ingmar zu plaudern und zu diskutieren. Aus dem kommunistischen Rumänien Ceaușescus kommend, kannten wir die Probleme des Landes, insbesondere der deutschen Minderheit Siebenbürgens. Das dortige Regime ablehnend, wurden wir dennoch nicht zu glühenden Anti-Kommunisten oder Anti-Sozialisten. In den politischen Auseinandersetzungen an der Kölner Uni – wie generell in den 70er Jahren in der BRD – versuchten wir, die positiven sozialistischen Ideen nicht mit der kommunistischen Ideologie in einen Topf zu werfen. Das politische Engagement jener Jahre führte zu heißen, mitunter sogar körperlich ausgetragenen Disputen. Legendär war der Mensa-Stammtisch weitgehend linker Studenten (dem Ingmar jahrzehntelang treu blieb), wo es zum mehr oder weniger schmackhaften „Wahlessen“ deftigen politischen Nachtisch gab.

Ingmar Brantsch studierte 1957-1962 in Bukarest und war danach im Haus der Presse (bis 1964) und als Deutsch- und Rumänisch-Lehrer in Kronstadt tätig. Sein erster Gedichtband, „Deutung des Sommers“, erschien 1967 im Literaturverlag in Bukarest in einer Auflage von 750 Exemplaren. Leider sind mir die Reaktionen bzw. Kritiken zu diesem Debüt nicht bekannt. Moderne Lyrik hat es nie leicht, noch weniger im damaligen Rumänien – sowohl von der staatlichen Zensur als auch von der Leserschaft aus gesehen.

Und Ingmar machte es einem auch nicht leicht, vor allem wenn er sich zuweilen mit Institutionen (der Landsmannschaft, der schulischen Bürokratie etc.) anlegte, polemisch und juristisch ausgetragene Konflikte nicht scheute. Im sinnigerweise „Neue Heimat BRD oder Spätheimkehr nach 1.000 Jahren“ betitelten 1983 erschienenen Gedichtband (der auch eine Auswahl des Debüt-Bandes „Deutung des Sommers“ aus Rumänien präsentiert) formuliert er häufig sein Unbehagen angesichts einer auf das Materielle fixierten Wohlstandsgesellschaft. Dieter Schlesak schreibt im Vorwort zu diesem Band: „Aber wahr ist auch, dass uns diese ‚Spätheimkehr’ alle seelisch teuer zu stehen kommt, denn jene guten, solidarischen Menschen, die ohne Konkurrenzneid und Masken, Verbeugungen, Förmlichkeiten und Geldinteressen im gleichen Boot sitzen, alle den gleichen Feind vor Augen, gibt es hier im Westen nicht.“

Dennoch gab es auch im Westen Würdigungen seines Schaffens, z.B. das Anerkennungsdiplom Junge Akademie München, den Lyrikpreis Junge Akademie Stuttgart (beide 1968), den Siegburger Literaturpreis (1987).

Nach der Referendarausbildung in Gummersbach lebte er seit 1978 in Köln, wo er von 1987 bis zur Pensionierung 2007 als Studienrat am Abendgymnasium und danach noch bis 2012 in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf junge Straffällige unterrichtete („Goethe und Heine hinter Gittern. Vom Häftling zum Lehrer im Knast“, 2004 fasst diese Erfahrung zusammen).

Seine endgültige Verabschiedung hat ihn hart getroffen. In den letzten Jahren hatte er eine rege publizistische Tätigkeit entfaltet, u. a. das Leben der Ungarndeutschen und das der Russlanddeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg im Spiegel ihrer Dichtung analysiert (1995 bzw. 1999), „Das Weiterleben der rumäniendeutschen Literatur nach dem Umbruch“ (2007), „Ich war kein Dissident“ (2009) und schließlich 2012 „Das Leben ist nicht normal. Aphorismen und Essays. Inkorrektes über die Political Correctness. Zweiter Teil“.

2010 hat er zuletzt Hermannstadt besucht und es gab ein letztes Treffen in der alten Heimat. Zusammen mit ifa-Koordinator Tilo Krausse, Joachim Wittstock und Walther G. Seidner fuhren wir mit dem Hermannstädter Literaturkreis zu Eginald Schlattner nach Rothberg.

Im Debütband „Deutung des Sommers“ steht das Gedicht „Der Tod des Mannes“, das – so meine ich – Ingmar Brantschs dichterisches Fazit enthält: „Noch einmal blickt er zurück, und sieht, / was hinter ihm war, / und vieles gefällt ihm / wie immer nicht. // Und die Gewissheit, / der Materie und ihren Gesetzen / nicht zu entgehen, / verklärt nicht / weibisch sein Gesicht, / Männlich verwest er.“

Am 12. November 2013 haben wir – Freunde, ehemalige Kommilitonen, vielleicht auch ehemalige Widersacher – den oft unbequemen, aber immer menschenfreundlichen Ingmar Brantsch auf dem Kölner Melaten-Friedhof zu Grabe getragen. Er wird uns fehlen: als belesener Literat, als Dichter, als Streitpartner, als Mensch.

Konrad WELLMANN

 

Ingmar Brantsch neben der Schillerbüste am Schillerplatz in Hermannstadt, 2010

Veröffentlicht in Aktuelle Ausgabe, Kultur.