Ausgabe Nr. 2358
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Denkanstöße von der Tagung „Reformation und Toleranz" an der EAS
„Reformation und Toleranz – Brücken und Leitwege über Jahrhunderte" lautete das Thema der dreitägigen internationalen Tagung, die zum Abschluss der gleichnamigen Veranstaltungswoche zur Luther-Dekade von der Evangelischen Akademie Siebenbürgen (EAS) und dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland Hermannstadt vom 7. bis 9. November d. J organisiert worden ist. Nachdem am ersten Tag Bischof em. Dr. Christoph Klein in seinem einleitenden Referat auf den „Toleranzgedanken bei Martin Luther" und darin insbesondere auf die Haltung Luthers den Juden gegenüber eingegangen war und Prof. Dr. Hermann Pitters ausführlich die evangelische Reformation in Siebenbürgen beleuchtet hatte, kam am zweiten und dritten Tag Vertreter verschiedener Konfessionen und Kirchen zu Wort.
Den Einstieg am zweiten Tag machte der Klausenburger Bischof der Reformierten Kirche, Kato Bela, der über den Glaubenswandel der ungarischen Bevölkerungsgruppe in Siebenbürgen auf ihrem „Calvinistischen Weg“ seit Mitte des 16. Jahrhunderts referierte. In den ungarisch geprägten Gemeinden, so erzählte Kato, spräche man beim Läuten aus dem Turm des Gotteshauses der Calviner von der „Glocke der Ungarn“, weshalb in Siebenbürgen oft die Sprach- mit einer Konfessionsgrenze verbunden werde.
Paul Brusanowski von der Orthodoxen Theologischen Fakultät der Lucian Blaga-Universität Hermannstadt berichtete im Anschluss darüber, welchen Hindernissen die Angehörigen der rumänischen Ethnie in Siebenbürgen zunächst ausgesetzt waren, wenn sie den reformierten Glauben annehmen, reformierte Gemeinden gründen oder gar ein Amt in der neu entstehenden Kirche bekleiden wollten.
Den Toleranzbegriff im orthodoxen Gedankengut erläuterte in einem nächsten Vortrag der an derselben Fakultät lehrende Professor für Kirchengeschichte und Religionsphilosophie Dorin Oancea. Er erklärte den seiner bildhaft geschilderten Ausführungen folgenden Tagungsteilnehmern, dass der Toleranzgedanke im orthodoxen Glauben neben den Bedeutungen „Duldung“ und „Respekt“ auch jenen der Verantwortung umfasst. „Die Verantwortung für eine Welt, in der jedes Geschöpf seine eigene Gemeinschaft mit Gott verwirklicht“, sei das Ziel des Menschen, unabhängig von Konfession und Glaube. Genau wie Gott selbst Toleranz gezeigt habe, den Menschen in seiner Unvollkommenheit, also mit all seinen Makeln und Sünden an- und aufzunehmen, so solle auch die Gesellschaft diejenigen in ihre Gebete mit einbeziehen, die vom Rechten Weg abgekommen sind. Nur über diese Form der christlichen Toleranz und Akzeptanz können auch solche, die von derartigen Normen abweichen die Gemeinschaft mit Christus, sein Gehör und dadurch Erlösung finden.
Von der theologisch-historischen Sichtweise wurde hiernach mit der Betrachtung des reformatorischen Toleranzgedanken im Europa des 21. Jahrhunderts der Fokus auf den zeitgenössisch-gesellschaftlichen Blickwinkel der Thematik gerichtet. Rüdiger Noll, evangelischer Pfarrer und Direktor der Kirchen- und Gesellschaftskomission der Konferenz Europäischer Kirchen, hob in einem kontrovers geführten Beitrag hervor, dass Toleranz in Zeiten der Pluralisierung und Globalisierung wichtiger denn je sei und im Rahmen der Europäischen Grundrechtcharta auch im Vertrag von Lissabon rechtlich bindend festgelegt sei. Die Umsetzung in der Realität bereite allerdings gerade durch statische religiöse Normen unterschiedlicher Konfessionen in den meisten Mitgliedsstaaten auch weiterhin Probleme. Zwar werden europaweit Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetze erlassen, diese seien jedoch oft nicht vereinbar mit der Weltanschauung der christlichen Mehrheitsreligionen. Die Kirchen stünden erst am Anfang der Herausforderung, im Dialog mit den europäischen Regierungen einen Konsens zu finden, allen Menschen jedweder Konfession die gleichen Entfaltungs- und Mitspracherechte zu gewähren und Verschiedenheiten innerhalb der Europäischen Union nicht nur zu erlauben und koexistieren zu lassen, sondern das Anderssein zu respektieren und die Vielfalt wert zu schätzen. Auch die Glaubensgemeinschaften müssten sich, laut Noll, an die gesellschaftlichen Veränderungen anpassen und ihren Toleranzgedanken überarbeiten, meinte Noll.
Einen ebenfalls sehr spannenden Vortrag zur zeitgenössischen Toleranzfrage lieferte Dr. Christoph Sigrist, Pfarrer am Großmünster Zürich und Dozent an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Er berichtete aus eigener Erfahrung über religiöse Gemeinschaften und Multikulturalität in seinem Heimatland, der Schweiz, und über den Schwund der gläubigen Protestanten in seiner Pfarrei. „Was macht eine Volkskirche ohne Volk?“ Diese Frage stellte Sigrist in den Raum und darüber hinaus, wozu die prächtigsten Kirchen gebaut würden, wenn niemand mehr zum Gottesdienst kommt? Die Transformation der Gesellschaft, die mittlerweile vielmehr ein Konglomerat verschiedener Minderheiten darstelle, mache auch in seiner Gemeinde ein Umdenken und eine Anpassung der Funktion und Aufgabe seiner Kirche und ihrer Räumlichkeiten notwendig. „Geglaubt und befolgt wird, was plausibel und im Trend ist“, so Sigrist, dessen Kirchenraum mehr und mehr von der ursprünglichen Bestimmung als Gebets- und Gottesdienstort abkommt und eher als Zufluchtsort und zur „Unterbrechung des Alltags“ aufgesucht wird. Auch er hält nicht nur den Dialog mit der Politik, sondern gleichermaßen den Austausch und die Problemlösungsfindung innerhalb der eigenen Reihen für unumgänglich. Auf dem Weg zum anderen Selbstverständnis von Religion müsse sich die Kirche erklären, was sie ist und wofür sie steht. Sie solle sich einmischen in gesellschaftliche Belange, die neuen Bedürfnisse hören und dazulernen, sowie den Blick auf „marode Stämme" schärfen, die ihrem Fortschritt im Wege stehen.
Um Minderheiten und der ihnen entgegengebrachten Toleranz und Akzeptanz in der modernen Gesellschaft in Europa ging es auch in den beiden letzten Beiträgen des zweiten Veranstaltungstages.
Dorin Cioabă, „international amtierender König“ der Roma kritisierte den Umgang mit seiner Ethnie nicht nur in ihren „Heimatländern“ Rumänien und Bulgarien, sondern auch in anderen europäischen Mitgliedsländern. Er machte die aufgrund ihrer Staatenlosigkeit fehlende Schulpflicht und die daraus resultierende, mangelnde Bildung, die geringen Möglichkeiten zum beruflichen Aufstieg und gesellschaftliche Ausschließung verantwortlich für soziale Probleme, die als von der Gesamtheit seiner Volksgruppe ausgehend verschrien würden. Der gelernte Jurist rief zur Aufnahme und Verankerung der Roma in der Gesellschaft auf, aber vor allem bemängelte er die Nichterfüllung der Unterstützungspläne nach der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in die EU. „Europäische Hilfsgelder kommen nicht beim Volk an, stattdessen werden Tagungen und Konferenzen veranstaltet, die das ‚Roma-Problem’ zur Thematik haben“, so Cioabă, der z.B. einen Lösungsansatz nach US-amerikanischem Modell sieht, in dessen Rahmen Betriebe gesetzlich dazu verpflichtet würden, mindestens einen Angehörigen der Minderheit einzustellen, wie seinerzeit in den USA die Afroamerikaner. Doch in der Realität sehe es leider so aus, dass Roma oft als billige Arbeitskräfte angesehen und von einigen großen Wirtschaftsunternehmen sogar als Druckmittel gegenüber der normal verdienenden Belegschaft missbraucht würden. Die mangelnde Bereitschaft der EU-Mitgliedsstaaten, die Roma als gleichberechtigte Volksgruppe mit ihren Gebräuchen und Beiträgen zu integrieren, sondern sie weiter an den Rand der Gesellschaft zu drängen, könne Existenzkriminalität nicht verhindern, sondern forciere sie, so der 44-Jährige.
Wie Toleranz als Lernprozess zu verstehen sei, darüber berichtete Magister Peter Karpf aus Klagenfurt in Österreich anhand einer Fallstudie seines Bundeslandes Kärnten. Dort stellen die Slowenen seit Jahrhunderten die Minderheitsbevölkerung dar, die immer wieder im Mittelpunkt der viel diskutierten „Volksgruppenproblematik“ stand. Von der Konfrontation, die sich über die gewaltsame Entfernung von zweisprachigen Namensschildern im so genannten „Ortstafelkrieg“, über die Zwangsschließung von slowenischen Schulen bis zu ihrem traurigen Höhepunkt im Jahre 1977 mit über 20 Bombenanschlägen manifestierte, hat der Weg hin zum gemeinsamen Dialog zwischen Mehrheit und Minderheit inzwischen über die Übung eines hohen Maßes an bilateraler Toleranz von einem feindseligen Nebeneinander zu einem friedlichen Miteinander geführt. Die historischen Entwicklungen dieser zentralen Region seien im Kleinen ein Spiegelbild der Verhältnisse in Gesamteuropa und können als Vorbild für den Toleranzgedanken der Völker und Nationen in der EU dienen, meint der Leiter des Volksgruppenbüros des Landes Kärnten.
Dominik GRONEN
Roger Pârvu (am Rednerpult), Dechant Dietrich Galter (4. v. l.) und Konsulin Judith Urban (3. v. l.) begrüßten die Teilnehmenden bei der Eröffnung, danach referierten Christoph Klein (2. v. l.) und Hermann Pitters.
Foto: Beatrice UNGAR